Bücher des Monats - Mächtig mit Mussolini

Wie sich aus der Biografie der Jüdin, Sozialistin, Faschistin und Emigrantin Margherita Sarfatti eine Ideengeschichte des modernen Italien entwickeln lässt

Das faschistische Italien kämpfte im Zweiten Weltkrieg Seite an Seite mit dem nationalsozialistischen Deutschland, doch entstanden war der Faschismus unter teilweise ganz anderen Vorzeichen als die NS-Bewegung. In Italien waren es ehemalige revolutionäre Sozialisten, die nach 1918 den Kern der neuen rechtsextremen Sammlung bildeten. Und es gab unter den Begründern des Faschismus eine beträchtliche Zahl von Akteuren jüdischer Herkunft.

Der prominenteste Ex-Linke unter den Faschisten war ihr Führer, Benito Mussolini, der seine Karriere als sozialistischer Aktivist begonnen hatte. Eine der herausragenden Persönlichkeiten aus jüdischer
Familie, die sich die Sache des Faschismus zu Eigen machten, war Margherita Sarfatti (1880–1961) – langjährige Geliebte, Mitarbeiterin und Biografin Mussolinis, Salonnière, Kritikerin und Koryphäe in der italie­nischen Kunstszene der zwanziger Jahre, auch sie ursprünglich als Sozialistin engagiert. Über diese hierzulande wenig bekann­te Italienerin, ihren märchenhaften Aufstieg und tragischen Fall hat die Berliner Historikerin Karin Wieland ein faszinierendes Buch geschrieben, die erste deutschsprachi­ge Publikation überhaupt.

Unglaublich viel lässt sich aus dieser Biografie über die Geschichte des modernen Italien lernen. Wer an persönlichen Details aus der Beziehung zwischen Sarfatti und Mussolini, gar an Pikantem interessiert ist, wird dagegen weitgehend enttäuscht. Nicht nur, dass die Darstellung ohne priva­tes Quellenmaterial wie Briefe oder Tagebücher auskommen muss. Überhaupt ist Karin Wielands Studie ganz darauf angelegt, im Individuellen das Allgemeine sichtbar werden zu lassen, anhand der Lebensgeschichte der Einzelperson das große historische Geschehen anschaulich zu machen.


Aus dem Ghetto ins Zentrum Italiens

Als individueller Charakter gewinnt Mar­gherita Sarfatti deswegen nicht so recht an Kontur. Indem das Buch ihre Aufstiegsstrategien, ideologischen Wandlungen und ästhetischen Vorlieben als Symptome für den herrschenden Zeitgeist nimmt, entfaltet es aber eine glänzende Ideen- und Mentalitätsgeschichte Italiens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Welche besondere Rolle das italienische Judentum im Risorgimen­to spielte, wie der Faschismus aus der Krise des Liberalismus erwuchs, befördert durch eine gewaltverherrlichende Kunst-Avantgarde und die Erfahrung des Ersten Weltkriegs, wie er zur Macht gelangte und sich ideologisch wandelte – darüber bietet dieses Lebensbild reichlich Aufschluss.

Margherita Grassini kommt als Toch­ter eines wohlhabenden jüdischen Staatsbeamten in Venedig zur Welt. Ihre Heimatstadt ist ihr Belastung und Verheißung zugleich – der Ort des ältesten europäischen Juden-Ghettos, das erst ihr Vater verlassen hat, aber auch ein Symbol für den kulturellen Glanz der italienischen Nation, an dem teilzuhaben die Juden seit ihrer gesellschaftlichen Emanzipation im 19. Jahrhundert berufen sind. Margherita will das eine ganz hinter sich lassen und sich dem anderen ganz öffnen. Sie bricht mit dem Lebens­kompromiss der Vätergeneration, nach außen hin bürgerlich-modern, im Privaten aber traditionell-religiös zu sein, und wendet sich dem Marxismus zu.

Nicht nur das Judentum, auch Venedig lässt sie hinter sich, nachdem sie den Rechtsanwalt Cesare Sarfatti geheiratet hat. Die wichtigste Wirkungsstätte ihres Lebens wird Mailand sein, und damit ist sie auf der Höhe der Zeit, wie Wieland in zwei kontras­tierenden Städteportraits zeigt: Venedig, das bedeutet um 1900 die selbstzufriedene Insze­nierung vergangener Größe, ein dekadentes Refugium vor der aufziehenden Industriegesellschaft. Mailand hingegen steht für den Geist des 20. Jahrhunderts. Es ist die Stadt der Arbeit und der Produktion, des reichen Bürgertums und des wachsenden Proletariats, das Zentrum des neuen Italien und die Hochburg der sozialistischen Partei.

Vorwärts in den Faschismus

In Mailand trifft Sarfatti auf ihre große Mentorin und Rivalin: Anna Kuliscioff, die Graue Eminenz und Primadonna des italie­nischen Sozialismus. Ihrem Beispiel wird Sarfatti, die im Begriff ist, sich als Kunstkri­tikerin einen Namen zu machen, in zweier­lei Hinsicht folgen: in der Rolle der Salonnière, die über Beziehungsnetze eine subtile Herrschaft ausübt, und im Modell der Liebes- und Arbeitsgemeinschaft, durch die Kuliscioff mit dem sozialistischen Parteiführer Filippo Turati verbunden ist.

Margherita Sarfatti begegnet Benito Mussolini erstmals 1912 in Kuliscioffs Salon. Sie ist eine gebildete und verwöhnte Großbürgerin, er ein kleiner Volksschullehrer, Journalist und Partei-Agitator mit abenteuerlicher Vergangenheit, der sich als radikaler Außenseiter geriert und betont unbürgerlich auftritt. Mussolini, fest liiert mit seiner späteren Ehefrau Rachele, die wie er aus dörf­­lichen Verhältnissen stammt, reizt Sarfattis Weltläufigkeit, sie sein Charisma und Aufstiegswille. Bereits seit 1910 führt Sarfat­ti ihren eigenen Salon. Nun hat sie auch ihre Liebes- und Arbeitsgemeinschaft mit einem Mann, der Zukunft haben könnte.

Sie arbeitet publizistisch mit ihm  zusammen, zunächst beim sozialistischen Parteiorgan «Avanti!», dann bei Mussolinis Tageszeitung «Il Popolo d’Italia», in den frühen zwanziger Jahren auch bei der gemeinsam gegründeten Zeitschrift «Gerarchia». Und sie vollzieht nach 1914 Mussolinis politische Konversion mit, weg von Sozialis­mus und Internationalismus, hin zu Natio­nalismus und Faschismus.

Karin Wieland macht diesen Prozess historisch verständlich, indem sie ihn als Folge der Erschöpfung bürgerlichen Fortschrittsglaubens nach der Jahrhundertwen­de beschreibt. Der Faschismus prägte seine geistige Gestalt schon aus, bevor sich das europäische Bürgertum vom Bolschewis­mus bedroht sehen konnte; dies nachzuzeichnen ist eine der wichtigen Leistungen der Studie.


Vom Bürgerschreck zum Dandy

Sarfattis Wandlung kommt nämlich nicht aus heiterem Himmel. Sie deutete sich bereits an in ihren künstlerischen Präferenzen. Die bewegen sich ganz im Gegensatz zum nüchtern-behäbigen, vom Bündnis zwischen Liberalismus und Reformsozialismus geprägten Zeitgeist, für den der Name des lang­jährigen Ministerpräsidenten Giovanni Gio­litti steht. Diesem Geist erklären 1909 die Mailänder Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti den Kampf. Sie verdammen alle Tradition und feiern die kulturerneuernde Kraft von Technik, Gewalt und Krieg. Sarfatti ist fasziniert von dieser Avantgarde und fördert sie durch Kritiken und Gemälde-Käufe, wie sie sich auch von der antibürgerlichen Rhetorik Gabriele D’Annunzios angesprochen fühlt.

Die eigentliche Wende aber bringt der Erste Weltkrieg. Sarfatti besucht Frontkrankenschwestern in Frankreich, ist schockiert und begeistert, schlägt sich, von Mussolini bedrängt, auf die Seite der italienischen Interventionisten, die den Kriegseintritt des Landes gegen Deutschland befürworten. Wie Mussolini bezahlt sie dafür mit dem Ausschluss aus der sozialistischen Partei. Ihr anderes Kriegsopfer wiegt ungleich schwerer: 1918 fällt ihr Sohn Roberto.

Zu den erhellendsten Passagen des Buches gehört, wie Wieland die Reaktion auf diesen individuellen Verlust analog zur allgemeinen Stimmungslage im Nachkriegs-Italien schildert: Mussolini, dieser Gedan­ke beherrscht Sarfatti, soll dem Tod ihres Kindes einen Sinn verleihen. Sie identifiziert sich mit seiner neuen nationalen Rhetorik, seinem Heldenkult und mit der Wut der ausgemusterten  Soldaten, die seit 1919 seine faschistischen Stoßtrupps bilden. Das Gefühl, betrogen worden zu sein, treibt der Bewegung ihre Sympathisanten zu.

Sarfattis Beitrag zu Mussolinis Erfolg besteht nicht zuletzt darin, sein Erschei­nungs­bild zu verändern und aus dem Bürgerschreck eine vorzeigbare Mischung aus Dandy und Offizier zu machen. Nach dem «Marsch auf Rom» von 1922 fördert Sarfatti den Mythos des Duce nach Kräften: Sie verfasst die erste Mussolini-Biografie («Dux»), daraus wird ein Weltbestseller, der zur wachsenden Popularität des Diktators im Ausland beiträgt, zumal in den USA. Diesen Effekt hat auch Sarfattis PR-Arbeit in der amerikanischen Presse: Unter Mussolinis Namen schreibt sie Artikel in Ich-Form, da­runter Homestories mit dem Titel «My Twenty-four Hours», etwas ganz Neuartiges. Hier bietet Wieland auch ein Stück Mediengeschichte: Sarfatti ist die erste Image-Beraterin eines modernen Politikers.

Aber sie will auch direkte Macht ausüben. Ihr Betätigungsfeld ist, neben dem Salon, der Kulturbetrieb, ihr Vehikel die Künstlergruppe «Novecento», die sie 1922 mit sieben Malern, darunter Mario Sironi, aus der Taufe hebt. Der Stil von «Novecento» verbin­det Avantgarde-Elemente mit italienischer Klassik, modernes Empfinden mit nationalem Bewusstsein. Diese Kunst soll nach Sarfattis Willen zur offiziell anerkannten Ästhetik in Mussolinis Italien werden, sie selbst dadurch die Hohepriesterin der faschistischen Kultur. 1926 scheint sie ihrem Ziel ganz nahe: Mussolini eröffnet die erste «Novecento»-Ausstellung und spricht davon, dass er in diesen Bildern den Faschismus wie­dererkenne. Es ist die Zeit, in der man nicht nur in der Kunstszene, sondern auch unter Diplomaten vom unermesslichen Einfluss der Sarfatti auf den Duce raunt.


Kunst-Eminenz und verstoßene Jüdin

Doch dann lässt Mussolini sie fallen – weil er von der alternden Frau nicht an die Vergänglichkeit seiner eigenen Jugend erinnert werden will, weil er den Ausgleich mit der katholischen Kirche sucht und daher den soliden Familienvater hervorkehrt, vielleicht auch deswegen, weil er ihrer Herrschsucht und ihrer ständigen, angesichts seiner zahllosen Affären nicht eben unberechtigten Eifersucht überdrüssig ist.

Verantwortlich für Sarfattis politisches Scheitern ist aber auch ein ideologischer Klimawandel, den Wieland wiederum an repräsentativen Persönlichkeiten kenntlich macht: Eine jüngere, ebenso mondäne wie radikale Generation wird tonangebend, verkörpert durch das neue Traumpaar des Faschismus, Mussolinis Tochter Edda und Graf Galeazzo Ciano, der als Außenminister ab 1936 die Annäherung Italiens an Hitler-Deutschland betreibt. Das judenfeindliche Ressentiment war Mussolinis Bewegung ursprünglich fremd; doch jetzt sieht sich Sarfatti plötzlich antisemitischen Angriffen aus der faschistischen Partei ausgesetzt, wird die Ästhetik von «Novecento» als «jüdische Kunst» gebrandmarkt.

Das Ende ist da, als Mussolini 1938 die deutschen Rassengesetze übernimmt: Sarfatti wird aus der Partei ausgeschlossen, sie emigriert zunächst nach Paris, später nach Südamerika. Verdrängt bleibt Sarfatti auch im Gedächtnis der Nachwelt: Als die «Geliebte des Duce» ist nicht sie dort präsent, sondern Clara Petacci, Mussolinis letzte Gefährtin, mit der zusammen er 1945 von Partisanen erschossen wird. Umso größer ist Karin Wielands Verdienst, dieses Leben wiederentdeckt und für die historische Erkenntnis fruchtbar gemacht zu haben.

 

Karin Wieland
Die Geliebte des Duce. Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus
Hanser, München 2004. 376 S., 24,90 €

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