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Der Fall di Lorenzo - Das neue deutsche Zwei-Klassen-Wahlrecht

Würde das Prinzip Giovanni di Lorenzo allgemeingültig, führte das unser Wahlrecht ad absurdum: Dann gäbe es nur eine Stimme für Deutsche, aber zwei Stimmen für Doppelpass-Besitzer. Es ist richtig, dass die Staatsanwaltschaft jetzt gegen den Zeit-Chefredakteur ermittelt

Autoreninfo

Hugo Müller-Vogg ist freier Journalist und Buchautor. Er publizierte mehrere Gesprächs-Bände, u. a. „Mein Weg" mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel sowie „Offen will ich sein und notfalls unbequem“ mit Bundespräsidenten Horst Köhler. Im April 2014 erschien sein Interview-Buch mit Rainer Brüderle „Jetzt rede ich!“. War von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der FAZ

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Man muss nicht so knallhart fragen, wie BILD das am Dienstag auf Seite 1 tat: „Sind Sie echt so ein Wahl-Depp, Herr di Lorenzo?“. Man kann es auch verbindlicher formulieren: „Verstehen Sie von Wahlen und Demokratie wirklich so wenig, Herr di Lorenzo?“. Offenbar ja. Denn der „Zeit“-Chefredakteur, die fleischgewordene Verkörperung des politisch-korrekten Musterdemokraten, ist nicht so dumm, einen ihm bewussten Verstoß gegen das Wahlrecht in der Jauch-Sendung öffentlich zuzugeben.

Die Fakten sind eindeutig. Giovanni di Lorenzo, der Journalist mit zwei Pässen, hat bei der Europawahl zwei Mal gewählt: einmal als Deutscher und einmal als Italiener. Er hatte an diesem Wahlsonntag also mehr Einfluss als ein „gewöhnlicher“ Deutscher oder ein „gewöhnlicher“ Italiener – nämlich den doppelten. Wie viele der rund einer Million Deutschen mit zweitem Pass aus einem EU-Land sich ebenfalls so – und damit gesetzeswidrig – verhalten haben, weiß niemand. Zieht man jedoch in Betracht, dass am Sonntag rund 185.000 Stimmen für einen Sitz in Straßburg ausreichten, könnten die di Lorenzos dieses Landes – theoretisch – über 5 bis 6 der 96 deutschen Sitze entschieden haben. Das wäre dann keine Kleinigkeit.

Der Fall di Lorenzo hat zwei Aspekte: einen persönlichen und einen grundsätzlichen. Dass der „Zeit“-Chef wirklich nicht weiß, dass zwei Mal wählen Betrug ist und nicht die Erfüllung der staatbürgerlichen Pflicht, zeugt von einem gerüttelten Maß an Überheblichkeit: Was ich tu‘, das ist gut getan. Oder hält der Deutsch-Italiener es wirklich für angebracht, dass Menschen mit zwei Pässen mehr demokratische Rechte haben sollen als „einfache“ Deutsche? Und welche der beiden Haltungen wäre schlimmer?

Das neue deutsche Zwei-Klassen-Wahlrecht


Die Sache ist auch deshalb pikant, weil derselbe Giovanni di Lorenzo schon bei den vergangenen italienischen Parlamentswahlen im Fernsehen stolz verkündete, selbstverständlich habe er dort mitgewählt. Das war – anders als am Sonntag – völlig legal. Denn wer zwei Pässe hat, darf bei nationalen Wahlen in „seinen“ beiden Ländern seine Stimme abgeben. Politisch ist dieses rechtlich einwandfreie Verhalten aber höchst bedenklich. Warum soll ein Teil der deutschen Bevölkerung die Politik in zwei Ländern bestimmen dürfen? Das wäre dann das neue deutsche Zwei-Klassen-Wahlrecht: Eine Stimme für Deutsche, zwei Stimmen für Doppelpass-Besitzer.

Hier geht es ja nicht um ein paar einzelne Personen. EU-Bürger können einen zweiten Pass beantragen und die Große Koalition arbeitet darauf hin, dass immer mehr Menschen mit Wurzeln in Ländern außerhalb der EU zwei Pässe haben dürfen. Der langjährige Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, hat vor kurzem vorhergesagt, „in zwanzig Jahren werden Migranten 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen.“ Wenn die dann alle zwei Pässe haben und „den Giovanni machen“, werden die Wahlen hierzulande zur Farce. Dann sind wir von dem urdemokratischen Prinzip „one man, one vote“, so weit entfernt wie Russland von einer lupenreinen Demokratie.

Giovanni di Lorenzo ist nicht zu beneiden. Dass Günther Jauch ihm jetzt beispringt, ist menschlich ein guter Zug. Es ist auch verständlich: Denn in seiner Talk-Sendung zeigte sich der Moderater überfordert, Lorenzos Fehlverhalten als solches zu erkennen. Doch eine solche „Petitesse“, als die Jauch diesen Gesetzesverstoß jetzt darstellt, ist die Angelegenheit nicht. Wenn die so genannten Intellektuellen und Edelfedern schon nicht wissen, wie man seinen staatbürgerlichen Pflichten auf legale Weise nachkommt, wie soll sich dann die Masse der 62 Millionen Wahlberechtigten noch auskennen?

Im Fall di Lorenzo ermittelt die Staatsanwaltschaft, muss sie ermitteln. Er wird um ein Bußgeld nicht herumkommen. Denn er wird wohl erst gar nicht behaupten wollen, von Wahlen und Wahlrecht wirklich nichts zu verstehen – er schreibe ja nur darüber. Vorschlag zur Güte: Der Richter möge den Delinquenten verpflichten, den im Oktober an der Volkshochschule Hamburg beginnenden Kurs „Politik verstehen? - Geht das denn?“ zu besuchen. Das Kursentgelt von 25,00 Euro wäre keine soziale Härte. Ach ja, seinen Verteidiger Jauch sollte di Lorenzo gleich mitnehmen.

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