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(picture alliance) Eine Kundgebung gegen Rechtsextremismus in Kassel: Den engagierten Beratungsstellen geht bald das Geld aus

Politikversäumnisse beim Neonazi-Terror - Die Anti-Rechts-Arbeit trocknet aus

Seit Bekanntwerden des Rechtsterrorismus um die Zwickauer Zelle hat sich für Initiativen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagieren, nichts geändert. Sie leiden unter Geldmangel und fühlen sich vom Staat verdächtigt. Eine Bilanz der politischen Versäumnisse

Kritisches ist in den Reden von Angela Merkel nur sehr schwer herauszuhören. Mit dem Tadel an den Behörden, die die Aufklärung neonazistischer Straftaten jahrzehntelang versäumt haben, ist das nicht anders. In ihrer jüngsten Videobotschaft sagte die Kanzlerin, die Arbeit gegen rechts sei „nicht nur eine Aufgabe von Behörden“ – doch, holperte sie kurz, „Das ist es.“ Viel lieber räumte Merkel dem Lob an der Zivilgesellschaft Platz ein. Sie dankte allen, „die sich in diesem Bereich engagieren. Das sind viele, viele Menschen, die mit Courage allen extremistischen Tendenzen entgegentreten.“

Einer dieser Menschen ist Annetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Aktivistin mit der rotgelockten Mähne und der runden Brille hat ganz genau hingehört. Und sie ist wütend. „Da kann ich mir jetzt viel für kaufen, wenn die Frau Merkel sagt, sie bedankt sich bei mir. Ich musste in der letzten Woche drei Leute entlassen.“ Der Grund: Zu knappe Bundesmittel.

Kristina Schröder, die als Jugendministerin für solche Initiativen verantwortlich ist, hatte zu Beginn ihrer Amtszeit noch versprochen, den Etat für Anti-Rechts-Projekte nicht zu kürzen. Doch davon war schon bald nichts mehr zu hören: Während vor 2009 für solche Initiativen in den fünf ostdeutschen Bundesländern noch 24 Millionen Euro vorgesehen waren, sollte das Geld dann plötzlich für alle 16 Bundesländer reichen. Im Zuge des Sparhaushalts wollte die schwarz-gelbe Koalition den Etat nochmals um zwei Millionen, die Aufwendungen für Opferentschädigung um eine halbe Million Euro kürzen. Doch daraus wurde nichts: Die Taten des Terror-Trios und der laute Protest der Opposition hatten die Pläne verhindert.

Trotzdem – Kahanes Stiftung trocknet langsam aus. Auch von der Bundeszentrale für politische Bildung könne sie nichts zu holen. Die Behörde, die der Amadeu-Antonio-Stiftung normalerweise rund die Hälfte der Mittel bewillige, müsse knapp 20 Prozent sparen. „Ich kann dank privater Förderung gerade noch den Kern des Projekts aufrecht erhalten.“

Sechs Wochen, nachdem die Taten der Zwickauer Neonazi-Zelle das Land erschütterten, in denen das Bundeskriminalamt Experten aus allen Ländern zur Verbrecherjagd zusammen gezogen hat und in denen immer mehr Details über die Verstrickung von Nachrichtendiensten und rechter Szene ans Licht kommen, hat sich für die Opferberatungen nichts geändert. „Gar nichts“, versichert Kahane, und nicht nur ihre Initiative, sondern „alle“ würden unter den Sparzwängen leiden.

Überhaupt lässt Kahane an der Anti-Rechts-Arbeit der Regierung kein gutes Haar. Das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ war bereits wegen der umstrittenen Extremismusklausel in die Kritik geraten. Demnach müssen Organisationen, die gegen Rechtsextreme kämpfen, einen Teil ihrer Ausgaben selbst aufbringen und für sich sowie weitere Projektpartner versichern, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. „Die Frau Merkel kann uns ja danken für unsere Arbeit, aber sie sollte uns nicht allen misstrauen, dass wir linksextremistisch sind“, schimpft Kahane. „Es kann doch nicht sein, dass der Staat etwas inszeniert, wo wir uns alle unwohl fühlen.“

Die massive Kritik gegen die Klausel hat  CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe immerhin bei einer Debatte im Bundestag zu diesem Satz bewegt: „Wir reden darüber.“ Das war vor einem Monat. Seitdem passierte: nichts.

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Kahane sieht noch ein weiteres Problem mit dem Toleranz-Programm: „Eine Kommune, in der viele Nazis im Stadtrat sitzen, wird doch keinem lokalen Aktionsplan gegen rechts zustimmen.“

Doch nicht nur bei den lokalen Behörden seien Zweifel angebracht: In Zwickau, wo sich bis zuletzt das Mördertrio von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verschanzte, ließen sich zwei Politiker mit einem NPD-Kreisrat ablichten. Der Mann hatte bei einem „Schwimmen für Demokratie und Toleranz“ den vierten Platz belegt. Die SPD-Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD), Mitglied in der Jury zum „Sächsischen Bürgerpreis“, und Innenstaatssekretär Michael Wilhelm übergaben die Urkunde, gratulierten noch zum Erfolg des Kampfkameraden. Die Veranstaltung lief unter der Schirmherrschaft des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU).

Und sein Kabinettskollege aus Niedersachsen, Uwe Schünemann (CDU) soll sich gegen das gemeinsame Abwehrzentrum von Bund und Ländern gegen Rechtsextremismus gestellt haben. „Das wäre ein Skandal im Skandal“, sagte der Rechtsextremismus-Experte der Freien Universität Berlin, Hajo Funke, im Gespräch mit CICERO ONLINE. Auch andere Minister hätten bis zuletzt Bedenken geäußert. Das  Zentrum, das Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in der vergangenen Woche in Berlin eröffnet hat, soll die Aufklärung brauner Gewalt erheblich voranbringen.

Funke frage sich auch, warum der öffentliche Druck nicht längst zu einer weit entschiedeneren Aufklärung geführt habe. Den Vorschlag Friedrichs, ein Bund-Länder-Expertengremium einzurichten, oder den einer Kommission in Thüringen ohne zureichende Öffentlichkeit hält der Politikwissenschaftler für zweifelhaft. „Das ist alles absurd.“ Schon bisher seien solche Dinge zu oft in geheimen Gremien verhandelt worden. „Dadurch hat man ermöglicht, dass sich eine Kultur der Verharmlosung ausbreitet.“

Funke fordert stattdessen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Dieser kann Akteneinsicht erzwingen und Zeugen laden. Die Grünen haben angekündigt, ein solches Gremium zu beantragen. Um einen Untersuchungsausschuss einzurichten, sind aber ein Viertel der Abgeordneten nötig. Die Linksfraktion hat ihre Zustimmung signalisiert, auch Teile der SPD. Die hatte bis zuletzt allerdings Friedrichs Vorschlag einer Kommission unterstützt. „Bislang gibt es den Ausschuss nicht“, stellt Funke fest. „Das ist jetzt genau sechs Wochen her.“

In diesem Zeitraum hat Annetta Kahane noch etwas vermisst: Medienberichterstattung, die über die Diskussionen um die Täter und um das NPD-Verbot hinausgehen. „Wie geht es den Opfern? Was ist mit unseren Einwanderern los? Das alles ist viel zu kurz gekommen“, sagt die Aktivistin.

Seit der Wende haben Rechtsextreme rund 150.000 Straftaten verübt; rechter Terror kostete mehr als 150 Menschenleben. An eines der ersten Opfer erinnert Kahanes Stiftung: Amadeu Antonio Kiowa. Die 28-jährige Angolanerin wurde 1990 von einer Gruppe rechtsextremer Jugendlicher in Brandenburg zu Tode geprügelt. Wer die Schläge ausführte, wurde nie ermittelt.

Zwar sind die Planungen für den Bundeshaushalt 2012 schon beendet. Für ernsthafte Präventionsarbeit ist es trotzdem noch nicht zu spät. Vielleicht sollte Angela Merkel das bei ihrer nächsten Rede zum Rechtsterror bedenken.

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