Küstenspaziergang in Doha / picture alliance

Katars Außenpolitik - Wanderer zwischen den Welten

Einige Araber werfen Katar vor, ein politischer Vollstrecker Washingtons zu sein. Andere beschuldigen Katar, den Terrorismus zu unterstützen und sich mit dem Iran und der Türkei zu verbünden. Keiner dieser Vorwürfe ist aus der Luft gegriffen.

Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Als Katar, ein kleines, dünn besiedeltes Land, 1971 seine Unabhängigkeit erlangte und die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen beantragte, gab es Zweifel daran, ob es nach internationalem Recht als souveräner Staat betrachtet werden und seine Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft erfüllen könnte. 

Während der Regierungszeit von Emir Khalifa bin Hamad (1972-1995) verhielt sich Katar wie andere kleine Staaten, die sich eher mit der wirtschaftlichen Entwicklung im eigenen Land als mit der Außenpolitik befassten. Sein Sohn, Emir Hamad, putschte 1995 gegen ihn und leitete eine aggressive, auf Soft Power basierende Außenpolitik ein. Der neue Staatschef machte sich die großen Kohlenwasserstoffreserven Katars zunutze und verwandelte das Land in einen wohlhabenden Wohlfahrtsstaat.

Durch die Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen entwickelt sich Katar von einem der ärmsten Länder der Welt in eines der wohlhabendsten, zumindest was das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt angeht. Das wirtschaftliche Vermögen verschaffte Hamad und seinem Sohn, Emir Tamim, der 2013 seine Nachfolge antrat, die Legitimität, andere Stämme, die mit ihnen zu konkurrieren versuchten, auszuschalten und sich eine Nische in der Politik des Nahen Ostens zu schaffen. Katars politischer Aufstieg profitierte vom Niedergang Ägyptens, das seine besondere historische Rolle in der Region verlor, von der Zerstörung des Irak und Syriens und von der Unfähigkeit Saudi-Arabiens, sich wie geplant als Regionalmacht zu etablieren.

Ein ehrgeiziges Projekt zur Weiterentwicklung

Nach seiner Machtübernahme legte Hamad drei Säulen der katarischen Außenpolitik fest: die Bewahrung des al-Thani-Regimes vor den vom Ausland unterstützten Palastputschen, die das Land so oft heimgesucht hatten; die Wahrung der territorialen Integrität Katars, insbesondere durch die Eindämmung der saudischen und emiratischen Einmischung; und der Schutz des Landes vor den regionalen Ambitionen des Irans (ungeachtet des gemeinsamen Interesses am South-Pars-Gasfeld).

Hamad legte ein ehrgeiziges Projekt zur Weiterentwicklung Katars vor und nutzte dabei dessen Aufstieg als Erdgasexporteur. Er beeilte sich, die Beziehungen seines Landes zu den Vereinigten Staaten zu festigen, indem er ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich unterzeichnete, das es Washington ermöglichte, einen Luftwaffenstützpunkt in Katar zu errichten. Im Jahr 1996 rief er Al-Dschasira als liberalen, demokratisch orientierten panarabischen Medienkanal ins Leben. Al-Dschasira spielte eine subtile Rolle bei der Beeinflussung der arabischen öffentlichen Meinung, insbesondere in Bezug auf Israel.

Da Al-Dschasira jedoch für die arabische Bevölkerung bestimmt war, musste es um seiner Glaubwürdigkeit willen die US-Regionalpolitik kritisieren und Israels Umgang mit den Palästinensern verurteilen, ohne die strategischen Beziehungen zu den beiden Ländern zu beschädigen. Um seine Ziele zu erreichen, löste sich Katar von den Mitgliedern des Golf-Kooperationsrates und ging ihnen bei ihren Bemühungen um eine Versöhnung mit Israel voraus. 

Katar war sich seit langem darüber im Klaren, dass bessere Beziehungen zu Israel auch bessere Beziehungen zu den USA bedeuteten, und wollte sich bei prestigeträchtigen internationalen Veranstaltungen wie der Fußballweltmeisterschaft in Szene setzen. Daher musste es eine Beziehung zu Israel aufbauen, um internationale Wettbewerbe organisieren zu können. Die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Israel hat es Katar ermöglicht, seine Unabhängigkeit in der arabischen Arena zu behaupten und sich als aufstrebende regionale politische Macht zu positionieren.

Initiative zur Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit

Die Beziehungen Katars zu den USA und Israel sind eng miteinander verflochten. Katar hat sich 1971 mit den Vereinigten Staaten verbündet und ist seither – wenn auch erst lange nach der Machtübernahme durch Hamad – bestrebt, die regionale Politik Washingtons zu unterstützen. Doha ist für Washington als Vermittler unentbehrlich geworden, auch gegenüber dem Iran. Katar vermittelte aktiv Gespräche zwischen den USA und den Taliban, die 2020 im Doha-Abkommen und im darauffolgenden Jahr im Rückzug der USA aus Afghanistan gipfelten. Auch die laufenden Vermittlungsbemühungen im Libanon, in Libyen, im Tschad, in Venezuela und im israelischen Gazastreifen versetzen das kleine Golfland in eine solide diplomatische Position, um seine geopolitische Relevanz zu erhöhen.

Katar und Israel unterhalten keine offiziellen diplomatischen Beziehungen; es liegt im Interesse Dohas und wahrt das Gesicht gegenüber Arabern und Muslimen gleichermaßen, wenn es behauptet, mit Israel nur zum Wohle der Palästinenser zusammenzuarbeiten. Doha hat in den 1990er Jahren, als der Friedensprozess Fortschritte machte, die Initiative zur Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ergriffen, wovon das Land sehr profitiert hat. 

Im Jahr 1996 besuchte der damalige israelische Premierminister Shimon Peres Katar und eröffnete ein Handelsbüro in Doha, wodurch die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen wurden. Es gibt übrigens einen Unterschied zwischen dem, was Katar über Israel sagt und dem, was es tatsächlich tut: Katar hat das israelische Vertretungsbüro nicht geschlossen, wie es nach dem Ausbruch der zweiten palästinensischen Intifada im Jahr 2000 behauptet hat, sondern seine Aktivitäten auf niedrigem Niveau fortgesetzt.

Kommunikations- und Koordinationswege

Trotz des Drucks einiger arabischer Länder richtete Katar im November 1997 die Wirtschaftskonferenz Nahost-Nordafrika aus. Im Jahr 2005 traf der damalige katarische Außenminister Hamad bin Jassim al-Thani mit seinem israelischen Amtskollegen Silvan Shalom am Sitz der Vereinten Nationen in New York zusammen. Während des Treffens lobte Hamad Israel für seinen Rückzug aus dem Gazastreifen und sagte, die arabischen Länder müssten sich revanchieren, indem sie mit Israel in eine offene Diplomatie eintreten.

Im Jahr 2006 lehnte die israelische Außenministerin Tzipi Livni die Einladung Katars zur Teilnahme an der Demokratiekonferenz in Doha ab, weil die Hamas anwesend war (gleichwohl wurde sie durch eine Delegation rangniedrigerer Beamter ihres Ministeriums vertreten). Livnis Reaktion hat die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht belastet, ebenso wenig wie die Entscheidung von Premierminister Benjamin Netanjahu, Al-Dschasira wegen dessen angeblich israelfeindlicher Propaganda zu verbieten. Die gelegentlichen Reibereien zwischen den beiden Ländern haben ihre Kommunikations- und Koordinationswege nicht beeinträchtigt.

Eine Freihandelszone für Edelsteine

Im Jahr 2007 besuchte der stellvertretende israelische Premierminister Shimon Peres Doha, lehnte jedoch den Vorschlag des Emirs zu direkten Verhandlungen ab. In Anbetracht der regionalen Rolle Katars als Vermittler und der Attraktivität von Al-Dschasira für ein breites arabisches Publikum schien es ratsam, die Beziehungen informell zu halten. Katar hat jedoch nicht versucht, seine guten Beziehungen zu Israel zu verbergen; vielmehr hat es darin Zuflucht gesucht. 

Im Jahr 2011 unterzeichnete Doha ein Abkommen über den Verkauf von katarischem Flüssigerdgas an Israel für den Export in andere Länder. Katar rechtfertigte die Öffnung gegenüber Israel damit, dass dies zur Lösung einiger Probleme zwischen den Palästinensern und Israel beitrage. Diese Beziehungen standen theoretisch im Widerspruch zu Katars Unterstützung der Hamas-Bewegung, insbesondere ihres Führers Khaled Meshaal. 

Israel lobte die Berichterstattung von Al-Dschasira über den achttägigen Krieg im Gazastreifen („Operation Wolkensäule“) im November 2012 und bezeichnete sie als vernünftig. Ihre taktischen Meinungsverschiedenheiten hatten kaum Auswirkungen auf den Handel. Katar exportiert über Mittelsmänner und multinationale Unternehmen Eisen und Zement nach Israel und trägt damit zu Siedlungsbauprojekten im Westjordanland bei. Im Jahr 2021 schlossen Katar und Israel ein Diamantenabkommen, das Teil des Plans von Doha ist, eine Freihandelszone für Edelsteine einzurichten.

Finanzielle Hilfe und Zuflucht

Obwohl Katar politische Reformen vermeidet, ist es das Land, das die Forderungen der arabischen Bevölkerung nach politischem Wandel am meisten unterstützt. Von den späten 1990er Jahren bis zum Beginn der Aufstände des Arabischen Frühlings wurde Katar zu einem wichtigen regionalen politischen Akteur. Seine Sicherheitspartnerschaft mit Washington ermöglichte es dem Land, eine ehrgeizige Außenpolitik zu entwickeln, die auf der Finanzierung von Diplomatie, Konfliktlösung und -vermeidung und vor allem auf der Unabhängigkeit vom Golf-Kooperationsrat und seinem faktischen Oberhaupt, Saudi-Arabien, beruht. Katar verbündete sich mit arabischen sozialen und politischen Kräften, die mit politisch-islamischen Bewegungen verbunden sind, ohne sich in deren Ideologien zu verstricken, und schaffte es, sie zu beeinflussen, indem es ihnen finanzielle Hilfe und Zuflucht gewährte und zwischen ihnen und den USA und Israel vermittelte.

Diese Politik ist in manchen Kreisen umstritten. Katars Unterstützung für die demokratischen Kräfte während der arabischen Aufständen verschlechterte seine Beziehungen zu Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Jahre zuvor hatte Doha die Beziehungen zu Saudi-Arabien untergraben, als es die sich bekriegenden libanesischen Parteien zu Gesprächen einlud, die schließlich die Krise im Libanon entschärfen sollten. Riad sah darin nichts Geringeres als eine Bedrohung seines regionalen Einflusses.

Ein Rückschlag für Katars Konfliktlösungsdiplomatie 

Katar spielte auch eine wichtige Rolle beim Putsch der Hamas gegen die Palästinensische Autonomiebehörde im Jahr 2007, durch den letztere aus dem Gazastreifen vertrieben wurde. Seitdem hat Katar große Anstrengungen unternommen, um das Hamas-Experiment in Gaza zu unterstützen, da es dieses als ein Projekt der Muslimbruderschaft ansieht, das den Weg für einen günstigen Partner in den palästinensischen Gebieten ebnen wird. Der Emir von Katar und ein in Doha ansässiger Ideologe der Muslimbruderschaft namens Yusuf al-Qaradawi besuchten Gaza, um bei der Finanzierung einer Parallelbehörde zur Palästinensischen Befreiungsorganisation in Ramallah zu helfen. 

Ziel der Reise war die Abtrennung des Gazastreifens vom Westjordanland und damit die Beendigung des palästinensischen Staatsprojekts, das sich nach Ansicht der meisten Palästinenser mit der israelischen Position überschnitt. Während derselben Reise traf der Emir auch mit dem ehemaligen Hamas-Führer Ismail Haniyeh zusammen, um ihn aufzufordern, das Bündnis seiner Gruppe mit dem Iran zu beenden, Israel anzuerkennen und dem bewaffneten Kampf abzuschwören – das heißt, wenn er wollte, dass die Bombardierungen aufhören und die Wirtschaftshilfe wieder aufgenommen wird.

Saudi-Arabien behauptet, Katar wolle eine Regionalmacht werden, auch wenn es angeblich für diese Rolle nicht qualifiziert sei. Es missbilligt die Soft-Power-Politik Katars und seine Beziehungen zu Israel. Es hat sich auch dagegen ausgesprochen, dass Katar den US-Luftwaffenstützpunkt beherbergt, in dem heute das US Central Command untergebracht ist. Katars Konfliktlösungsdiplomatie erlitt 2017 einen Rückschlag, als Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain eine dreieinhalb Jahre andauernde Wirtschaftsblockade gegen das Land verhängten, was das Land dazu veranlasste, seine Bemühungen zu mäßigen, selbst nachdem die Blockade 2021 aufgehoben wurde. Die jüngsten Maßnahmen zeigen jedoch, dass Doha immer noch in der Lage ist, über sein Gewicht hinaus zu wirken, indem es in Konflikten vermittelt und versucht, Spannungen abzubauen.

In Konflikt mit seinen Nachbarn

Trotz der Unterstützung durch die USA und der Zusammenarbeit mit Israel ist die katarische Politik prekär, weil sie wirtschaftlich stärkere Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate vor den Kopf stößt. Seine ehrgeizige Außenpolitik bringt das Land in Konflikt mit seinen Nachbarn, und auch wenn Katar erwägen könnte, sein selbstbewusstes Verhalten zu zügeln, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es seine langfristigen Ziele aufgeben will.

Einige Araber werfen Katar vor, ein Vollstrecker der Nahostpolitik Washingtons zu sein. Andere wiederum beschuldigen Katar, den Terrorismus zu unterstützen, der Hisbollah und der Hamas moralische und finanzielle Hilfe zu leisten und sich mit dem Iran und der Türkei zu verbünden. Der damalige US-Senator John Kerry beklagte 2009, Katar könne sich nicht weiterhin an einem Tag als Verbündeter der USA darstellen, um am nächsten Geld an die Hamas schicken.

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Karl-Heinz Weiß | Fr., 6. September 2024 - 09:44

Der Beitrag zeigt eindrucksvoll, dass der Verhandlungsweg, egal mit welchem Regime, unabdingbar ist. Deshalb wurde in Katar die Armbinden-Symbolik einer Nancy Faeser nicht verstanden. Bei den verhandlungserfahrenen Arabern ist der Begriff "Armleuchter" höchstwahrscheinlich unbekannt.

Volker Naumann | Fr., 6. September 2024 - 16:52

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

Das mit der Armbinde und dem Armleuchter habe ich nun verstanden.

Die Szene mit Josef Blatter und der WM-Vergabe an Katar ist auch
einmalig gewesen. Ein toller Verhandlungserfolg war das damals,
sogar Klimafragen wurden gleich mit geregelt, einfach Sommer und
Winter vertauscht.

MfG

Keppelen Juliana | Fr., 6. September 2024 - 13:25

scheinen ein vernünftiges Völkchen zu sein die Kataris. Da konnte selbst unsere Faeser mit ihrem Armbinden-Charme nichts ausrichten.