Suizidbeihilfe als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts? / dpa

Debatte über Sterbehilfe - Gift auf Rezept

Die Zeitenwende in der Debatte um die Sterbehilfe ist heute im Bundestag angekommen. Verhandelt wird im weiteren Sinne das Freiheitsrecht zur Selbsttötung. Was muss der Staat tun, um Sterbewilligen das tödliche Medikament zukommen zu lassen? Besser gesagt: Wie wird sichergestellt, dass diejenigen, die beim Suizid helfen wollen, daran nicht gehindert werden? Drei Anträge stehen zur Debatte.

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es ist ein Paradox, aber Sterben ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Es ist vor allem die moderne Medizin, die die natürlichste Sache der Welt zu einer komplizierten Angelegenheit gemacht hat. Der Tod tritt häufig in Krankenhäusern nicht mehr einfach ein, weil die pharmakologische und medizintechnische Entwicklung eine „Lebensverlängerung“ auch bei schwersten Krankheiten möglich macht. Die in Deutschland seit Jahren geführte Debatte um die sogenannte Sterbehilfe hat eigentlich hier ihren Ursprung, auf den Intensivstationen der Krankenhäuser und bei den Ängsten vieler Menschen, nicht sterben zu können, sondern an „Schläuchen zu hängen“. Doch das Thema hat inzwischen eine völlig andere Wendung genommen.

Schubumkehr: Grundrecht auf Suizid

Wenn im Bundestag wieder einmal eine Orientierungsdebatte zum Thema Sterbehilfe stattfindet, dann geht es längst nicht mehr um ein wie auch immer geartetes würdevolles Sterben am Lebensende. Durch den Paukenschlag des Bundesverfassungsgerichts von vor zwei Jahren haben wir – wahrscheinlich für viele unbemerkt – eine Art Schubumkehr erlebt. Nun geht es nicht mehr um Ausnahmen in Grenzsituationen, sondern umgekehrt um Freiheiten, die nicht eingeschränkt werden dürfen. Es geht um das Grundrecht auf Selbsttötung in jeder Situation und zu jeder Zeit aus dem freien Willen eines jeden einzelnen Menschen heraus. Und vor allem: die Hilfe anderer, demjenigen zu assistieren, der sich selbst töten will. Was heute als „Sterbehilfe“ diskutiert wird, hat mit dem Ursprungsproblem nur am Rande zu tun. Im juristischen Jargon geht es um „Beihilfe zum Suizid“. Diese ist in Deutschland zwar nicht strafbar, aber das Verfassungsgericht hatte ein Gesetz gekippt, nachdem die so genannte „Geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid“ verboten werden sollte. Sogenannten Sterbehilfevereinen sollte ihre Tätigkeit verboten werden. Da ist nun hinfällig.

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Karl-Heinz Weiß | Mi., 18. Mai 2022 - 17:19

Man reibt sich doch etwas verwundert die Augen. 14-Jährige pubertierende Jugendliche sollen künftig mündig sein, über ihr Geschlecht zu entscheiden. Und meist Hochbetagten wird ein in der Schweiz seit vielen Jahren selbstverständliches Recht verweigert. Wer tickt hier falsch ?

Hans Jürgen Wienroth | Mi., 18. Mai 2022 - 17:47

Eine komplexe Materie, um die ich keinen der Abgeordneten beneide. Neben dem Recht auf Selbsttötung muss auch verhindert werden, dass mit dem Medikamentencocktail „Schindluder“ getrieben und er z. B. für Mord missbraucht wird. Also kann er nur „unter Aufsicht verabreicht“ (z. B. eines Arztes) werden. Dass verhindert gleichzeitig, dass Angehörige, Pflegende oder sonstige „Besucher“ plötzlich und vor allem unvorbereitet auf eine Leiche stoßen.
Ansonsten bin ich Befürworter einer Regelung, die nach ausreichender und vor allem interessenfreier Beratung, sowie nach einer festgelegten Bedenkzeit des Betroffenen die Möglichkeit zum Suizid „unter Aufsicht“ ermöglicht wird. Vielleicht kann man sich bei der Beratung am Verfahren zur Organspende orientieren.
Ich bin gespannt auf das Interview in der Juni-Ausgabe.

Jens Böhme | Do., 19. Mai 2022 - 08:41

Andere Länder in Europa sind entspannter, weil diese nüchtern die Sachlage und die potentielle Bevölkerungsgruppe sehen, die solch Recht in Anspruch nehmen. Diese ist prozentual auf sehr niedrigem Niveau. Es handelt sich um die Personengruppe, die nicht mehr selbständig an genügend Schlaftabletten kommt. In Deutschland tut man so, als ob krankheitsbedingter Suizid eine geistig verwirrte Angelegenheit sei und man es dem geistig Verwirrten entreissen müsste, um diesen ein bevorstehend schönes Leben vorzugaukeln. Für die Hinterbliebenen ist der Tod eines Bekannten oder Verwandten immer eine extreme Ausnahmesituation, egal ob per Suizid, Unfall oder hinausgezögertem, langem Siechtum. Es geht aber bei Tod nicht um die Gefühle der anderen sondern um Rechte des direkt Betroffenen. Auch hier sind andere Länder schon weiter, dass man den Tod als Teil des Lebens anerkennt und die Trauerarbeit und -verarbeitung bei Hinterbliebenen unterstützt.

Ernst-Günther Konrad | Do., 19. Mai 2022 - 08:48

…wird bereits durch die Impfpflicht unterlaufen. Nachdem nun feststeht, das auch egal wie oft geimpfte Menschen Viren weiter tragen, erfolgen dennoch wahnwitzige staatliche Einschränkungen der freien Entscheidung des Bürgers. Nun versuchen deutsche Politiker erneut, das Ganze in eine juristisch saubere Form zu gießen, ohne das vom BVerfG festgelegte Recht auf Selbstbestimmung aus dem Leben zu scheiden auszuhebeln. Wir haben Patientenverfügungen, die uns davor bewahren, dass übereifrige Ärzte oder auch nur nach ihrem ethischen Gewissen handelnde Ärzte in die Bredouille bringen könnten. Ich tendiere derzeit zum Schweizer Modell. Warum das Rad neu erfinden. Im Ausland gibt es Blaupausen, die können ohne weiteres geprüft auch bei uns umgesetzt werden. Das ist jedenfalls besser, als todkranke Menschen zu grausamen Verzweiflungstaten zu zwingen, die nicht selten, auch Dritte mit in ein seelisches Dilemma bringen. Ich denke da nur an Lokführer, denen sich Menschen vor den Zug werfen.

Gerhard Lenz | Do., 19. Mai 2022 - 09:14

Es sollte eigentlich gar keine Diskussionen darüber geben, dass ein Mensch mit entsprechender verantwortungsvoller Unterstützung in einer ausweglosen Situation selbst entscheidet, ob er seinem zur Qual gewordenen Leben ein Ende setzen darf.

Deutschland muss auch nicht schon wieder das Rad neu erfinden. Es gibt seit längerer Zeit Länder, in denen Sterbehilfe auch aktiv praktiziert wird. Von den dortigen Erfahrungen kann man sicher das eine oder andere lernen.

Ich kann mir schon die miefigen, mit christlichem Fundamentalismus beladenen Moralapostel in ihrer Empörung vorstellen, die mit schiefem Mund ein selbstbestimmtes Lebensende als unverzeihlichen Sündenfall verdammen.

Oder jene Stimmen, die dahinter wieder nur ein "Geschäftsmodell" vermuten.

Wer über die Bäuche junger Frauen entscheiden will (und gegen Abtreibung), der wird auch gegen Sterbehilfe wettern. Da scheint dann "Bevormundung" plötzlich eine sinnvolle Sache zu sein.

Das Recht auf freie Entscheidung jedoch Todsünde.

Joachim Kopic | Do., 19. Mai 2022 - 14:26

Antwort auf von Gerhard Lenz

... allerdings kann man es mit Abtreibungen nicht ganz vergleichen: Die Ungeborenen können nicht gefragt werden bzw. selbst entscheiden, ob sie weiterleben möchten. Ein kleiner Unterschied ... und trotzdem oder gerade deshalb möchte ich nicht in der "Haut einer Schwangeren" stecken.