- Koalition der Sollbruchstellen
Die Große Koalition hat noch nicht einmal richtig die Arbeit aufgenommen, da kracht es schon. Schon jetzt ist absehbar, dass Dauerstreit das Bündnis prägen wird. Die CDU hat keine andere Wahl, als sich den Grünen zuzuwenden
Die Ruhe zwischen den Jahren haben sich Angela Merkels Christdemokraten redlich verdient. Erst der Monate lange Wahlkampf, dann das Vierteljahr der Sondierungs- und Koalitionsgespräche - das schafft. Da können sie jeden Weihnachtstag, in dem es mal nicht um Politik, jeden freien Tag, an dem keine Inhalte oder Personalien abgestimmt werden müssen, gut gebrauchen.
Die politische Pause zwischen Weihnachten und Dreikönig ist aber zu kurz, um die Christdemokraten für das zu wappnen, was kommt: Ihnen stehen Jahre des Konflikts bevor. Die Koalition, die sie mit CSU und Sozialdemokraten eingegangen sind, wird ein kraftraubendes Bündnis, in dem jeder gegen jeden agiert, in dem die Sollbruchstellen schon zu sehen sind, obwohl die GroKo ihre Arbeit noch nicht einmal richtig aufgenommen hat. Im Vergleich zu dem, was nun kommt, war die phasenweise heillos zerstrittene schwarz-gelbe Koalition ein Hort der Harmonie.
Einen Vorgeschmack gab es schon, als die Minister noch nicht einmal vereidigt waren. Die Sozialdemokraten schossen kräftig gegen den designierten Digitalminister Alexander Dobrindt (CSU) und stutzten verbal dessen Zuständigkeit zurück. Nur wenige Tage später schoss CSU-Chef Horst Seehofer quer: Beim von den Koalitionären vereinbarten gesetzlichen Mindestlohn müsse es Ausnahmen geben - für Praktikanten, für dazuverdienende Rentner. Die SPD reagierte mehr als verschnupft.
Die Streitereien zwischen CSU und SPD sind programmiert. Denn da sind noch die im Koalitionsvertrag untergebrachten Zeitbomben doppelte Staatsbürgerschaft und Pkw-Maut. Gegen die eine sind konservative CSUler, gegen die andere europafreundliche Sozialdemokraten - viel Vergnügen beim Versuch der Konsensfindung.
Die CDU wird in den nächsten Monaten und Jahren nicht nur zwischen den ungleichen Partnern vermitteln müssen, sie hat auch intern einiges zu klären und somit Koalitionszündstoff zu bieten. Bei ihr hat das Ringen um die Nachfolge Angela Merkels begonnen.
Die Kanzlerin absolviert gerade ihre dritte Amtszeit. Obwohl sie noch nicht einmal 60 ist, gehen viele in der Union davon aus, dass es ihre letzte sein könnte. Da Wolfgang Schäuble zu alt ist und Merkel potenzielle Konkurrenten wie Friedrich Merz oder Norbert Röttgen aus der Politik gedrängt hat, bleiben derzeit in der CDU nur noch zwei potenzielle Nachfolger: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr Amtsvorgänger Thomas de Maizière. Der Konflikt zwischen den beiden wird ein prägender Bestandteil der GroKo sein.
Von der Leyen wird nachgesagt, von Ehrgeiz zerfressen zu sein. Sie wollte schon Bundespräsidentin werden, Außenministerin und weigerte sich zuletzt, das Gesundheitsministerium zu übernehmen, weil es ihr nicht bedeutend genug erschien. Wenn es der eigenen Profilierung dient, kennt sie keine Loyalitäten. Sie mobbte Kristina Schröder, ihre Amtsnachfolgerin als Familienministerin. Sie bahnte vor knapp einen Jahr beim populären Thema Frauenquote ein Bündnis mit SPD und Grünen an - hinter Merkels Rücken. Die Frau, die sich mit dem heimeligen Sieben-Kinder-Image schmückt, ist zu allem entschlossen.
Und da ist Thomas de Maizière, den sie aus dem Bundeswehrministerium vertrieben hat, der ihr dies nachträgt. Im Gegensatz zu ihr hat er in der CDU eine Hausmacht. Vor allem aber kennt er das Verteidigungsministerium aus dem Effeff, weiß inzwischen um all seine Fallgruben und Minenfelder, die schon etlichen Ressortchefs zum Verhängnis wurden. Auch de Maizières bis dato tadelloses Image erhielt durch die Drohnen-Affäre Kratzer.
Auf diesem Feld agiert nun von der Leyen, die ohne jegliche Fachkenntnisse an ihr Amt kam. Sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann ins Straucheln kommen. Und de Maizière müsste schon ein Übermaß an christlicher Nächstenliebe aufbringen, um der Versuchung zu widerstehen, mögliche Stolperer der Konkurrentin in die Öffentlichkeit zu lancieren.
Aber es gibt noch jemanden, der sich für die Kanzlerschaft warm läuft. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat nach der verheerenden Wahlniederlage alles auf eine Karte gesetzt, um seiner Partei eine Position auf Augenhöhe mit Merkels Sieger-CDU zu sichern: Ein negatives Votum der SPD-Basis zu Verhandlungen mit der Union und Koalitionsvertrag hätte sein Ende als Parteichef besiegelt.
Bei diesem Alles-oder-Nichts-Manöver hat er allerdings einen wichtigen Aspekt übersehen: Er hat sich in Merkels Kabinett mit der Zuständigkeit für Wirtschaft und Energiewende das falsche Ressort geangelt. Wirtschaftsminister sind traditionell einflusslos, und die Energiewende wird in der Öffentlichkeit als Problem mit falschen Subventionen, Strompreiserhöhungen und Netzausbau-Verzögerungen wahrgenommen. Sobald Gabriel dies wahrgenommen hat, wird er sich auf Teufel komm raus profilieren wollen, um seine Anwartschaft auf die Kanzlerkandidatur parteiintern zu sichern. Und das kann nur auf Kosten der Koalitionspartner gehen.
Die Christdemokraten ahnen ansatzweise, was auf sie zukommt: Ein unberechenbarer Koalitionspartner, dem nur zu bewusst ist, wie er nach der letzten Großen Koalition von den Wählern mit dem schlechtesten Ergebnis der SPD-Geschichte bedacht wurde. Ein Koalitionspartner, der jederzeit aus der GroKo aussteigen kann, weil er sich per Parteitagsbeschluss die rot-rot-grüne Option gesichert hat - ein Bündnis, das schon jetzt im Bundestag die rechnerische Mehrheit hat.
Die CDU steuert gegen - indem sie eine Koalition mit den Grünen vorbereitet. Sei es nach der nächsten Bundestagswahl 2017, sei es für den Fall eines Koalitionsbruches. Jüngere CDU- und Grünen-Abgeordnete haben die frühere "Pizza-Connection" reanimiert. Schon im Januar soll das erste Treffen stattfinden, um sich kennenzulernen, Aversionen abzubauen und Gemeinsamkeiten zu sondieren.
Es gibt führende Köpfe bei den Grünen, die glauben, dass im Herbst "eine historische Chance vertan wurde", als Jürgen Trittin und Claudia Roth einer schwarz-grünen Koalition eine Absage erteilten und Merkel die Partei nicht offensiv genug umwarb. Diese Chance wird nun in Hessen nachgeholt, mit der ersten Koalition aus CDU und Grünen in einem Flächenland. Den sehr ungleichen Partnern Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir ist es tatsächlich gelungen, einen Koalitionsvertrag zu schmieden und - noch wichtiger - die breite Zustimmung ihrer jeweiligen Parteibasis dafür einzuholen.
Funktioniert Hessen, dann ist Schwarz-Grün im Bund nicht nur eine arithmetische Überlegung, sondern eine ernsthafte Option. Sei es 2017 oder eben früher. Für die schon bald in der GroKo zermürbte CDU ist die Hoffnung grün.
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