Kuschenkino
Absturzstelle eines Privatjets beim Dorf Kuschenkino / picture alliance

Flugzeugabsturz - Söldnerführer Prigoschin zwei Monate nach Meuterei gegen Putin tot

Lange hat Jewgeni Prigoschin mit seinen Wagner-Söldnern Kampfaufträge für den Kreml erfüllt. Dann meuterte er und machte sich Präsident Wladimir Putin zum Feind. Nun stürzt der Söldnerchef mit einem Flugzeug ab.

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Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei beim Absturz eines Flugzeugs in Russland getötet worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin nutzte, bestätigte am Mittwochabend den Tod. Eine offizielle Bestätigung stand noch aus. Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija teilte indes mit, sein Name habe auf der Passagierliste gestanden. Alle zehn Personen an Bord seien vorläufigen Informationen zufolge ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit.

Zur Absturzursache gab es am Abend noch keine offiziellen Angaben. Die russischen Behörden leiteten Ermittlungen ein. Grey Zone verbreitete aber die Version eines gezielten Abschusses durch die russische Luftwaffe. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. „Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands“, hieß es in dem Post. „Aber selbst in der Hölle wird er der beste sein!“

Die Maschine vom Typ Embraer Legacy 600 sollte von Moskau nach St. Petersburg fliegen, wo Prigoschins Firmen ihren Sitz haben. Sie stürzte demnach im Gebiet Twer bei dem Ort Kuschenkino mehr als 200 Kilometer von Moskau entfernt ab. An Bord waren drei Mann Besatzung. Noch am Abend wurden acht Leichen aus den Trümmern geborgen, wie Quellen im Rettungsdienst der Stadt Bologoje der Agentur Tass sagten.

Exakt zwei Monate nach der Meuterei

Grey Zone zufolge soll auch ehemalige Geheimdienstler Dmitri Utkin, der offizielle Wagner-Kommandeur, auf der Passagierliste gestanden haben. Den Angaben nach war noch ein zweites Flugzeug der Privatarmee auf dem Flug von Moskau nach St. Petersburg. Dieses habe kehrtgemacht und sei im Flughafen Ostafjewo südlich von Moskau gelandet.

Prigoschin (62) hatte auf den Tag genau vor zwei Monaten mit seiner Privatarmee Wagner gegen die russische Führung gemeutert, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Bei dem Vormarsch auf Moskau forderten die Meuterer die Ablösung von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow. Prigoschin griff aber auch Präsident Wladimir Putin selbst an. Der Kremlchef nannte Prigoschin einen Verräter. Die Meuterei endete damit, dass der Wagner-Chef und Tausende seiner Bewaffneten nach Belarus gehen konnten.

 

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Die von ihm aufgebaute Söldnertruppe hatte für Russland erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas erfüllt. Im Angriffskrieg auf die Ukraine warb Prigoschin Häftlinge aus russischen Gefängnissen an. Die Truppe erlitt schwere Verluste in den Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut. Prigoschin warf der regulären Militärführung Unfähigkeit und Korruption vor.

Prigoschin hatte selbst im Gefängnis gesessen und später Karriere als Hoflieferant für den Kreml gemacht, daher rührt sein Beiname „Putins Koch“. Er soll auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken in St. Petersburg gewesen sein, die über soziale Netzwerke Einfluss auf westliche Länder zu nehmen versuchten. Der Söldnerführer meldete sich zuletzt am Montag mit einem Video angeblich aus Afrika.

US-Präsident Joe Biden hat wenig überrascht auf den Flugzeugabsturz reagiert. Er wisse nicht genau, was passiert sei, er sei aber nicht überrascht, sagte Biden am Mittwoch am Rande eines Urlaubsaufenthaltes im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf die Frage von Reportern, ob seiner Ansicht nach Russlands Präsident Wladimir Putin hinter dem Absturz stecke, sagte Biden: „Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt.“ Er wisse aber nicht genug, um dies beantworten zu können.

dpa

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Thomas Hechinger | Mi., 23. August 2023 - 23:32

Wer sich mit Wladimir Putin anlegt, hat nur eine Chance. Wie „Putins Koch“ glauben konnte, ein wenig Aufstand gegen den Chef zu spielen, dann „Ätsch! Ätsch!“ zu sagen, und alles ist wieder Friede, Freude, Eierkuchen, verwundert. Nun hat er dafür mit dem Leben bezahlt.
Jeder aus dem Machtzirkel weiß spätestens jetzt: Der erste Schuß muß sitzen, einen zweiten hat man nicht mehr.

Christoph Kuhlmann | Do., 24. August 2023 - 04:20

Das zentrale Kennzeichen jedes Staates ist das Gewaltmonopol innerhalb seiner Grenzen. Das muss wohl auch Putin erkannt haben. Ein Staat, der in dieser Frage Kompromisse macht, löst sich auf. Wagner hat der Ukraine viel Kopfzerbrechen bereitet. Die Organisation war die einzige, die nennenswerte Bodengewinne in der russischen Offensive 22/23 zustande gebracht hat. In Afrika hat Gruppe vielen Diktatoren bei der Errichtung und Bewahrung von Schreckensregimen geholfen. Die asymmetrische Kriegsführung wird Russland in Zukunft schwerer fallen und die russischen Veteranen haben eine Einnahmequelle weniger. Putin festigt seine Macht. Ein organisierter Widerstand gegen ihn scheint in Russland nicht möglich. Weder von Ultranationalisten noch von Kriegsgegnern. Andererseits kann er nicht verhindern, dass Moskau seit einer Woche täglich von Drohnen angegriffen wird. Das weit im russischen Hinterland Bomber explodieren. Es gibt Guerillagruppen in Russland. Ein Zeichen der Schwäche Putins.

Andreas Braun | Do., 24. August 2023 - 07:09

Für mich ist man viel zu schnell mit Schuldzuweisungen an Putin unterwegs. Prigoschins Gegner war nicht Putin, es waren Schoigu und Gerassimov, die sich in der Ukraine militärisch als absolute Dilettanten erwiesen haben. Zudem ist Wagner für die geostrategischen Interessen Russlands in Afrika zu wichtig, als dass es einen Mehrwert brächte, Prigoschin jetzt zu liquidieren.
Nicht auszuschließen ist auch eine Aktion westlicher Dienste mit Blick auf die Situation in Niger. Andere Publikationen melden bereits, dass den französischen AKW die Brennstäbe knapp werden. Es ist also mit dem baldigen Einmarsch der ECOWAS-Truppen unter Führung und/oder Anleitung Frankreichs zu rechnen.
Eine führungslose Wagner-Truppe ist da sicher hilfreich.

Thomas Hechinger | Do., 24. August 2023 - 11:23

Antwort auf von Andreas Braun

Westliche Dienste schießen ein paar hundert Kilometer nördlich von Moskau ein Flugzeug ab? Einfach so? Das glauben Sie doch nicht im Ernst! Und daß Shoigu und Gerassimow ohne Zustimmung von ganz oben in einer solchen Sache tätig werden, ist undenkbar. Es sei denn, Putin wäre gar nicht mehr der Chef, sondern eine Puppe in der Hand der beiden. Aber danach sieht es nicht aus.
Putins System ist nach Art der Mafia aufgebaut. Man kann da nicht einfach aussteigen. Und schon gar nicht kann man ein wenig aufsässig sein. Wer die Autorität des Bosses in Frage stellt, ist weg. Mit dem Flugzeug abgestürzt. Aus dem Fenster gefallen. An der Kremlmauer erschossen. Am Tee vergiftet. Die Glücklicheren landen im Gefängnis.
Einen Trost gibt es. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Boss eines Tages nach derselben Methode beseitigt werden. Irgendwann zieht mal einer schneller und bekommt nicht derweil ein Zittern in den Knien.

Peter Sommerhalder | Do., 24. August 2023 - 09:30

Das verwundert mich jetzt doch ein bisschen. Prigoschin setzt sich in einem Russland-Inlandflug auf die Passagierliste... (An Kreml, ich bin im Fall in diesem Flugzeug)

Der Herr Prigoschin war vielleicht grausam und brutal, gierig und korrupt, ungestüm und rücksichtlos. Dennoch brauchte auch er ein wenig Zuneigung. Und die glaubte er von seinem Ziehvater Wladimir zu erfahren. Jetzt ist er in seiner ewigen Liebe aufgegangen.

Gerhard Lenz | Do., 24. August 2023 - 10:53

Schon wieder ein Putin-Gegner verunglückt? So ein Zufall!
Vielleicht hat Zar Vladimir das Flugzeug ja höchst persönlich gewartet. Dann könnte es natürlich auch schlichte Stümperei gewesen sein.

Ernsthaft: Was die Beseitigung der politischen Opposition angeht, ist Russland in Sachen Effizienz wirklich Supermacht. Da werden Regierungsgegner schon mal von "Tschetschenen" ermordet, fallen aus dem Fenster, sind so blöd, sich radioaktiver Vergiftung in Speis und Trank auszusetzen. Haben sie Glück, verschwinden sie nur für Jahrzehnte in Sibirien - siehe Nowotny.

"Putin-Kenner" wissen es natürlich besser. Die Amis waren es, oder die deutschen Rot-Grünen-Khmer.

Vielleicht war es auch nur ein "Unfall", so wie 2014, als ein Flugzeug "versehentlich" von einer russischen Luftabwehrrakete getroffen wurde, und 298 Insassen, darunter 80 Kinder, den Tod fanden.

Nein, Putins Russland ist eben mehr als eine hochgerüstete Bananenrepublik. Ein Staat, in dem mordlüsterne Verbrecher das Sagen haben.

Erich Becker | Do., 24. August 2023 - 11:44

Von der Offensive zur Defensive bedeutete das aus von Prigoschins Angriffsarmee, da Putin die Strategie von der offensiven Eroberung zur Verteidigung dessen, was sie bereits hatten, änderte. Eine erfolgreiche Verteidigung erfordert einen sparsamen Umgang mit den Mitteln. Das hiess für die Wagner-Einheiten, in der folgenden Zeit der Neuausrichtung widerwillig in den Hintergrund zu treten. Prigoschin wollte darauf seine Streitkräfte verstärken und seinen Sektor stabilisieren - weigerte sich, auf Verteidigung umzustellen und setzte die Offensive gegen die Stadt Bachmut fort. Dort lag der Knackpunkt. Anstatt eine öffentliche Krise heraufzubeschwören und Prigoschin vor ein Kriegsgericht zu stellen, hielt Moskau einfach die Ressourcen zurück und liess Prigoschin seine Personal- und Feuerkraftreserven aufbrauchen. Prigoschin protestierte öffentlich, doch er war zum Aufgeben verdammt. Putin war durch Prigoschin nie gefährdet - und hatte vermutlich auch keine Interesse an seinem Tod.

Wolfgang Borchardt | Do., 24. August 2023 - 13:09

konkrete Erscheinungsform der Notwendigkeit (Hegel). Vor allem dann, wenn man sich einem so mächtigen Mann wie Putin entgegenstellt.

Henri Lassalle | Do., 24. August 2023 - 14:14

so wie viele andere Putin-Gegner "geselbstmordet" wurden. Da ist Putin unerbittlich, wie ein Gangsterchef, der um seine Allmacht besorgt ist oder wenn man seinen Narzissmus kränkt.

Ernst-Günther Konrad | Do., 24. August 2023 - 14:52

Da hat sich die Redaktion aber früh festgelegt. War jemand dort und hat Prigoschin identifizieren könne. Nein, nicht falsch verstehen. Ich will keine Verschwörungstheorie entwickeln. Das tun inzwischen die Msm zur Genüge. Nur, wenn P. noch lebt, wie schreibt Cicero ihn wieder "lebend"? Das kleine Wörtchen "vermutlich" hätte diese Not nicht entstehen lassen.