Panzer der Bundeswehr bei der Nato-Übung „Griffin Storm“ in Litauen / dpa

Deutschlands Beitrag zur Nato - Nicht nur auf die zwei Prozent schauen

Auf dem Nato-Gipfel in Vilnius einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, jährlich mindestens zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung aufzuwenden. Deutschland stellt allerdings schon jetzt fast alle seine nationalen Einsatzkräfte der Nato zur Verfügung und leistet damit mehr für die Bündnisverteidigung als etwa Frankreich und Großbritannien.

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Helmut W. Ganser, Brigadegeneral a.D., hat u.a. im Verteidigungs- ministerium und in den deutschen Vertretungen bei der Nato und den Vereinten Nationen gearbeitet.

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Unabhängig davon, ob der russische Angriffskrieg in der Ukraine in absehbarer Zeit beendet wird oder in einen jahrelangen Krieg mit abwechselnden Phasen niedriger und hoher Kampfintensität übergeht – die europäische Sicherheitslage wird durch eine harte Konfrontation zwischen Russland und der Nato gekennzeichnet sein. Sie wird aller Voraussicht nach instabiler und prekärer sein, als dies in den meisten Phasen des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert der Fall war. Denn die Rückkehr zu einer stabilisierenden Sicherheitskooperation mit Russland wird auf lange Zeit versperrt sein. Die Russlandpolitik im Rahmen von Nato und Europäischer Union wird vermutlich auf ein Ad-hoc-Konfrontationsmanagement gegenüber Russland reduziert sein, um eine direkte militärische Auseinandersetzung zu verhindern.

Die Nato kehrt zur Abschreckung und einer neuen Verteidigungsplanung für die Ostflanke zurück. Das neue Streitkräftemodell („Nato Force Model“) setzt auf erhöhte Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit im Rahmen regionaler Einsatzpläne. Bis zu 500.000 multinationale Nato-Kräfte sollen in drei Reaktionsstufen für die Verteidigung der Ostflanke bereitstehen. Ein Teil davon wird unmittelbar an der Nato-Ostgrenze stationiert, wo sich dann Nato-Truppen und russische Truppen permanent an der langen osteuropäischen Konfrontationslinie zwischen Nord-Norwegen, Finnland und dem Schwarzen Meer unmittelbar gegenüber stehen.

Neben Kampftruppen des Heeres, Luft- und Marineverbänden werden von Deutschland als logistische Drehscheibe erhebliche Anpassungen und Leistungen z.B. im Verkehrsnetz gefordert. Der Schutz des deutschen Territoriums gegen ballistische Raketen, Marschflugkörper und Hyperschallflugkörper, insbesondere gegen Angriffe auf Verkehrsknotenpunkte, erhält durch diese Drehscheibenrolle ein besonderes Gewicht. Die deutsche „European Sky Shield“-Initiative, der sich bereits viele Staaten angeschlossen haben, ist daher von sehr großer Bedeutung, um Schaden von Deutschland und europäischen Partnern abzuwenden, in Ergänzung und Verstärkung der gemeinsamen Luftverteidigung der Nato.

Deutschland steht ein innenpolitischer Kraftakt bevor

Die neuen regionalen Einsatzpläne und das Streitkräftemodell der Nato bedürfen der Unterfütterung durch verstärkte Investitionen in die Bündnisverteidigung. Auf ihrem Gipfeltreffen in Vilnius haben sich alle Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten am 11. Juli 2023 verpflichtet, dauerhaft jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren.

Deutschland muss folglich den Verteidigungshaushalt unter Einschluss des Sondervermögens auf das Zwei-Prozent-Niveau bringen und halten. Ein innenpolitischer Kraftakt. Allerdings ist der Parameter Höhe der Verteidigungshaushalte in Prozent des BIP lediglich eine finanzielle „Input-Größe“. Der Prozentwert eignet sich zwar hervorragend für den vergleichenden statistischen Wettbewerb unter den Bündnispartnern, er sagt aber nur sehr Ungefähres darüber aus, welche militärischen Fähigkeiten die Bündnispartner der Allianz tatsächlich zur Verfügung stellen wollen und können. Und darauf kommt es letztendlich an.

 

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Der konkrete „Output“ an Truppen und Fähigkeiten für die Nato-Verteidigung ist die entscheidende Vergleichsgröße, die leider kaum öffentlich diskutiert wird. Während Deutschland traditionell fast alle nationalen Einsatzkräfte der Nato zur Verfügung stellt, geben einige andere Nationen signifikante finanzielle Mittel für Kräfte und Fähigkeiten aus, die der Bündnisverteidigung nicht zur Verfügung stehen. Beispielsweise wird ein nicht unwesentlicher Teil der Verteidigungshaushalte in Frankreich und Großbritannien für die rein nationalen Atomstreitkräfte und für den Schutz außereuropäischer nationaler Territorien verwendet, also nicht für die Bündnisverteidigung. Bei den USA bleibt aufgrund des globalen Einsatzspektrums weiterhin unklar, in welchem Umfang sie in verschiedenen Szenarien militärische Kräfte heranführen und der Nato unterstellen würden, zumal die USA sich strategisch auf die Rivalität mit China und den indo-pazifischen Raum konzentrieren.

Mehr Transparenz über den tatsächlichen militärischen Output würde zu faireren Vergleichen führen

Im Verteidigungsplanungsprozess der Nato werden die nationalen militärischen Kräftezusagen in einem strukturierten Planungszyklus mit den Nato-Behörden und im Kreis aller Bündnispartner ausgehandelt. Die im wesentlichen bereits 2014 vereinbarten deutschen Beiträge (hauptsächlich drei Heeresdivisionen und erhebliche Luftwaffen- und Marineeinheiten bis 2032) sind bekannt. Die konkreten Beiträge der anderen Nationen und deren Erfüllungsgrad auf der Zeitachse sind kein Thema. Mehr Transparenz über den tatsächlichen militärischen Output der Bündnispartner für die Nato würde zu faireren Vergleichen führen. Eine weitere Möglichkeit wäre, bei der Gegenüberstellung der Verteidigungsausgaben nur finanzielle Leistungen zu berücksichtigen, die sich auf Kräfte und Fähigkeiten beziehen, die dem Nato-Oberbefehlshaber (SACEUR) faktisch zur Verfügung stehen.

Vermutlich werden sich Partner wie Frankreich und Großbritannien nicht auf solche Realvergleiche einlassen wollen. Deutschland muss sich aber auch nicht von Bündnispartnern, die das Zwei-Prozent-Ziel heute schon wesentlich überschreiten, vorführen lassen und kann durchaus selbstbewusst auftreten. Bei einer auf die konkreten Nato-Beiträge konzentrierten Betrachtung würde das Gesamtbild jenseits der reinen Finanzstatistik differenzierter ausfallen. Wenn die Nato einen Fähigkeits- und Leistungswettbewerb unter den Bündnispartnern will, sollte sie diesen nicht nur auf die Verteidigungshaushalte konzentrieren, sondern die eigentlichen Parameter, die tatsächlichen militärischen Leistungen der Bündnispartner für die Nato, öffentlich sichtbar in den Mittelpunkt stellen. Dann würde auch das deutsche politische und militärische Gewicht als stärkster europäischer Allianzpartner sichtbarer.

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Albert Schultheis | Mi., 12. Juli 2023 - 13:52

"Die Nato kehrt zur Abschreckung", zum diesmal Heißen Krieg zurück. Entspannung, Handreichung - so etwas gab es nur einmal mit den USA nach '45 mit den Nazis, weil man sie brauchte im Kampf gegen die Sowjet-Kommunisten. Damals war die CDU sofort mit dabei, so wie heute die RotGrünen Khmer unter Wende-Olaf, Kriegserklärungs-Annalena, Haubitzen-Toni und Streubomben-Agnes.
"die europäische Sicherheitslage ... eine harte Konfrontation zwischen Russland und der Nato." Auf lange Zeit. Auf dass kein Gas und kein Öl mehr fließe durch Nordstream! Im deutschen Interesse liegt das nicht! Nicht einmal im europäischen Interesse. Aber auf unsere Interessen kommt es gar nicht an, nicht einmal bei unseren Herrschenden - deshalb wird es nie eine Untersuchung des militär. Angriffs auf die deutsche Peiplein geben. Deutschland ein okkupiertes Land! Man lässt uns Witschaftswundertüten aufblasen und platzen lassen, Parties feiern und die Zeche zahlen - für Afghanistan, Irak, Syrien und jetzt die Ukraine!

Tomas Poth | Mi., 12. Juli 2023 - 15:23

Interessanter Artikel, der auf eine Diskrepanz hinweist!
Deutschland wird gegen die Russen gepresst und getrieben, zum Nutzen der anderen Nato-Länder!
So wie die Ukrainer den Blutzoll für diese angelsächsische Politik zahlen, wird man von Deutschland dasselbe erwarten!
Fein ausgedacht!

Armin Latell | Mi., 12. Juli 2023 - 20:05

Der Wert einer nackten, blinden, tauben und schwerstbehinderten Bundeswehr ist im "Verteidigungsbündnis" eher gegen Null. Afghanistan und Mali zeigen deutlich, wie es um die "Kampfkraft" der seit langem ungeliebten Bw bestellt ist. Absolut überlebensnotwendiges Material und Ausrüstung wird an die Ukr verschenkt. Eine schier unglaubliche Leistung soll das Stationieren von 4.000 dt. Soldaten in Litauen sein. Das ist dermaßen lächerlich. Damals kursierte der Witz: "Für was ist die Bundeswehr da? Den Feind so lange aufzuhalten, bis Soldaten kommen". Wenn schon Generäle offiziell äussern, die Bw sei nackt, nicht mal bedingt verteidigungsbereit. So muss es eben kommen, wenn Quotinnen diese Trachtengruppe verwalten.

Albert Schultheis | Do., 13. Juli 2023 - 09:21

Die Nato sollte einmal anfangen darüber nachzudenken, dass zu den Kosten eines Krieges auch die Folgekosten - meist nach US-Niederlagen oder Desastern - dazugehören! Deutschland hat für die Folgekosten der US-Kriege im Irak, Syrien, Afghanistan und jetzt in der Ukraine, die alle keine Nato-Kriege waren oder hätten sein dürfen, die Hauptlast getragen - nämlich mit der Aufnahme und Rundumversorgung von Flüchtlingen, Traumatisierten, Versehrten und Asylsuchenden! Wir reden über ca 6 Mio Menschen. Diese Gesamtkosten dürften sich mittlerweile auf ca 80 Mrd € im Jahr belaufen! Hinzu kommen nicht mehr tragbare gesellschaftliche Verwerfungen bis hin zu sozialer Dystopie als Folge in Deutschland. Das sind Flüchtlinge und Folgekosten, die eigentlich nach Amerika gehörten, denn all diese Kriege waren von den USA angezettelte Hegemonialkriege. Wenn wir die Kriegsfolgenkosten mit in die Bilanz der Militärausgaben aufnähmen, dürfte Deutschland innerhalb der Nato-Sponsoren einsam an der Spitze liegen