Gebirgsregion in Aserbaidschan / picture alliance

China und die Türkei in Zentralasien - Vorstoß der Lückenfüller

Wenn die Vereinigten Staaten ihr Engagement in Zentralasien nicht drastisch verstärken, werden andere Länder die Lücken füllen. Langfristig sind die Türkei und China die beiden Hauptakteure, die zunehmend in das Herz Eurasiens vordringen werden.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Während Russlands Präsenz in Zentralasien zurückgeht, versuchen China und die Türkei, die Lücke zu füllen. Sie nähern sich der Region aus unterschiedlichen Richtungen, mit unterschiedlichen Instrumenten und Fähigkeiten, und beide haben ihre eigenen Vorteile und Beschränkungen. Wenn die Vereinigten Staaten ihr Engagement in der Region nicht drastisch verstärken, werden China und die Türkei die post-russische Landschaft in Zentralasien zwangsläufig in unterschiedlichem Maße prägen.

Und es liegt sehr in ihrem jeweiligen Interesse, dies zu tun. Je länger die Russen in einen Konflikt mit dem Westen verwickelt sind, desto mehr Raum schafft Peking, um in Russlands traditionelle Einflusssphäre vorzudringen. Aus diesem Grund gibt sich der chinesische Präsident Xi Jinping im Ukraine-Krieg als Friedensstifter, auch wenn er im nächsten Monat die Staats- und Regierungschefs aller fünf zentralasiatischen Länder zu einem Treffen empfangen wird, das Peking als „erstes Gipfeltreffen zwischen China und Zentralasien“ bezeichnet.

Ankara stört das Machtgleichgewicht

Die Türkei verhält sich ähnlich und spielt in der Ukraine den Vermittler, während sie hofft, aus Russlands schwindendem Einfluss im Schwarzen und Kaspischen Meer Kapital zu schlagen. Ankara ist in einer weitaus besseren Position als Peking, um das russische Verhalten gegenüber der Ukraine zu beeinflussen, wie die diplomatischen Bemühungen Ankaras um eine Einigung zwischen Moskau und Kiew zeigen, die sicherstellen soll, dass der Krieg die Getreidelieferungen nicht unterbricht. Dennoch weiß Ankara: Je mehr Moskau durch den Krieg und die Sanktionen geschädigt wird, desto mehr geopolitischer Raum entsteht für die Türkei.

Die Bemühungen der Türkei, sich auf Kosten Russlands zu behaupten, gingen dem Krieg in der Ukraine voraus. Im Jahr 2020 erkannte Ankara die Verwundbarkeit Moskaus im Südkaukasus und griff in den Berg-Karabach-Krieg ein, indem es seinem Verbündeten in Aserbaidschan militärische und geheimdienstliche Unterstützung gewährte. Auf diese Weise gelang es Baku, einen großen Teil des seit 1994 von Armenien kontrollierten Gebiets zurückzuerobern und Armenien zu zwingen, die Vermittlungsbemühungen seines historischen Feindes zu akzeptieren. Ankara störte damit das Machtgleichgewicht, das die Russen seit dem Zerfall der Sowjetunion zwischen Eriwan und Baku aufrechterhalten hatten.

Eine öl- und gasreiche Region

Für die Türkei war dies nur der erste kleine Schritt in ihrem langfristigen Plan, ihren Einfluss im weiteren Schwarzmeerraum nach Norden auszudehnen. Ankara ist sich bewusst, dass trotz des Rückschlags im Südkaukasus der Einfluss des Kremls in der gesamten Region stark bleibt, insbesondere im Nordkaukasus, der formell zur Russischen Föderation gehört. Es überrascht daher nicht, dass die Türkei ihren Blick nach Osten richtet, über das Kaspische Meer hinaus auf die Länder Zentralasiens.

Die Türkei sieht in der öl- und gasreichen transkaspischen Region eine wichtige Alternative zu ihrer derzeitigen Abhängigkeit von Russland und eine Möglichkeit, ihre Ambitionen als Energietransitdrehscheibe zu verwirklichen. Dabei hilft ihr, dass die Region von Turkvölkern bewohnt wird, mit denen sie seit langem ethnische, sprachliche, kulturelle und religiöse Bindungen hat. Aus diesem Grund wurde 2009 der regionale Block der Organisation der Turkstaaten gegründet, dem Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan angehören. Diese Pläne werden jedoch durch die tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Probleme der Türkei gebremst, die das Ausmaß begrenzen, in dem Ankara zu einem wichtigen Akteur in einer anderen Region werden kann.

Durch Zentralasien bis Europa 

China unterliegt in dieser Hinsicht weniger Zwängen. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist es weitaus besser in der Lage, von den Verlusten Russlands zu profitieren, und hat die feste Absicht, seine Position entsprechend zu nutzen. Peking ist sich bewusst, dass es auf dem Meer nicht mit den Vereinigten Staaten konkurrieren kann, und hat seine Bemühungen stattdessen auf Gebiete wie Zentralasien konzentriert, in denen die USA weniger wettbewerbsfähig sind. Die Region hat den zusätzlichen Vorteil, dass sie Europa, den Nahen Osten und den ehemaligen sowjetischen Raum miteinander verbindet.
 

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Tatsächlich hat Peking mit seiner 2013 (ausgerechnet in Kasachstan) gestarteten „Neue-Seidenstraße-Initiative“ einen großen Vorsprung. China importiert bereits große Mengen an Erdgas aus Turkmenistan über eine Pipeline, die durch Usbekistan und Kasachstan führt. Außerdem gibt es eine Eisenbahnverbindung mit Europa, die durch Kasachstan und Russland führt, die allerdings durch den Ukraine-Krieg unterbrochen wurde. Ebenso wie es im Interesse der Europäer liegt, in der Energieversorgung nicht so stark von Russland abhängig zu sein, ist China vorsichtig, sich beim Zugang zu den europäischen Märkten zu sehr auf russisches Territorium zu verlassen.

Das bedeutet, dass China Routen durch Zentralasien, das Kaspische Meer und den Südkaukasus, die Türkei und dann weiter nach Europa entwickeln muss. Das ist ein großes Unterfangen, das mit einer Reihe von politischen, wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen verbunden ist. Peking ist durchaus zum Aufbau von Infrastruktur in der Lage, aber nur unter günstigen geopolitischen Bedingungen. Die Neue Seidenstraße wurde vor allem deshalb möglich, weil Washington damit beschäftigt war, zu verhindern, dass die Gewalt in Afghanistan auf die umliegenden Regionen übergreift. So konnte Peking Seidenstraßen-Projekte in Pakistan und Kasachstan aufbauen – aber jetzt, da das US-Militär abgezogen ist, die Taliban in Kabul wieder an der Macht sind und die Instabilität auf diese Regionen ausstrahlt, sind die chinesischen Pläne mit Unsicherheit behaftet.

Russland ist am Boden, aber nicht am Ende

Hinzu kommt der schwache Zustand der chinesischen Wirtschaft nach der Pandemie zu einer Zeit, in der Xi dabei ist, die institutionalisierte Autokratie Pekings zu personalisieren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Bedingungen in Süd- und Zentralasien drastisch verschlechtern. Pakistan beispielsweise durchlebt die schwerste politische und wirtschaftliche Krise seiner Geschichte, die größtenteils auf Misswirtschaft zurückzuführen ist, aber auch zumindest teilweise auf die Schulden, die durch den Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor, das wichtigste Seidenstraßen-Projekt, entstanden sind.

China hat keine Lösungen für Probleme wie diese, weil es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten nie für regionale Sicherheit gesorgt hat. Auch kann es Ländern wie Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan, die sich auf einem komplizierten Weg zu politischen Reformen befinden, nicht helfen. In der Zwischenzeit muss sich Peking um Tadschikistan sorgen, welches das schwächste Land in der Region ist und am anfälligsten für ein Übergreifen der Ereignisse in Afghanistan. Ein Scheitern Tadschikistans würde ernsthafte Probleme für die Stabilität von Xinjiang mit sich bringen, dem unruhigen Gebiet im äußersten Westen Chinas, wo Peking beträchtliche Mittel für die Eindämmung der uigurischen Minderheit aufgewendet hat.

Was Zentralasien betrifft, so ist Russland zwar am Boden, aber nicht am Ende. Es verfügt weiterhin über bedeutende wirtschaftliche, militärische und kulturelle Instrumente, die es kurzfristig einsetzen kann, um die Bemühungen Chinas und der Türkei um eine Annäherung zu vereiteln. Und dann sind da noch die Vereinigten Staaten, die sich nicht sicher sind, wie sie über ihr derzeitiges taktisches Engagement hinaus mit Zentralasien umgehen wollen. Langfristig jedoch sind die Türkei und China die beiden Hauptakteure, die zunehmend in das Herz Eurasiens vordringen werden.

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Gabriele Bondzio | Fr., 14. April 2023 - 09:29

Wie sollte denn das Engagement der USA im Öl und Gas reichen Zentralasien aussehen, werter
Herr Bokhar?

Keppelen Juliana | Fr., 14. April 2023 - 16:21

Antwort auf von Gabriele Bondzio

das heißt sie gehören zu Asien und somit gehen diese Länder die USA nichts an. Die USA sollen sich um Zentralamerika kümmern da hätten sie Arbeit genug Menschenrechte, Gerechtigkeit und Demokratie durchzusetzen, und was sonst noch alles herhalten muss um sich in andere Länder einzumischen. Zentralasien ist im Grunde islamistisch nur die Islamisten und die Auswüchse wurden mit harter Hand unter der Sowjetunion und später Russland weitgehendst unter dem Deckel gehalten. Sollten wir auf die Idee kommen diese Länder "befreien" zu wollen werden wir ein Debakel erleben denn die Tendenz wird eher zum Islamismus gehen als Richtung Westen und die Kämpfe zwischen den Ethnien und Weltanschauungen werden Flüchtlingsströme produzieren die da landen wo bis jetzt fast alle Flüchtlingsströme landen. Kleiner Tipp es werden nicht die USA sein. Das heißt wir treiben Handel mit den Ländern so wie sie sind oder wir lassen es bleiben und respektieren die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten.

Hans Süßenguth-Großmann | Fr., 14. April 2023 - 09:32

wird von den zwei "Bösewichten" Iran und Russland beherrscht und ist immer die Achillesferse. Ich frage mich immer was das Ziel der ganze Übung sein soll, weshalb keine Kooperation möglich ist, die im Sinne einer friedlichen Koexistenz funktioniert. Die Entscheidungen für Mittelasien sollten dort und nicht in Ankara, Peking, Moskau oder Washington getroffen werden. Ich denke die demographischen und wirtschaftlichen Probleme Mittelasiens werden die Hotspots einer dystopischen Zukunft sein.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 14. April 2023 - 09:34

Die Türkei hat in diesem Gebiet einen Wettbewerbsvorteil: die dortigen turkstämmigen Ethnien können am Beispiel der Uiguren sehen, welchen Stellenwert ihre Kultur in Peking hat. Im Gegensatz zu Westeuropa sind diese Länder ihrer Kulturgeschichte, auch im Bezug auf das frühere chinesische Kaiserreich, sehr bewusst.

Christoph Kuhlmann | Fr., 14. April 2023 - 09:56

Die SA haben im Mittleren und Nahen Osten dieser Lektion gelernt und es wird in den angesprochenen eurasischen Regionen nicht anders sei. Es gibt keine demokratischen Verbündeten, die über nennenswerte militärische Mittel verfügen, die Menschenrechte achten und nicht korrupt sind. China hat da einen sehr pragmatischen Ansatz. Es lässt Bauprojekte von Chinesen ausführen und kontrolliert andere ökonomische Projekte mit eigenem Personal. Die chinesische Rohstoffbasis wird so erweitert. Wir sehen das ja auch in Afrika. Chinas Macht wird wachsen und die westlichen Demokratien werden sich etwas einfallen lassen müssen, nachdem das Konzept des Kolonialismus gescheitert ist und Institutionen, die Voraussetzung zur Funktionsfähigkeit des Kapitalismus sind, in dieser Region unwirksam sind.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 14. April 2023 - 10:01

Tja, wenn die Russen nicht mehr wollen bzw. können, wird in der Region Platz fei für andere. Und die werden aus ihren ureigensten Interessen heraus jeden Millimeter versuchen zu "besetzen" via wirtschaftlichem, geopolitischen Einfluss. Nur, ist China oder die Türkei wünschenswerter, wie Russland. Und wenn die USA dort mitmischen, wie lange wird es dauern, bis da auch wieder irgendwo Krieg entsteht? Und wenn man nach den neuesten Leak Erkenntnissen geht, machen die USA, wie damals bei Merkels Überwachung auch und wie bei allem und jedem, keinen Halt alles und jeden auszuspionieren. Von wegen gute Partner, von wegen westliche Werte schützen, von wegen Freundschaft, von wegen alles für die Menschenrechte, den guten Zweck und neuerdings für das Klima. Alles Volksvora....ung. Jeder Staat hat als erstes nur sich selbst im Auge, wird mit allen Mitteln versuchen, jeweils seinen eigenen Vorteil zu gewinnen. Nur wenn die Türkei dort "Land" gewinnt, heißt das Vormarsch, Verbreitung des Islam.

Tomas Poth | Fr., 14. April 2023 - 10:14

Wieso die USA??
Besser die europäischen Staaten, die EU. Selbst Kasachstan zählt zu den 47 europäischen Ländern!
Aber klar, Bokhari arbeitet für einen Ami-Thinktank! Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'.
Haltet die Amis da raus, die haben schon genug Unheil angerichtet.

Romuald Veselic | Fr., 14. April 2023 - 11:30

Antwort auf von Tomas Poth

als mittelasiatisches Land, ein europäischer Staat ist? Kasachstan hat doch gemeinsame Grenze m China.

Dann müsste man auch Amerika als Europa betrachten, denn der Kontinent wurde von Europäern entdeckt u besiedelt. ?

Walter Bühler | Fr., 14. April 2023 - 17:45

Wir dürfen Zeuge sein, wie die Grauen Wölfe in der Türkei ihrem Traum näherkommen, ein islamisch-türkisches Reich zu errichten, das an den Ruhm des osmanischen Reiches anknüpfen kann, heute zumindest in östlicher Richtung nach Armenien, Georgien, Turkmenistan, vielleicht bis nach Indien und China.

Vielleicht lebt auch die Erinnerung an die osmanische Herrschaft über den Balkan (bis in die Nähe Wiens) und über Südrussland (einschl. der Südukraine) wieder auf, wer weiß!

Ja, die USA führen mit den Brexiteers aus England, mit der PIS aus Polen und mit Erdogan eine interessante Koalition an. Für uns ist unbedingte Solidarität angebracht, sagt unsere Außenministerin. Denn in der künftigen neuen Ordnung verwirklicht sich eine feministische Politik, wohl auch nach dem Geschmack der grauen Wölfe.

Habeck hat schon früher ein Kinderbuch über Wölfe geschrieben. Ob er dabei auch an die netten grauen Wölfe gedacht hat, weiß ich nicht mehr.

Romuald Veselic | Fr., 14. April 2023 - 18:31

Deshalb kann Annalena Bearbock D-Außenministerin sein.
Auch Türkei ist kein Europäisches Land, sondern zu 95% Asien. Anatolien nannten man früher Asia Minor o Kleinasien. Noch 1995 gehörte auch Zypern zu Asien. ?