Die Autonomie der jeweiligen individuellen Entscheidung muss gewährleistet sein / dpa

Sterbehilfe - Der Bundestag muss endlich handeln!

Vor drei Jahren, am 26. Februar 2020, hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestärkt. Obwohl das Gericht erheblichen Regelungsbedarf anmahnte, um die Unabhängigkeit dieser individuellen Entscheidung sicherzustellen, geht die Arbeit des Bundestags zum Thema „Suizidhilfegesetz“ nur langsam voran.

Autoreninfo

Professor Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist und war Vorstandvorsitzender der Universitäts-Klinik Marburg, Dekan und wiss. Geschäftsführer der Univ. Witten/Herdecke, Generalbevollmächtigter der Frankfurter Universitäts-Klinik, Dir. Institut Patientensicherheit Universität Bonn (in den Jahren 2002 bis 2011).

So erreichen Sie Matthias Schrappe:

Friedliche Musik, Vogelgezwitscher, grasende Rehe, Bachläufe, zum Schluss reihenweise Sonnenuntergänge. Nach den vereinbarten 20 Minuten wird die Substanz injiziert, der Leichnam des alten Mannes durch eine niedrige Tür geschoben und in einem Müllwagen abtransportiert. Keine Angst, er hatte den Ablauf kurz vorher beim Empfang genauso geordert. Auch gesellschaftlich war diese staatlich organisierte „Tötung auf Verlangen“ erwünscht, konnte man auf diese Weise sowohl demographische als auch Probleme der Nahrungsmittelversorgung lösen: Die Leichname wurden zu „Soylent Green“ verarbeitet, dem neuesten, besonders begehrten Nahrungsmittel der im gleichnamigen Film beschriebenen fiktionalen Gesellschaft. Der Film kam 1973 in die Kinos und bezog sich auf das Jahr 2022, in dem soziale Zersetzung und Umweltzerstörung zu einer totalitären Gesellschaft geführt hatten.

Nun, wir haben das Jahr 2022 ohne solche Dystopien hinter uns gebracht. Aber die Diskussion lebt; seit 50 Jahren ist das Bestreben, selbst über seinen Tod bestimmen zu können, ein ganz großes Thema in den Meinungsumfragen und in der Politik. Selbstbestimmung auch am Ende des Lebens, das war und ist eine Forderung der aufgeklärten Teile der Gesellschaft. Der damalige Präsident der deutschen Chirurgen, Georg Heberer, auch sonst ein weitblickender Mann mit Mut zu visionären Vorstellungen (Fehler in der Medizin zugeben!), forderte bereits 1980 das „Menschenrecht auf würdigen Tod“.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar
  • Ohne Abo lesen
    Mit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Christa Wallau | Do., 23. Februar 2023 - 17:01

dazu entschließen, ihre Organe Anderen zur Verfügung zu stellen, damit diese weiterleben können, halte ich das für legitim u. akzeptabel; denn offenbar macht es ihnen nichts aus, daß sie quasi bei lebendigem Leibe ausgeweidet werden.
Für mich ist dieser Gedanke unerträglich. Ich möchte weder ein Organ spenden noch eines von einem Fremden erhalten. Mein Körper u. meine Seele sollen ihren natürlichen Weg zu Ende gehen.
Aus Gründen der Ehrfurcht vor der Integrität und Würde jedes Individuums stehe ich auch der Hilfe zum Suizid ablehnend gegenüber. Allzu rasch gerät diese gutgemeinte Option der Nächstenliebe in die Hände von Scharlatanen und Geschäftemachern. Dies hat mich gerade wieder der verlogene und falsche Umgang mit der Corona-Pandemie gelehrt.
Warum soll es denn nicht möglich sein, a l l e n Totkranken und Sterbenden Hospizbetreuung zukommen zu lassen?
Das Geld, das man sinnlos für Gleichstellungsbeauftragte u. ähnl. Quatsch verpulvert, wäre hier besser angelegt.

wenn z.B. jemand nach einem Unfall vom Hals an abwärts gelähmt ist und nicht mehr so weiterleben kann? Selber umbringen kann man sich ja dann gar nicht und sollte es keine Sterbehilfen geben hat man dann halt lebenslänglich...

Ich möchte mir diese Qual gar nicht vorstellen

Christa Wallau | Fr., 24. Februar 2023 - 11:41

Antwort auf von Peter Sommerhalder

das ein allgemeingültiges R e c h t auf Beihilfe zum Suizid voraussetzt.

Hier gibt es Wege, die ohne weiteres gegangen werden können und auch in der Vergangenheit schon tausende Male gegangen wurden.
Wenn ein Gelähmter noch in der Lage ist, e i n d e u t i g und über einen längeren Zeitraum zu äußern, daß er sein Leben nicht mehr ertragen kann und will, dann gibt es heute schon Mittel, um ihm zu einem früheren als dem natürlichen Sterben zu verhelfen - ganz legal. Ärzte können Medikamente verschreiben, die das Ende beschleunigen. Der Betroffene muß nur nach starken
Beruhigungs- bzw. Schmerzmitteln verlangen, weil er die Qual nicht mehr aushält. Dann sind seine Tage gezählt.

... Ihre Gedanken in Ehren, aber meinen Sie im Ernst, dass Sterbewillige einfach warten sollten, bis die Hospizbetreuung von 30.000 auf theoretisch 900.000, praktisch wohl aber nur das mehrfache "ausgebaut" ist?
Wie vor einiger Zeit hier schon mal geschrieben, möchte ich die freie Wahl haben und z.B. aus Freude am Leben wie ich es verstehe zum selbstgewählten Zeitpunkt aus demselben scheiden, ohne vorher wen auch immer um Einverständnis oder gar Erlaubnis zu fragen.
Ich glaube z.B. nicht an Gott, sehe mich daher auch weder ihm noch sonstwem verpflichtet und denke an den sonst so oft gebrauchten Spruch "Aufhören, wenn es am Schönsten ist". Und bitte hier keine klugen Sprüche, dass ich dann womöglich schon mit 50 hätte "aufhören" müssen, weil die letzten Jahrzehnte seltenst mit zunehmender Vitalität, Kraft und Gesundheit daher kommen.
Nur: die Absicht, hier dem Schicksal - wie bei so vielen Dingen auch - "das Optimum" (an Lebenszeit) rauszukitzeln, ist für mich halt ziemlich erbärmlich.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 24. Februar 2023 - 12:35

Antwort auf von Wolfgang Z. Keller

Ich stimme komplett Herrn Keller zu. Jeder Mensch muss selbst bestimmen können, wann er aus dem Leben gehen will. Deshalb ist Suizid zurecht nicht strafbar. Man kann vieles mit Patienten- und Vorsorgevollmacht regeln. Nur diejenigen, die ggfls. Hilfe leisten können/wollen, in der Luft hängen zu lassen und ggfls. zu Straftätern zu machen halte ich für falsch. Es wäre Aufgabe des Gesetzgerbers mittels Gesetzgebung und Ausführungsbestimmung das weitgehendst zu regeln. Und ja, Missbrauch wäre immer möglich, aber das könnten sinnvolle Kontrollen verhindern. Wir alle wissen nämlich nicht, wie viele von den Opfern ungewollt aus dem Leben "geschieden" wurden. Hier macht der Staat auch nichts, um durch amtl. Leichenbeschau und Verwaltungssektion alle kriminellen Hintergründe auszuschließen. So sehr ich Ihren christlichen Gedanken respektiere und verstehe. So verstehe ich auch z.B. vom Krebs zerfressene Menschen und auch deren Angehörige, wenn sie gemeinsam das Ende selbst bestimmen könnten.

Gerhard Lenz | Do., 23. Februar 2023 - 19:57

verhindert noch immer Reformen, die bei uns kaum durchzusetzen, in vielen anderen Ländern aber längst Alltag sind.

Beispiel Organspende: In vielen europ. Ländern ist jeder Mensch automatisch Organspender. Will er das nicht, muss er dies schriftlich ausschliessen.
Es ist zutiefst inhuman, Kindern, Frauen, Männern, jung oder alt, lebensnotwendige Maßnahmen zu verweigern - indem man Leichnahme lieber "vollständig" verbuddelt und der Verwesung überlässt, als ihnen in letzter Sekunde Organe zu entnehmen und damit Schwerstkranke zu retten.
Ein solcher, fast schon pathologischer Egoismus ist mit der Idee der christlichen Nächstenliebe absolut unvereinbar.

Auch was Sterbehilfe angeht, sollte zuallerst der Wille des Betroffenen, d.h. des unheilbar Kranken zum Zug kommen. Kein Zweiter, keine Gesellschaft hat das Recht, einen Menschen zu einem möglicherweise nur noch als Qual empfundenen Leben zu verdonnern.

Es muss gesellschaftliche Pflicht sein, dem Wunsch dieser Menschen zu entsprechen

@Herr Lenz, Sie verweisen zurecht auf die Handhabung in anderen Ländern, oft direkt in unserer Nachbarschaft. Warum ist in der Schweiz etwas allgemein akzeptiert, was in Deutschland Panikattacken auslöst ?

Albert Schultheis | Fr., 24. Februar 2023 - 00:23

Anstatt "Friedliche Musik, Vogelgezwitscher, grasende Rehe, Bachläufe, zum Schluss reihenweise Sonnenuntergänge" ... einen Blitz, dann der Atompilz!
"Vor drei Jahren, am 26. Februar 2020, hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestärkt." - Ich will selbst bestimmen, wie ich sterben will! Nein, ich will nicht den Blitz und den Atompilz, denn meine Kinder und Enkel sollen weiterleben dürfen. Also hört endlich auf mit der Kriegstreiberei! Hört auf mit der Lieferung von Waffen und fangt endlich an zu verhandeln. Kein Wolodimyr dieser Wrlt hat das Recht, mich meines Rechts auf mein "selbstbestimmtes Sterben" zu berauben - auch kein Joe, kein Olaf und kein Wladimir! Hört endlich auf mit der Waffenfuchtelei!

Jens Böhme | Fr., 24. Februar 2023 - 08:23

Wer im geistigen Vollbesitz ist braucht keinen menschlichen Suizidbeistand. Musik, Sonnenuntergang, zwei oder drei Packungen entsprechender Arzneimittel - wer bekommt das nicht auf die Reihe? Es geht in Wahrheit lediglich um die Personen, die körperlich nicht dazu in der Lage sind, selbst die Entscheidung umzusetzen, dass festgestellt wird, bei Suizid wer geholfen hat.

Albert Schultheis | Fr., 24. Februar 2023 - 10:25

Ich wäre der Letzte, der jemanden bevormunden wollte, wenn es sein Wille ist, auf irgendeine Weise unnatürlich zu sterben. Dennoch lehne auch ich für mich diese freiwillige Entscheidung ab bzw mein Wille ist es natürlich zu sterben. Denn ich bin davon überzeugt, dass jede Einmischung in Jahrtausende währende Gesetze in aller Regel ihren hohen Preis haben. Man kann in jedem Fall die Beobachtung machen, dass, wenn sich jemand umbringt oder willentlich umbringen lässt, etwas mit dieser Person im Argen liegt, sei es Einsamkeit, ein verpfuschtes Leben, Trauer, Entfremdung, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle, Angst oder irgendwelche psychotischen Ausnahmesituationen. Es gibt eine Ausnahmesituation, die ich gelten lassen kann, das ist der alles überwältigende Schmerz. Aber Alte dürfen den Jungen zur Last fallen, sie haben ein Recht auf Trost, auf Beistand und Liebe, sei es auch nur die Nächstenliebe. Wo diese nicht gewährt werden, bleibt das niemals ohne Preis für die, die zurückbleiben.