- „Über die Political Correctness würde Brecht die Nase rümpfen“
Heute jährt sich der Geburtstag von Bertolt Brecht zum 125. Mal. Im Interview spricht der Leiter der Forschungsstätte zu Brecht über dessen Theaterverständnis und erklärt, warum die sogenannte Wokeness für den Schriftsteller und Regisseur „Moralscheißerei“ wäre.
Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller und Regisseure deutscher Sprache: Bertolt Brecht. Am 10. Februar jährt sich sein Geburtstag zum 125. Mal. Zur Welt kam Brecht in Augsburg. Die dortige Forschungsstätte zu Brecht leitet der Germanist und Theologe Jürgen Hillesheim. Er erklärt im Interview, warum Brecht auch heute noch aktuell ist. Und womit er in der Gegenwart seine Probleme hätte. Das Gespräch führte Christopher Beschnitt.
Herr Professor Hillesheim, wieso ist Brecht noch immer wichtig?
Sein Werk hat einmalige ästhetische und gesellschaftsrelevante Qualitäten. Das von ihm entwickelte epische Theater kann Mechanismen aufzeigen, nach denen Gesellschaft funktioniert. Das geschieht insbesondere durch den Verfremdungseffekt, also durch kommentierende Unterbrechungen der Bühnenhandlung. Dadurch wird der Zuschauer zum Partizipieren aufgefordert. Brecht hat somit das traditionelle aristotelische Theater überwunden – da sollte sich der Zuschauer moralisch berieseln lassen.
Was wollte Brecht durch das Aufzeigen sozialer Gesetzmäßigkeiten erreichen?
Keine Weltverbesserung, auch wenn Linke das gern hätten. Denn Brecht hat nicht geglaubt, dass man gesellschaftlich etwas zum Guten wandeln kann. Auch wenn er die Welt als theoretisch veränderbar darstellt und oberflächlich als der große Lehrmeister auftrat. Letzten Endes ist das epische Theater aber das ästhetische Spiel eines Fatalisten, der weiß, dass es kein Morgen gibt, wenn er stirbt. Am Ende ist – und bleibt – der Mensch für Brecht wie er ist. Aber wie gesagt: Man lernt bei ihm, wie Gesellschaft funktioniert, und das auf sprachlich elegante Weise. Wenn man das so sachlich annimmt, hat man vielleicht ein bisschen Spaß am Leben.
„Oberflächlich als der große Lehrmeister“ – Sie scheinen Brecht eher distanziert gegenüberzustehen.
Brecht war ein Opportunist. Er wird zwar immer als Anhänger der marxistischen Theorie dargestellt. Er war aber nie Mitglied der Kommunistischen Partei und auch viel zu sehr Egomane, um den Marxismus ernst zu nehmen. Nach außen so verfochten hat er den am Ende auch nur, weil er in der DDR ein eigenes Theater, das Berliner Ensemble, gekriegt hat. Wobei Brecht auch kein reiner Regimegänger war.
Erklären Sie.
Es gibt zum Beispiel in Brechts spätem, melancholischem Lyrik-Zyklus „Buckower Elegien“ das Gedicht „Der Blumengarten“. Darin wird die DDR dargestellt als Garten. Die Rede ist von einem Baum, der für die Kunst steht. Er wächst außerhalb der Mauern. Innerhalb ist kein Platz für freie Entfaltung. Man bedenke: Brecht hat in seiner DDR-Zeit kein großes Drama mehr zustande gekriegt. Alles, was Sie kennen – „Die Dreigroschenoper“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, „Leben des Galilei“, „Mutter Courage und ihre Kinder“ –, all das ist vorher entstanden.
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Können Sie Brechts Opportunismus noch ausführen?
Brecht hat während der NS-Herrschaft viele Jahre im Exil gelebt – aber nach dem Krieg Kontakt zu alten Nazis gesucht, um in Westdeutschland inszeniert zu werden. Er hat sogar hingenommen, dass diese alten Nazis, die dann in Theater-Verantwortung waren, alles Linke und Gesellschaftskritische aus seinem epischen Theater herausgenommen haben.
Brecht wurde im überwiegend katholischen Augsburg protestantisch erzogen. Hat ihn diese Minderheitserfahrung geprägt?
Nicht, dass ich wüsste. Klar, Brecht ist christlich sozialisiert worden – so, wie das damals üblich war. Dass er sich aber vom Glauben gelöst hat, steht schon in seinem Tagebuch von 1913, da fing er an zu zweifeln. Dann war der Glaube weg und kam auch nicht wieder. Brecht war Atheist. Aber vor der Bibel hatte er zeitlebens Hochachtung. Er hat sie sogar mal als seine „Lieblingslektüre“ bezeichnet.
Wie passt das zusammen?
Dahinter steckt neben der Sozialisation sicher die Einsicht des Künstlers, dass man in der Moderne eigentlich nichts neu erfinden kann, weil mehr oder weniger schon alles da ist – eben gerade auch in der Bibel. Also zerlegt man das Alte und macht es sich zum Material eigener Kunst, denkt es aber weiter. Für diesen Fundus war Brecht sehr dankbar. Hinzu kommt: Der liebe Gott ist ja nicht aus der Welt, nur weil ich nicht an ihn glaube – die Religion, die Bibel hat Jahrtausende die Kultur geprägt. Und eben auch Brecht. Das muss man wissen, um sein Werk richtig verstehen zu können.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie das Gedicht „Der Fähnrich“ aus dem Ersten Weltkrieg. Der Fähnrich ist ein junger Offizier. Er führt seinen Trupp mit dem Degen an und erschlägt vier Feinde. Dann bricht er tot zusammen, ohne verletzt worden zu sein. Jetzt gibt es Deutungen aus dem Osten, das sei so kriegskritisch, da die Gegner erschlagen worden seien wie Vieh. Dabei ist der Degen doch eine Stich- und keine Hiebwaffe! Ja, da steckt Kriegskritik drin – aber in Anlehnung an die Bibel, an Kain und Abel. Jemanden töten, und sei es im Krieg, ist Brudermord. Das ist die Botschaft.
Was hätte Brecht uns in der Gegenwart zu sagen?
Über die Political Correctness heute würde er die Nase rümpfen. Diese sogenannte Wokeness würde ihm gewiss nicht gefallen. Nach allem, was ich über ihn weiß, sähe er das als – mit Verlaub – „Moralscheißerei“, ja als Ideologisierung mit totalitären Tendenzen. Das würde er nicht gutheißen. Er hat Spießbürger nicht gemocht.
Was gibt es an Brecht künftig noch zu erforschen?
Es ist zum Beispiel nicht recht geklärt, woher er nun seine religiöse Sozialisation hat. Von der pietistischen Großmutter? Aus dem Konfirmandenunterricht? Sicher nicht von seinem katholischen Vater, der war mehr an Wirtshaus und Bordell interessiert. Aktuell bin ich an Wissenschaftsprojekten im postsowjetischen Raum beteiligt, um Brecht neu zu übersetzen und zu interpretieren. Etwa in Polen und der Ukraine war Brecht wegen seiner Kommunismus-Verstrickung nach der Wende lange ein rotes Tuch. Jetzt wird er dort durch unsere Arbeit wieder Schullektüre. Denn wie gesagt: Sein Werk ist zeitlos aktuell.
Das Gespräch führte Christopher Beschnitt.
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"Ideologisierung mit totalitären Tendenzen".
Einfach herrlich diese ungestelzte Ausdrucksweise in deutscher Sprache.
Der Tag beginnt perfekt.
... wäre es heute, einen Tag später, vielleicht auch für mich ein perfekter Tagesbeginn gewesen.
Aber da zieht der famose Herr Germanist und Theologe doch mittendrin den scharfsinnigen Schluss, dass es sinngemäß "den lieben Gott gibt, auch wenn einer nicht an ihn glaubt!" Das ist wissenschaftliche Beweisführung vom Feinsten, und dann muss er noch erforschen, dass "zum Beispiel nicht recht geklärt (ist), woher er nun seine religiöse Sozialisation hat. Von der pietistischen Großmutter? Aus dem Konfirmandenunterricht?" Geht´s noch? Das sind die Fragen, die die Welt umtreiben, und die selbstredend ein paar Tausend Euro Salär im Monat samt Pensionsanspruch rechtfertigen.
Bert Brecht ist für mich neben seinen guten Stücken einer derer, die im jüngeren Alter revoluzzten, doch später ihre Lorbeern putzten (frei nach dem Gedicht "Der Revoluzzer" von Erich Mühsam).
Heute in der 3sat-KulturZeit: er nutzte bis zum Tod in der DDR das Privileg, mit seinem Luxusauto jederzeit frei im KDW einzukaufen.
Bertolt Brecht wird gecancelt. Er war kein Freund von reiner Ideologie und fehlerfrei sowieso nicht. Che Guevara könnte, als einer der Wenigen, unversehrt bleiben. Es bleiben nur Vergötterte übrig.
Obwohl, wissen links-grüne bildungsferne Politiker und Chaoten eigentlich wer und was Brecht war. Ich denke mal, deren Nichtwissen könnte ihn vielleicht von Cancel Cultur und anderen Vorwürfen schützen. Seine vielen Zitate, die gerne an der ein- oder anderen Stelle auch von uns Foristen gerne genutzt werden, dürften deren Fähigkeit zur geistigen Verwertung ohnehin überschreiten.
Und daran scheitert immer die Demokratie, die Wahrheit & die Gerechtigkeit.
Weil die Masse der Menschen & vor allem die Leithammel dieser Herden vor einen Köder ANGST haben & lieber ins Verderben laufen würden, als stehen zu bleiben mit aufrechter Haltung - HALT, HIER GEHT ES NICHT WEITER!