Die Ära Sebastian Kurz ist so schnell vorbei wie sie begann / Daniel Biskup

Sebastian Kurz - „Wir haben in einer anderen Liga gespielt“

Der jüngste Bundeskanzler der Alpenrepublik trat nach Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts zurück. Das Internet, das er als Steuerungsinstrument der Demokratie nutzen wollte, wurde ihm selbst zum Verhängnis. Über Sebastian Kurz und das „System Österreich“.

Porträt Mathias Brodkorb

Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Es ist der 23. September 2017. In der Wiener Stadthalle soll der neue Popstar der österreichischen Konservativen drei Wochen vor der Wahl medial auf den Schild gehoben werden. Der ganze Saal ist in die Farbe Türkis gehüllt, mehr als 10.000 Anhänger der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wollen dem Ereignis beiwohnen. „Das ist der größte Wahlkampfauftakt, den Österreich je erlebt hat“, ruft ein sichtlich stolzer Sebastian Kurz in die begeisterte Menge. Sein Team hat ganze Arbeit geleistet.

Bis es zu seinem Auftritt kommt, vergeht rund eine Stunde. Die aufgestaute Spannung entlädt sich, als Kurz dann endlich den Saal betritt und wie ein Champion empfangen wird. Tosender Applaus, Standing Ovations, Transparente und Spruchchöre – es ist die wohl fulminanteste Selbstvermarktung einer Partei in der Geschichte des Landes.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 16. März 2022 - 12:06

kann jetzt aber nur wieder sagen, Bravo für diesen Artikel, seine reichhaltigen und fundierten Informationen, sowie diese Nachdenklichkeit.
Ich bin seit Jahren, seit kurzem auch freundlicher Abonnent von standard-online, habe also die sogenannte Causa Strache und dann Kurz recht gut mitbekommen.
Aber das "System Österreich" ist mir natürlich nach wie vor fremd.
Ich hangele mich in der Tat an Mozart entlang, der dort lebte und wirkte.
Kurz war m.M.n. viel zu jung für ein so hohes Amt.
Auch Obama war noch jung, aber mit abgeschlossener Ausbildung, auch erfolgreicher Senator.
Eine zeitlang hörte ich ständig den Namen Obama, wenn es um Kompromisse ging zwischen Demokraten und Republikanern.
Er war ohnehin DIE Alternative zu Frau Clinton, obwohl ich im Nachhinein jetzt sagen würde, Herr Biden wäre eine ausgezeichnete Wahl gewesen, aber Obama war als erster "schwarzer" Präsident eine Antwort auf diesbezügliche US-Defizite.
Biden stellte sich in den Dienst Obamas, Mittlerlehner nicht so...

Tomas Poth | Mi., 16. März 2022 - 12:29

Da könnte Olaf sich ein Beispiel dran nehmen!

Christoph Kuhlmann | Mi., 16. März 2022 - 13:30

Wie ein Tümpel in dem jeder jeden kenn und der dringend frisches, fließendes Wasser braucht. Aber worüber wollen wir uns aufregen, wir hatten gerade 16 Jahre eine Kanzlerin die vor der Presse und den Umfragewerten kuschte anstatt die öffentliche Meinung rhetorisch zu lenken und den Medien digital voraus zu sein. Wer nach zwölf Jahren AKK durchs Land schicken muss um erstmal herauszufinden was die Partei wohl möchte und sich davor von windige Umfragen leiten ließ, der macht es wohl kaum besser. Kurz und gut ist besser als umgekehrt.

Herr Kuhlmann, aber das "politische System" von Frau Merkel wird mir durch Ihren Kommentar evtl. deutlicher.
Ich kenne nunmal Parteiarbeit selbst und in der SPD ist man wohl gut beraten, wenn man sich nicht allzusehr als Amtsträger von der Partei entfernt.
Natürlich ist der Abgeordnete vor allem dem Wähler und seinem Gewissen verpflichtet, aber als SPD-Abgeordneter doch wohl schwerpunktmäßig denen, die ihn gewählt haben.
Ein Abgeordneter muss nicht parteipolitisch übergreifend handeln.
Das gilt eher für ganz besondere Ämter.
Ja, durchaus auch für das Amt des Kanzlers.
So gesehen ist es okay, als solcher nach Umfragen zu schauen, was das "Volk" möchte.
Andererseits wurde man gewählt, um Politik zu machen und sie auch vertreten zu können.
Nach wie vor habe ich das Gefühl, dass Frau Merkel doch noch zu sehr beeinflusst war von dem "DDR-System einer das Ganze repräsentierenden Partei", was sie dann auf sich selbst bezog?
Es hiess immer, sie moderiere.
Vielleicht "thronte" sie zu sehr?

Gerhard Lenz | Mi., 16. März 2022 - 13:42

des rechten Randes, wo man die "selbstverständliche" Koalition des Herrn Kurz mit den Faschisten der FPÖ als vorbildlich und Muster für Deutschland lobte, dürfte in der nächsten Zeit höchstens in der US-amerikanischen (oder einer anderen) Amateurliga spielen.

Nachdem der zweite Kopf der schwarz-braunen Austria-Koalition, der "liebe Herr Strache", nach erstaunlichen Charakter-Enthüllungen seinen Hut nehmen musste, war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das "System Kurz" kollabierte. Der übergeschnappte, mit Hang zum Größenwahn auftretende Studienabbrecher hatte sich förmlich seinen eigenen Hofstaat gezimmert - in dem er absolutistisch, auch später mit den Grünen" - zu regieren hoffte. Was in der Tat lange - zu lange - funktionierte. Die Blendgranaten des Polit-Sonnyboys erreichten durchaus ihre Ziele, und das nicht nur in Österreich. Was man an den "Hallelujah-Gesängen" über Kurz u.a. in diesem Forum sehen konnte.

Heidemarie Heim | Mi., 16. März 2022 - 16:00

Zunächst Danke! werter Herr Brodkorb für die ausführliche Schilderung der Ereignisse und Abläufe im System Austria! Zugleich gebe ich unumwunden zu, dass auch ich "glänzende Augen;)" bekam während der Amtszeit der jungen wilden Ligaspieler wenn ich diese mit unseren Bundesligisten, besser unserer "Auswahl" verglich. Und ich frage mich auch mit den von Ihnen nun herbeigeführten, neuen Erkenntnissen nach wie vor, ob die Österreicher nicht doch einen Fehler begingen, dieses politische Talent und seine Truppe aufgrund bis dato nicht bewiesener Tatsachen vom Hof geekelt zu haben. Als Treppenwitz der Geschichte würde ich es eher bezeichnen, dass sich das System Austria laut Ihrer Beschreibung m.E. nur geringfügig vom System Germania unterscheidet. Als da wären, engste Freundschaften zu Verlegergattinnen, Ausrichtung von Feiern für "peanuts-Vertreter", abenteuerliche Karrieresprünge trotz Skandalen, höflicher Umgangston wie "Ich kann Deine Fre... nicht mehr sehen" usw. Grüble noch immer;)

Ernst-Günther Konrad | Do., 17. März 2022 - 08:35

Antwort auf von Heidemarie Heim

Wie so oft einer Meinung. Kurz hatte durchaus gute Ansätze und auch Entscheidungen getroffen, hat sich aber auch beim Thema Corona völlig verrannt. Und was die Vorgänge in Österreich anbetrifft, fühle ich mich an unser eigenes Land erinnert. Scheinbar überall das Gleiche. Mit Geld und Postengeschacher wird Politik gemacht und ausbaden dürfen es die Bürger, die es mit ihren Steuergeldern finanzieren müssen. Wegen mir könnte der ÖRR deutlich finanziell und strukturell gestutzt und wie die privaten Sender auch selbst finanziert, endlich zur Ordnung gerufen neu anfangen. Was unsere übrigen Medien anbetrifft, so gehört denen allen der Geldhahn zugedreht. Die inzwischen zahlreichen alternativen Medien müssen sich ja auch selbst finanzieren. Und wer neutrale anständige Pressearbeit leistet, wird auch gekauft bzw. abonniert und kann sich selbst mit Hilfe transparenter Zuwendungen finanzieren. Weniger könnte mehr bedeuten. Und wer Inserate schalten will, muss unter diesem die Kosten nennen.

Satzergänzung "Elend";) Aber wie wir schon an anderer Stelle diskutierten lieber Herr Konrad, werden wir hier wie da diesen Filz aus Politik, Postenschacher, Medien , Wirtschaft und Lobbyismus, NGOs, Stiftungswirrwarr, gewollter Intransparenz bis hin zu Fällen von Korruption und Doppelmoral nie mehr zurückdrehen können. Schon gar nicht, so inzwischen meine Erkenntnis, wenn die Mehrheit der Bürger und Wähler wählen können was und wie sie möchten, sie werden die daran Beteiligten, die "Teflonbeschichteten", low performer und Wendehälse auf allen parteipolitischen Ebenen einfach nicht los. Egal wie tief diese uns in die Entschuldigung! Sch.... ritten über zig Legislaturperioden und egal wieviel Inkompetenz der Staat, also wir alle, sollte "der Staat sind wir!" noch zutreffen, hinterher ausbaden dürfen. Und ja, nicht nur unsere Bundeswehr steht blank da angesichts der Erfordernisse bzw. der Herausforderungen, zu der uns ein übergeschnappter Möchtegernimperator zwingt. Traurig aber wahr. LG

M. Bernstein | Fr., 18. März 2022 - 08:19

Kurz ist der typische junge Politiker, eloquent, kennt sich mit neuen Medien aus und ist Studienabbrecher. Haltung statt Wissen und Erfahrung prägt also auch ihn. Wie alle Populisten war er oben auf als Corona-Hardliner und ist nicht zuletzt daran komplett gescheitert. Haltung war auch hier wichtiger als Wissen und politisches Geschick. Er, aber auch Matteo Renzi, von und zu Guttenberg, in absehbarer Zeit aber auch Justin Trudeau, Jacinda Ardern sind mit Anfang 40 Politrentner, wo früher die Politiker erst anfing. Politik ist Party und nicht Ausgleich und Verantwortung.