- Bitte keine Mayonnaise-Pampe!
Rainer Balcerowiak isst für sein Leben gern Kartoffelsalat. Obwohl ihm das, was bisweilen unter diesem Namen angeboten wird, manchmal schon den Appetit verdorben hat. Am Ende verrät er sogar sein „Geheimrezept“.
Zeig mir deinen Kartoffelsalat, und ich sage Dir, wer Du bist. Ganz so einfach ist es vielleicht nicht, aber die Zubereitung eines Kartoffelsalats lässt durchaus Rückschlüsse nicht nur auf die Herkunft, sondern auch auf die kulinarische Ernsthaftigkeit zu.
Und wenn man sich so anschaut, was Menschen freiwillig an Imbissbuden als „Kartoffelsalat“ so zu sich nehmen, oder die mit absonderlichen „Salatcremes“ und „Dressings“ bestückten Regale in Supermärkten sieht, dann kann man als Geschmackspolizist schon erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns bekommen. Allzu oft wird Mayonnaisepampe, in der vereinzelt Kartoffelscheibchen und Gurkenstückchen herumschwimmen, klaglos als Kartoffelsalat akzeptiert oder gar eigenhändig zubereitet.
Der Ernährungssoziologe wittert Frevel
Das bringt auch den Ernährungssoziologen Daniel Kofahl auf die Palme. Kartoffelsalat sei eigentlich Ausdruck „der bodenständigen Vielfalt, die uns die wunderbare Kartoffel bietet“. Doch viele Zeitgenossen würden „in kulinarischer Bildungsnot alles in zu viel Mayonnaise, zu viel Halbfettmayonnaise oder – am allerschlimmsten – zu viel (und hier ist jedes Nanogramm zu viel!) die Konsistenz von Mayonnaise imitierenden „Salatcremes“ ertränken. Nicht selten noch garniert mit gezuckerten Mandarinchen aus der Dose“. Für Kofahl schlicht „Frevel an einer landwirtschaftlichen Kulturfrucht“.
Nun ist prinzipiell gegen die Verwendung von Mayonnaise nichts einzuwenden, aber nur, wenn sie diesen Namen verdient. Das Zeugs in Gläsern oder gar Tuben schmeckt in der Regel schlicht furchtbar. Aber frisch als inniges Gemenge aus Öl, Eigelb, Salz, Pfeffer, Wasser, Zitronensaft oder etwas Essig gerührt und emulgiert, kann das äußerst schmackhaft sein. Etwas Senf ist auch noch erlaubt.
Mit oder ohne Mayo – eine Grundsatzfrage
Aber selbst dann ist „mit oder ohne Mayo“ bei Kartoffelsalat eine lebenskulturelle Grundfrage, vergleichbar mit Präferenzentscheidungen wie Beatles oder Stones beziehungsweise Borussia Dortmund oder Schalke 04. In Bayern, Baden, Franken, Schwaben und anderen eher südlichen Regionen ist Mayo in diesem Fall ein absolutes NoGo. Dort wird Kartoffelsalat mit Brühe, Öl, Essig und manchmal auch Senf angemacht und lauwarm serviert. Hier und da gehört auch Speck dazu. In Berlin und großen Teilen Nord-, West- und Ostdeutschlands war dagegen eine andere Zubereitung als mit Mayo bis vor nicht allzu langer Zeit unbekannt und auch undenkbar. Dort sind ferner – anders als im Süden – Gewürzgurken eine unverzichtbare Zutat.
Doch gerade bei Kartoffelsalat gilt eigentlich: Anything goes! Naja, eher something goes. Denn der ausgeuferte Crossover-Exotismus, der auch in Gourmetmagazinen unter dem Motto „Kartoffelsalat – mal anders“ gepflegt wird, würde jede Kartoffel zu Wutschreien veranlassen, wenn sie denn schreien könnte. Zutaten wie Granatapfelkerne, Zitronengras, Kokosraspel, Fischsoße, Chili, Garnelen, Ingwer, Reisessig und ähnliches sollte man VERBIETEN. Oder das alles zusammenrühren und dafür auf die Kartoffeln verzichten.
Kreativität ist gefragt
Doch von solchen Verirrungen abgesehen, sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt, besonders bei Varianten ohne Mayo. Schon ein oberflächlicher Blick in den eigenen Bekanntenkreis offenbart da eine große Vielfalt: Schnittlauch, Frühlingszwiebel, Feldsalat, Radieschen, Rucola, grüne oder rote Paprikastreifen, Tomaten – alles angemessene Unterstützer leicht würzig-nussiger Kartoffeln. Hauptsache, es schmeckt. Oder wie es der Chemnitzer Dichter Richard Leising 1975 in dem Gedicht „Homo Sapiens“ formulierte: „Zu einem richtigen Arbeiterstaat/Gehört ein richtiger Kartoffelsalat.“. Womit er einen der Gründe für das spätere Scheitern der DDR bereits früh benannte, aber das nur nebenbei.
Ein Rezept und eine Zutatenliste gibt es aus Respekt vor der großen Vielfalt bei der Zubereitung von Kartoffelsalat diesmal nicht. Aber gerne präsentiere ich an dieser Stelle den „Kartoffelsalat Balcerowiak“, der mehrere Male im Jahr auf den Tisch kommt. Als Sorten bevorzuge ich „Linda“, „Belana“ und „La Ratte“. Beigaben sind (in Maßen) saure Gurke, säuerlicher Apfel (Boskop) und Frühlingszwiebeln. Angemacht wird mit Sonnenblumenöl, Creme fraiche, Salz, Pfeffer und (falls vorhanden) frischem Estragon. Das war‘s schon. Und jetzt: Ran an die Kartoffeln.
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...lieber Herr Balcerowik, aber versehen Sie Ihre Kreation mit dem Namen "Kartoffelsalat Buchheim".
Meine Großeltern hatten einen großen Bauernhof.
Die bevorzugte Kartoffel war die "Sieglinde".
Nach München gezogen, mußte ich den hiesigen
Kartoffelsalat vorübergehend essen. Essig, Öl, Salz.
Halt, noch dicke Scheiben Kartoffeln. Ich fragte ob dieser fertig ist. "Wenn er enga nicht paßt,gehn´s dorthin wo´s herhämma, solche wie Sie brauch´ma neet. Machn´s die Tier hinter eahna zu".
Ja, ja...
Der Salat meiner österreichischen Frau schmeckte allen Gästen außerordentlich, was dazu führte, daß sie zu jedem Fest den Kartoffelsalat mitbringen mußte!!
Ihr Rezept: Festkochende Kartoffeln (Drillinge), Essig, Öl, Salz, Pfeffer, Zwiebeln, vielleicht auch Knoblauch.
Fragen kann ich sie leider nicht mehr.
Einfach mal in österreichischen Kochbüchern nachschauen und Guten Appetit.
Das klingt verführerisch, dann noch ein für mich süßer Apfel - meine Mutter liebte Boskop-Äpfel und meinen Vater, vielleicht nicht ganz so ein Unterschied? - Zwiebeln, in Öl angedünstet, und keine sauren Gurken, aber vielleicht Salatgurken?
Senf nehme ich lieber für den grünen Salat oder für Möhrchen.
Die Engländer essen Pommes und Vinegar?
Aber die essen auch Marmite aufs Brot.
Freue mich immer wieder über ihre Anregungen, Herr Balcerowiak und weil es eben so vieles, sogar von hier gibt, sag ich mal, dass es in der DDR nicht am Mangel an Zitronen und schon gar nicht an Bananen lag.
Dennoch, ein wunderschöner Urlaub vor langer Zeit über die Dolomiten Richtung Venedig und noch unterhalb der Berge an einem kleinen See mit Turm, einen schwarzen Tee mit Zitrone, natürlich ohne Zucker.
Ich verbinde schon gerne Lebensmittel mit den Zonen, in denen sie gedeihen und gedenke ihrer mit Achtung.
Goethe hätte sicher sonst nicht die passenden Worte gefunden...
Creme fraiche im Kartoffelsalat? Igitt.
Hab ja schon viele merkwürdige Rezepte gelesen. Aber das hier... das lass ich bleiben. Gruß Barbara Piele
Vor etwa 100 Jahren gab es die Familienserie "Die Unverbesserlichen" mit Inge Meysel, J. Offenbach etc.
Nein, keine Soap, sondern richtig gut, soweit ich das als Kind beurteilen konnte.
Agnes Windeck war die Oma: "Zu Kartoffelsalat gehören Würstchen!"
Ich präferiere die Version mit Essig, Öl und Brühe, jedoch darf kein Matsch entstehen. Zwiebel u gerne auch kleingewürfelte Salatgurke, nicht zu viel.
Natürlich sind die Kartoffeln entscheidend sowie deren "Zubereitung", das ist wie bei Bratkartoffeln oder Rösti!
Spontan fällt mir der Sketch von Diether Krebs "Bernies Imbiss" ein.
"Hier in der kulinarischen Diaspora ist Bernies Imbiss eine wohltuende Ausnahme. Er verwendet ausschließlich handgeschnittene Sieglinde. Sein Getränkeangebot ist erfreulich überschaubar u er dekantiert sorgfältig." - "Bier oder Limo, rülps, sorry!"
Ja, Kartoffelsalat ist etwas Feines, gerne auch Rippchen statt Würstchen dazu.
Das absolute No Go: MAGGI!
Ein Bekannter kippt Maggi in alles, sogar in Spinat!
So die Antwort auf Mutters Frage, was sie an Heilig Abend auf den Tisch bringen soll. Wie all die Jahre meiner Kindheit und auch später noch, wenn wir samt unseren Ehegesponsten über die Feiertage einfielen und die Platte samt Garnitur immer größere Ausmaße annahm;). Der Salat zwar mit Mayo, aber ganz wenig!, Essig, Gewürzgurke und kleingehackten abgekochten Eiern wie man bei uns in der Pfalz sagt. Das Blöde dabei, meine Mutter machte das derart nach Gefühl und Wellenschlag, dass es mir oder auch meinen kochmäßig talentierteren Schwestern nie gelang ihn so hinzubekommen wie sie. Öfter gab es warmen Kartoffelsalat mit Speck, den ich dann chirurgisch
entfernte. Als wir dann nach Stuttgart versetzt wurden und eine Wohnung bei einer urschwäbischen Familie anmieteten, wurde ich als erstes mit Tradition one, der sogenannten "Kehrwoche" bekannt gemacht, um dann die traditionelle Zubereitung des "schwäbischen" Kartoffelsalats zu erlernen und high-end "schlotzig" fertig zu stellen;). Lecker!