Irans geistiges Oberhaupt Ayatollah Ali Chamanei
Wackelt sein Thron? Irans geistiges Oberhaupt, Ali Chamenei / picture alliance

Studenten-Unruhen in Teheran - Zwischen Wut und Ohnmacht

Nachdem Irans Regierung zugeben musste, dass der Flugzeugabsturz in Teheran ein Flugzeugabschuss war, spitzt sich die Lage in Teheran bedrohlich zu. Augenzeugen berichten, die Polizei gehe mit äußerster Brutalität gegen die Demonstranten vor. Kann die Bewegung das Regime kippen?

Chiara Thies

Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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*Saba traut sich nicht mehr auf die Straße. Die 33-jährige Business-Managerin ist arbeitslos, wie so viele in ihrer Generation. Sie ist wieder bei ihrer Mutter eingezogen, weil sie sich keine Wohnung mehr leisten kann. Sie fühlt sich zerrieben zwischen der desaströsen Wirtschaft, der Brutalität ihres Regimes und der Iran-Politik der USA. Sinn in ihrem Leben zu finden, fällt ihr momentan sehr schwer – besonders in diesen Tagen. Seit der Ermordung Quasem Soleimanis herrscht der Ausnahmezustand im Iran.

Erst dominierten Bilder hunderttausender trauernder Iraner die TV-Nachrichten. Nach dem Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs durch das iranische Militär versammelten sich erneut junge Iraner vor der Scharif-Universität in Teheran, um zu trauern und gegen das Regime zu protestieren. Mit Bildern und Kerzen gedachten sie der Toten. 

Wer demonstriert, riskiert sein Leben

Im Demonstrieren haben viele mittlerweile Routine. Seit der Niederschlagung der Proteste 2009 wächst der studentische Widerstand stetig. Doch ohne die Landbevölkerung und den Norden des Landes hinter sich zu wissen, haben sie wenig Aussichten auf Erfolg. Ihr großer Vorteil ist das Internet: Die Demonstranten stimmen sich über Messengerdienste und Social Media ab. Als die Regierung das Internet im November 2019 lahmlegte, konnten sie sich auch nicht mehr verabreden. Hier zeigte sich, wie anfällig der junge Protest ist.

Aber Saba sieht in dem Protest keinen Sinn mehr. Zu viele Bekannte von ihr sind schon bei den vergangenen Demonstrationen getötet worden. Der Flugzeugabsturz hat ihr den Rest gegeben. Sie ist sicher, dass der Versuch des Regierung, den Absturz zu vertuschen, nicht die letzte Lüge  war. Der Regierung glaubt Saba schon lange nicht mehr. Wer auch immer in diesem aufgeladenen Klima im Iran zum Protestieren auf die Straße geht, riskiert sein Leben.

Neue Stufe der Brutalität 

Nach dem Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung soll es schon vorgekommen sein, dass Polizisten Demonstranten in die Brust oder den Kopf geschossen haben – auch solchen, die sie irrtümlich für Demonstranten hielten. Von 1.500 Toten bei den Unruhen im November berichtete die  Nachrichtenagentur Reuters. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Jetzt soll die Brutalität der Sicherheitskräfte eine neue Stufe erreicht haben. Saba sagt, es gäbe Gerüchte, dass auch Minderjährige erschossen wurden. 

Die Regierung gibt die Leichname nicht frei.Über Telegram-Kanäle hat Saba erfahren, dass Behörden die Toten nur gegen Geld herausgeben. Es soll um Beträge von bis zu 2.000 Euro pro Leiche gehen, eine Summe, die die meisten Iraner nicht aufbringen können. Die Regierung versucht auf diese Weise zu verhindern, dass wie bei der Grünen Revolution 2009 politisches Märtyrertum entsteht. Trotzdem werden auf Social Media und diversen Telegram-Kanälen die Bilder der toten Kinder und Teenager geteilt. 

Proteste weiten sich aus 

Erst Anfang Dezember hatte die Regierung zugegeben, dass sie die zurückliegenden großen Proteste im November gegen eine Benzinpreiserhöhung nach einer zuvor verhängten  Internetblockade mit Gewalt niedergeschlagen habe. Innenminister Fazli räumte ebenfalls ein, es sei die größte Demonstration seit 40 Jahren gewesen. Damit war dieser Protest folgenreicher als die Demonstrationen der Grünen Revolution 2009. Denn anders als damals gingen nicht die gebildeten Bürger der Mittelschicht auf die Straßen, sondern viele Menschen, die nicht wissen, woher sie Geld für Lebensmittel bekommen sollen. 

Präsident Hassan Rohani insistiert derweil: „Diese Rufe einiger Jugendlicher sind nicht die Stimme des Volkes.“ Dennoch wird immer offensichtlicher, dass das Regime nicht mehr in der Lage ist, die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen. Darüber können auch die Menschenmassen zu Soleimanis Begräbnis nicht hinwegtäuschen. „Die Regierung hält eine große öffentliche Trauerschau ab. Im Land selbst herrscht Erleichterung“, sagt Elektroingenieur *Malik. Er wohnt im Norden des Landes und immer noch bei seinen Eltern. 

Ist Soleimanis Nachfolger noch impulsiver? 

Auf den Mord an Quasem Soleimani hat er wie viele andere halb erleichtert, halb ernüchtert reagiert. Erleichtert deshalb, weil der General nun keine iranischen Jugendlichen mehr in den Krieg schicken kann. Und gleichzeitig ernüchtert, weil Malik weiß, dass jemand anderes Soleimanis Platz einnehmen wird. Nämlich der bisherige Stellvertreter Soleimanis, Esmail Ghaani. Malik fürchtet, dass Ghaani noch impulsiver als sein Vorgänger auftreten könnte. Noch haben die Regierung und der Revolutionsführer Chamenei Rückhalt bei einem Teil der Bevölkerung. Doch dieser Anteil werde immer geringer, sagt Malik.

Warten auf einen Wahlsieg der US-Demokraten 

Angst davor, dass der Konflikt zwischen dem Iran und den USA in einem Krieg gipfeln könnte, hat Malik trotzdem nicht: „Der Iran hat nicht die Stärke zu reagieren und auch nicht das nötige Geld. Das Regime muss mit den USA einen Deal aushandeln. Ansonsten besteht die iranische Strategie darin, die US-Wahlen abzuwarten. Und zu beten, dass die Demokraten gewinnen.“ Erst mit ihnen würde wieder ein iran-freundlicherer Kurs ins Weiße Haus einziehen, glaubt er. Derzeit leidet der Staat unter den wirtschaftlichen Sanktionen, die US-Präsident Trump gegen den Iran verhängt hat.  

Die Proteste auf der Straße richten sich mittlerweile gegen den Revolutionsführer Ali Chamenei. Das ist sehr viel gefährlicher als Demonstrationen gegen Präsident Hassan Rohani. Den kann das Volk im Zweifelsfall  abwählen, Chamenei nicht. Er ist der Kopf des autoritären Regimes. Kritischen Bürgern wie Malik und Saba raubt das die Motivation. Warum sollten sie ihr Leben für einen Kampf riskieren, den die Bevölkerung nur verlieren kann?

Die vollen Namen von *Saba und *Malik sind der Redaktion bekannt. 

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Ernst-Günther Konrad | Di., 14. Januar 2020 - 15:32

Es ist ein Dilemma. Iraner, die den Islam über alles stellen, im Zweifel sich immer für die Scharia entscheiden. Die trotz Richtungsunterschiede im Islam, im Zweifel immer gemeinsam gegen die "Feinde des Islam" kämpfen.
Iraner, die arm aufwachsen, die trotzdem Schulen besuchen, studieren und via Internet "Freiheit und Demokratie" atmen, aber an ihrer Lebenswirklichkeit scheitern, weil das System in dem sie leben, sie ihre Träume nicht Wirklichkeit werden lassen.
Der Aufstand im Iran kann nur dann eine Chance haben, wenn selbst die Soldaten dort, die Systembefürworter, gleichsam wie jetzt schon das Volk, die gleichen praktischen nachteiligen Lebenswirklichkeiten erdulden müssen. Wenn Nahrung, Benzin und öffentliche Versorgung zusammenbricht. Wenn selbst die treuesten Islamkämpfer hungern, keinen Sold mehr bekommen und auch beim einfachen Volk nichts mehr finden. So grausam es klingt, der fanatische Islam muss ausgehungert werden, auch wenn er vielen Systemkritikern das Leben kostet.

Michaela Diederichs | Di., 14. Januar 2020 - 16:20

Danke für Ihren guten Beitrag. Das geht doch aber schon so, seit sich die Mullahs dort installiert haben. Ein Ende ist nicht abzusehen. Die westliche Welt verschließt die Augen. Von den US-Demokraten ist nichts zu erwarten. Aber Hoffnung ist den jungen Menschen zu wünschen. Sonst bleibt ja nichts.

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14329021.html

gabriele bondzio | Di., 14. Januar 2020 - 16:21

die US-Wahlen abzuwarten. Und zu beten, dass die Demokraten gewinnen.“...das hat schon ein Geschmäckle! Die Undemokraten bzw. die konservativsten der Konservativen im Iran beten um den Sieg der Demokraten in den USA. Weil sie sich eher von dort unterstützt fühlen in ihrem Kampf gegen Demokratie.

Romuald Veselic | Di., 14. Januar 2020 - 19:31

In den klerikalen Annalen v. Iran steht klipp und klar, das Israels Vernichtung die existenzielle Aufgabe der Mullahs ist. Wie viele Beweise braucht man, um dem das Glaube zu schenken? Es sind Hasstiraden, so komponiert, dass sie nicht weiter zu überbieten sind.
Alle wussten von Existenz des AH-Meinkampf, und dennoch nahm man das nicht ernst. Obwohl Gröfaz nie behauptete, es sein eine Satire.

Die Autorin Frau Chiara Thies beschreibt die Situation lebensweltlich, ohne jeglichen Populismus in hochemotionalisierten Zeiten. Angenehm. Ich bin immer für eine verständnisvolle Beratschlagung. Und auch auch hier gilt:

„Gesellschaft“ ist eine dynamische Angelegenheit. Ein Kräftefeld, wo sich unterschiedliche Kräfte aufeinander beziehen. Und dann gibt es noch den unaufhaltsamen und unberechenbaren Wertewandel der Jugend, der vielleicht nicht so heroisch wie Hollywood daherkommt, sondern vielleicht kommt er langsam und unbemerkt daher.

Lisa Werle | Di., 14. Januar 2020 - 21:12

Was mich in Anbetracht dieser Schilderungen fassungslos macht, ist die Reaktion bei manchen Medien, vor allem im ÖR und bei unseren Politikern. Bislang wurde – zuletzt am Montag in ‚Hart aber fair‘ – fast ausschließlich darüber philosophiert, ob es denn rechtens gewesen sei bzw. das Gegenteil davon, Soleimani zu töten. Und was Trump damit ‚ausgelöst‘ habe.
Kein Wort in der Diskussion über die seit Jahrzehnten währenden und weitgehend unkommentierten rechtlosen und brutal- diktatorischen Zustände im Iran. Die ÖR-Journalisten, die Politiker wissen alles dazu – und diskutieren stundenlang nur über diese eine Person Soleimani, den angeblichen ‚Top-General‘ (ZDF/Slomka). Die iranischen Machthaber, die Kinder erschießen und die Leichname an deren Eltern verkaufen, erwähnen sie mit keinem Wort. Das kann ich nur verachten.