21.10.2019, Sachsen, Dresden: Wolfram Günther (l-r) und Katja Meier, Spitzenkandidaten von Bündnis 90/ Die Grünen zur sächsischen Landtagswahl, Michael Kretschmer (CDU), Sachsens Ministerpräsident, und Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen, stehen im Ständehaus vor Medienvertretern beisammen. Dort haben die Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Landesregierung begonnen.
Keniakoalition made in Sachsen: Ideologisch überdehnt und starr im Korsett / picture alliance

Kenia-Koalitionen in Sachsen und Brandenburg - Warum die Parteien wechselnde Mehrheiten praktizieren sollten

Nach den Landtagswahlen im Osten zeigen sich die Parteien unfähig, die Regierungsbildung an ein verändertes Parteiensystem anzupassen. Das „Weiter so“ in Mehrheitskoalitionen schleift die Parteiprofile ab und spielt der AfD in die Hände. Dabei ließen sich die Folgen leicht mindern

Christian Stecker

Autoreninfo

Christian Stecker ist Politikwissenschaftler am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)

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Während man in Thüringen weiterhin ratlos auf das Wahlergebnis blickt, bilden CDU, SPD und Grüne in Sachsen und Brandenburg zügig Kenia-Koalitionen. Den Koalitionsverträgen werden wohlklingende Präambeln vorangestellt, in denen die Kenianer der ernüchternden Geschichte ihrer arrangierten Anti-AfD-Zwangsheirat einige polit-romantische Elemente hinzudichten. Die Beschwörungen, dass die Gegensätze zwischen ihnen allesamt „unzeitgemäß“ geworden seien und in „konstruktive Kompromisse" überführt werden könnten, übertünchen das Offensichtliche allerdings kaum: Auf fundamentale gesellschaftliche Streitfragen haben CDU, SPD und Grüne oft gegensätzliche Antworten.

Darüber darf man sich freuen, denn schließlich sind die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls unterschiedlicher Meinung zu Einwanderung, Umverteilung, Integration oder zum Klimawandel. Diese Meinungsvielfalt mit jeweils passenden politischen Angeboten aufzugreifen, ist Kernaufgabe demokratischer Parteien. Die Parteien sollten auch zumindest sondieren, wo inhaltlicher Streit in Kompromisse überführt werden kann. Nicht stur an ihren Minderheitspositionen festzuhalten, sondern Mehrheiten innerhalb des demokratischen Spektrums zu suchen, ist eine weitere Kernaufgabe.

Mehrheitskoalition made in Germany

Der Konstruktionsfehler von Kenia und anderen farbenfroh ideologisch überdehnten Bündnissen wie Jamaika oder Schwarz-Grün liegt darin, dass die Kompromissbildung in ein enges Korsett gepresst wird. Mehrheitskoalition made in Germany bedeutet, dass sich die Koalitionäre in allen Themen auf eine gemeinsame Position einigen müssen und dies öffentlich auch so vertreten. Diese unbedingte Koalitionstreue kann den Parteien gerade in heterogenen Bündnissen schwer zusetzen. Mit wachsenden Meinungsverschiedenheiten wird es eben immer schwieriger, die jeweiligen Kompromisse der eigenen Wählerschaft zu vermitteln, ohne beliebig zu wirken.

Die Koalitionsgravitation wird die Union in Brandenburg und Sachsen oft weit nach links ziehen – zum Frohlocken der AfD. Sie wird die CDU regelmäßig der Prinzipienlosigkeit anklagen und ihr dumpfes Narrativ vom „Allparteienkartell“, das die Bürger verrät, mit „Beweisfotos“ schwarz-rot-grüner Kabinettssitzungen vertwittern. Auf der anderen Seite wird den Anhängern und Anhängerinnen der Grünen so mancher Kompromiss mit der Union etwa in der Innen- und Integrationspolitik übel aufstoßen. In Kenia schnüren sich eben die Parteien ins Koalitionskorsett, die vor wenigen Jahren in vielen Themen noch die gegensätzlichen Enden des politischen Spektrums abdeckten. Schaffen sich die Parteien keine Freiräume, in denen sie dieses Spektrum auch als Koalitionäre weiterhin bedienen können, droht eine Demobilisierung der Wählerschaft links der AfD. Nutzt die AfD die wonnige Zeit in der Fundamentalopposition nicht dazu, sich selbst zu zerlegen, ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sie aus den nächsten Wahlen weiter gestärkt hervorgeht und dann in der Gesetzgebung nicht mehr ignoriert werden kann.

Die Alternativen zum Koalitionskorsett sind vielfältig

Alternativlos ist dies alles nicht. Kompromisse – und darin liegt die große Wissenslücke der Kenianer – müssen nicht ausschließlich im Korsett einer Mehrheitskoalition und im starren Gegeneinander von Regierung und Opposition gesucht werden. Die Alternativen sind auch nicht darauf begrenzt, in einer Minderheitsregierung quasi über Nacht hektisch fallweise Mehrheiten zusammenzuschustern. Um die Kompromissbildung in Deutschland angesichts des zersplitterten Parteiensystems neu zu justieren, bieten sich zahlreiche Stellschrauben.

Es fängt damit an, dass sich die Partner in Kenia gegenseitig erlauben könnten, in vorher definierten Bereichen eigene Positionen unverändert gegen die Koalitionspartner zu vertreten. Tiefgreifender Dissens müsste dann nicht in jedem Punkt aufgelöst werden, und der programmatische Kern der beteiligten Parteien bliebe für die Wähler schärfer umrissen. Die Parteien in Neuseeland haben diese „agree-to-disagree“-Klauseln erfunden, als sie sich nach einer Reform (die das britische Mehrheitswahl- mit dem deutschen Verhältniswahlsystem ersetzte) unvermittelter als die Deutschen in einem zersplitterten Parteiensystem wiederfanden.

Das Spiel der wechselnden Mehrheiten

Dies kann weitergetrieben werden, indem man sich in bestimmten Bereichen auch die Suche nach wechselnden Mehrheiten erlaubt. In Brandenburg könnten dann zum Beispiel nicht nur die Kenianer, sondern gelegentlich auch Rot-Rot-Grün oder eine Verbindung mit den Freien Wählern gemeinsam Politik machen – abhängig davon, welche Partner in der jeweiligen Sachfrage am besten miteinander können. Man kann dies vorher in Gesetzgebungskoalitionsverträgen kodifizieren und Spielregeln bestimmen, die diese ungewöhnlichen Arrangements stabilisieren. So muss klar sein, dass alle, die am Spiel der wechselnden Mehrheiten teilnehmen und dabei mal gewinnen und mal verlieren, den Landeshaushalt als Voraussetzung politischer Handlungsfähigkeit stützen.

Freilich könnten bei wechselnden Mehrheiten sogar Regierungsparteien mal eine Abstimmung verlieren. In Dänemark akzeptierte eine liberal-konservative Minderheitsregierung in den 1980er Jahren mehr als 100 Abstimmungsniederlagen gegen die sozialdemokratisch geführte Opposition. Für deutsche Ohren klingt dies unerhört. Letztlich ist es aber nur eine Variante einer demokratischen Grundidee: Mehrheiten (im Parlament) besitzen einen legitimen Gestaltungsanspruch, auch oder gerade, wenn sie quer zu einer bestimmten (oft rein formalen und nicht inhaltlich begründeten) Regierungsmehrheit liegen. Legitime Mehrheiten gegen sich zu akzeptieren, ohne dann beleidigt eine Zusammenarbeit in anderen Bereichen zu verweigern: darin liegt die eigentliche staatspolitische Verantwortung der Parteien in der aktuellen Situation.

Die AfD aus der Reserve locken

Mit einer flexibleren Zusammenarbeit können die Parteien nicht nur die Handlungsfähigkeit des Parlaments erhöhen und ihre programmatischen Profile schonen. Eventuell ließe sich so auch die AfD aus der Reserve locken. Was würde eigentlich passieren, wenn die CDU in Thüringen oder Sachsen ein paar moderate konservative Positionen im Landtag zur Abstimmung stellte? Verweigert die AfD die Zustimmung, können die Konservativen zeigen, dass die Radikalen – wie zu erwarten – zum Politikmachen eben nicht taugen. AfD-Wähler, die konservative Politik möglichst ohne links-grünen Anstrich wünschen, mögen beim nächsten Mal dann doch bitte (wieder) die Union wählen. Unterstützt die AfD dagegen diese Initiativen, sind nicht deren extreme, sondern moderate konservative Positionen umgesetzt, von denen sich Linke, Grüne und SPD wiederum klar abgrenzen können.

Der skeptische Einwand, dass fallweise bürgerliche Mehrheiten etwa mit der besonders unbürgerlichen Höcke-AfD einen Dammbruch bedeuten und blau-schwarzen Koalitionen Tür und Tor öffnen, ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Mit Blick auf die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt stellt sich aber auch die Gegenfrage, ob man die Union im Osten nicht viel schneller und nachhaltiger in Richtung schwarz-blau treibt, wenn man ihr fünf Jahre Kenia-Korsett mit Grünen und SPD zumutet.

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Steffen Loos | Di., 19. November 2019 - 09:18

Das ist Demokratie nach meiner Vorstellung. Schön wäre es, wenn sich Politiker der verschiedenen Parteien diesen Artikel mal durchlesen und sich zu Herzen nehmen. Dieser Starrsinn ist unerträglich.

helmut armbruster | Di., 19. November 2019 - 09:58

und das ist nicht das, was man als Wähler dieser Partei wollte.
Außerdem, einmal gewählt, hat der Wähler nichts mehr zu sagen. Das Geschacher oder Gemauschel um Koalition mit wem, bzw. mit wem nicht, machen die Parteioberen unter sich aus.
Der Wähler fühlt sich ausgetrickst und fragt sich vielleicht warum habe ich überhaupt diese Partei gewählt.

Wählen die Bürger mehrheitlich konservative Parteien und bekommen Links-Grün, ist das falsch. Stellen die Parteien kurz nach der Wahl fest, dass wir eine (Klima-, Flüchtlings-, €- oder sonst.) Krise haben, ändern sie die Politik. Ob das dem Willen der Wähler entspricht, spielt keine Rolle. Man glaubt Ergebnissen von Meinungsforschern. Die Wähler müssen dann mit den Folgen leben. Da können wir uns die Wahlprogramme gleich sparen, das ist Parteiendiktatur.
Das GG sagt nach meiner Kenntnis: „Die Abgeordneten sind nur dem Gewissen verantwortlich“ und „die Parteien wirken an der Meinungsbildung mit“. Der Fraktionszwang steht nach meiner Kenntnis nicht darin. Also handeln die Parteien GG-widrig!
Da wäre eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten gut. Aber wer stellt und wählt d(i)e(n) Kanzler(in) / Ministerpräsident(i/e)n und die Minister(innen)?

siehe: Art 38 Absatz 1 Satz des Grundgesetzes: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."
Das Gewissen der Abgeordneten ist ganz offensichtlich sehr, sehr weit. Denn seit Jahrzehnten folgen die allermeisten Abgeordneten Weisungen ihrer Fraktion (= Fraktionszwang).
So gesehen sind die vielen Abgeordneten völlig überflüssig, denn sie folgen bei Abstimmungen den Vorgaben ihrer Fraktionsausschüsse. Man könnte also von heute auf morgen die Parlamente verkleinern auf die Größe ihrer Fraktionsausschüsse und nichts würde sich ändern.
Doch etwas würde sich schon ändern:
Das Ganze wäre wesentlich billiger und Hunderte von Abgeordneten hätten kein Einkommen und keine Pensionsansprüche mehr. Aber das wäre nur von Vorteil für das Lan!

Petra Horn | Di., 19. November 2019 - 10:07

Eine Parteienlandschaft, die sich immer stärker zusammenklüngelt inkl. der Linken(SED), aber ohne die AfD, also alle gegen eine, auch Einheitspartei genannt, soll der AfD den Wind aus Segeln nehmen?
Das ist sehr naiv.

Sehr geehrte Frau Horn,
die Pointe ist ja, dass sich nicht alle Parteien links der AfD "zusammenklüngeln" sondern Möglichkeiten schaffen, sich auch voneinander abzuheben.

Das nenne ich mal eine Aufforderung und Herausforderung. Herr Höcke nimmt seine Person in Thüringen aus dem Spiel, um CDU und FDP zu einer Zusammenarbeit mit der AfD zu bewegen. Der Ball liegt im Feld. Mal schauen, wer sich wagt, den Ball anzunehmen und in welche Richtung er geschossen wird. Die Meinung der Einheitspartei(en) wird wohl die bekannte sein.

https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/thueringen-hoeckes-ange…

Als wenn die AfD ohne Hoecke plötzlich eine durch und durch geläuterte, rundherum demokratische, akzeptable Partei würde.
Ob mit oder ohne Hoecke - so lange die AfD sich nicht grundlegend wandelt und geschätzt 70% ihrer Mitglieder raus wirft, kann keine demokratische Partei mit ihr koalieren.

Hallo Herr Lenz,
die AfD vertritt zu gut 80 % das Programm der ehemals konservativen CDU. Würde sie sich grundlegend wandeln, hätten wir die heutige CDU, die zwischenzeitlich rot-grün eingefärbt ist. Im Übrigen müsste Ihre Forderung dann auch für die altkommunistischen Mitglieder der LINKEN gelten.
Darüber hinaus hat jede Partei das eine oder andere Mitglied, dass sie gerne loswerden würde, aber wegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht ausschließen kann.
M.F.G.

Gerhard Lenz | Mi., 20. November 2019 - 12:24

Antwort auf von Wolfgang Henning

Lieber Herr Henning, nennen Sie mir doch mal die Parallelen zwischen alter CDU und heutiger AfD in den Bereichen Wirtschafts-, Sozial-, Renten- und Aussenpolitik (um nur einige Bereiche zu nennen).
Zugegeben: In den meisten dieser Politikbereiche hat die AfD kein Programm.
Was mich zu dem Ergebnis bringt, dass selbst die frührere CDU, auch wenn sie ein paar bekennende Konservative hatte, niemals auch nur im entfernten der AfD von heute ähnelt.
Vor allen Dingen hättte sie Leute wie Hoecke, Kalbitz, Brandner usw niemals geduldet.

Jürgen Keil | Di., 19. November 2019 - 10:15

Twittertexte zeichnen sich selten durch Sachlichkeit aus, egal ob sie von der rechten oder linken Seite kommen. Der im Text Verlinkte ist unrealistisch und polemisch. Als ein "dumpfes Narrativ" empfinde ich aber auch die oft verwandten Charakterisierungen der AFD mit "populistisch" oder "Nazi …". Alles nicht hilfreich, um eine Formulierung unserer Kanzlerin zu benutzen. Eine Frage, die ich mir schon oft stellte. Wozu braucht unser Land so viele Politikwissenschaftler? Haben die schon jemals etwas an der Politik verändert? Polittaktische Spitzfindigkeiten; schade ums Geld. Ingenieure und "Mint"- Wissenschaftler braucht das Land.

Christian Stecker | Di., 19. November 2019 - 11:09

Antwort auf von Jürgen Keil

Sehr geehrte Herr Keil,
wir brauchen tatsächlich mehr Ingenieure und "Mint"-Wissenschaftler als Politikwissenschaftler und zum Glück ist dies auch so. Wir sind aber auch nicht völlig unnütz (und auch gar nicht mal so teuer). Wir können z. B. Optionen aufzeigen, wie man in einem zersplitterten Parteiensystem trotzdem konstruktiv Politik machen kann. Die Politiker müssten das nur zur Kenntnis nehmen, so wie sie hoffentlich die Expertise von "Mint"-Wissenschaftlern zur Kenntnis nimmt.

Gerhard Lenz | Di., 19. November 2019 - 11:12

Antwort auf von Jürgen Keil

Der Autor gebraucht den Begriff "besonders unbürgerliche Hoecke-AfD", und das kann man durchaus noch als freundlich werten. Auch der verlinkte Zeit-Artikel ist keineswegs polemisch.
Nicht umsonst darf Hoecke "Faschist" genannt werden, wird der Flügel vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Angesichts stetiger Radikalisierung sollte niemand überrascht sein, wenn irgendwann die Gesamtpartei überwacht wird.
Dafür gibt es Gründe, die bei der AfD selbst zu finden sind. Selbst die interne Kommission fand Aussagen, die zumindest "zweifelhaft" schienen.

meinen Sie ernsthaft, ein Gerichtsurteil, nachdem Herr Höcke die Bezeichnung "Faschist" aushalten muß, beweist, er sei ein Faschist? Gilt der gleiche Schluß auch für Frau Künast?

Gerhard Lenz | Mi., 20. November 2019 - 10:35

Antwort auf von Volkmar du Puits

..um eine Einschätzung ihres politischen Standpunktes? Wohl kaum, also sind die Richtersprüche nicht vergleichbar. Ausserdem kamen die Richter im Falle Hoecke zu dem Ergebnis, es gäbe berechtigte Anhaltspunkte, Hoecke einen Faschisten zu nennen - bei Künast erübrigt sich das natürlich, denn es ging ja um üble Beschimpfungen.
Einigen wir uns: Sie dürfen den Richterspruch für falsch halten, ich und andere halten Hoecke für einen Faschisten. Und wir dürfen das auch, nicht nur denken, sondern auch sagen und schreiben.

Ich hatte nicht den Zeitartikel als polemisch bezeichnet, sondern den tweet der AFD. Sie wissen schon, das selbst Bodo Ramelow, nicht ein Verdachtsfall, sondern sogar ein Beobachtungsfall des Verfassungsschutzes war. Was will ich wohl damit sagen? Auch wenn ein Politiker als Faschist bezeichnet werden darf, muss er noch lange keiner sein. Heut zu Tage definiert jeder, jeden Begriff wie er will. Es lohnt sich schon einmal, offizielle Definitionen zu lesen. Die wandeln sich zwar auch mit der Zeit. Wie zum Beispiel folgende: Kleines politisches Wörterbuch, Dietz- Verlag 1967: "Faschismus: konterrevolutionäre politische Bewegung, offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen und am meisten imperialistischen Gruppen des Finanzkapitals..." :-) Vera Lengsfeld bezeichnet Höcke als nationalen Sozialisten. Ich würde ihn einen nationalromantischen, sozialen Konservativen nennen. Ein Faschist ist er ganz bestimmt nicht.

Gerhard Lenz | Mi., 20. November 2019 - 10:40

Antwort auf von Jürgen Keil

In unserem wunderbaren Gemeinwesen (anders als in der DDR oder im heutigen Russland) dürfen Sie einen Richterspruch auch öffentlich anzweifeln.
Allerdings ändert das im Ergebnis nichts: Die vielen Hoecke-Gegener dürfen ihn öffentlich Faschisten nennen.
Hoecke dagegen als Nationalromantiker zu bezeichnen, also einen Mann, der die NS-Zeit anders bewerten möchte und Rassenlehren entwirft? Damit ist schon ein Gauland gescheitert, das glauben selbst in der AfD nur (noch) wenige.

Markus Michaelis | Di., 19. November 2019 - 10:19

Den Vorschlag sich in Koalitionen mehr Freiheit zu gewähren, finde ich sehr gut.

Es ist eine menschliche und ich glaube besonders deutsche Eigenschaft, dass man an eine Wahrheit, Fakten und universelle Werte glauben will. Wahrheit und universelle Werte sind wichtige Ideen, aber die Praxis ist viel breiter, widersprüchlicher, bunter. Die eine Wahrheit/universelle Idee gibt es oft nur, wenn man in homogenen Gruppen bleibt oder gleiche Feinde hat. Fakten sind wichtig, aber für große Fragen meist irrelelvant, weil vor den Fakten subjektive Ziele kommen: Gerechtigkeit, Menschenrechte, Liebe, Nation, Freiheit, Familie, Glück etc. Danach werden zugehörige Fakten aus der unendlichen Fülle der Welt herausgefiltert.

Ein Weg zu mehr Politik und einem besseren Umgang damit könnte es sein, sich in einer Koalition auch unterschiedliche Ziele, Fakten, Standpunkte, Ansichten etc. zu "gönnen" und dann trotzdem einen Kompromiss vorzulegen.

Christoph Kuhlmann | Di., 19. November 2019 - 10:37

wozu es noch 5 bis 7 im Parlament braucht, wenn sowieso nicht abzusehen ist was für eine Politik die "Sieger" nachher vereinbaren? Die politischen Optionen sind durch die "Kartellparteien" rechts und links begrenzt worden. So wie es jetzt aussieht werden sie in Zukunft wieder die volle Bandbreite des verfassungsrechtlich definierten Spielraumes umfassen. Einerseits erweitert dies die möglichen Wahlentscheidungen andererseits erschwert es die Orientierung und schränkt damit die Stabilität des politischen Systems ein, zumal es die Mehrzahl der Wähler schlicht mit Komplexität überfrachtet.

Petra Führmann | Di., 19. November 2019 - 10:37

Die Überschrift las sich interessant, aber natürlich wieder der übliche Satz "und spielt der AfD in die Hände." Von da an habe ich es mir erspart, weiterzulesen. Steht das nicht diametral zur Überschrift, mal etwas anderes auszuprobieren statt des Weiter so?

Gerhard Lenz | Di., 19. November 2019 - 11:02

Antwort auf von Petra Führmann

aber immer im Rahmen des Machbaren, d.h. innerhalb des demokratischen Spektrums. Und da fällt die AfD natürlich durch. Die ist zwar demokratisch gewählt, aber dadurch noch lange nicht automatisch auch eine demokratische Partei.

was wären denn so Ihre Kriterien für eine demokratische Partei? Die Grünen und die SPD wollen inzwischen relativ offen die Demokratie einschränken - natürlich für einen guten Zweck. Sind die in Ihren Augen demokratisch? Demokratie bedeutet nichts weiter, als daß das Volk durch freie Wahlen an der Macht teilhat - damit ist eine durch freie Wahlen gewählte Partei auch demokratisch, solange sie dieses Prinzip nicht aktiv bekämpft. Ich kenne niemanden bei der AfD, der vorhat, die freien Wahlen abzuschaffen.

Gerhard Lenz | Mi., 20. November 2019 - 10:45

Antwort auf von Volkmar du Puits

...ich muss nicht wiederholen, was der Verfassungsschutz in seiner Materialsammlung als Anhaltspunkte für die fragwürdige Haltung der AfD zur Demokratie zusammengestellt hat - sie finden diesen Bericht oder eine Kommentierung sicher im Internet. Aber damit ist die Geschichte ja nicht vorbei, sie ist konstant, ja verlässlich: In Augsburg verklagen sich AfDler gegenseitig wegen angeblicher Verharmlosung des Holocaust, in Rhld-Pfalz musste ein AfDler seine Bewerbung für den Landesvorsitz zurückziehen, weil er mit der NPD mauschelte, der jetzt gewählte Kandidat hatte angeblich Kontakte zu den Identitären - alles keine Musterdemokraten.
Interessanter jedoch, was Sie behaupten: Wo und wie wollen SPD und Grüne die Demokratie einschränken? Da bin ich allerdings auf Ihre Antwort gespannt...

Ernst-Günther Konrad | Di., 19. November 2019 - 11:55

Antwort auf von Petra Führmann

und habe es mir erspart. Der wievielte Artikel ist das schon von sog. Politikwissenschaftlern, die alle irgendwie Strategien veröffentlichen an deren Ende immer das Ziel formuliert wird, gegen die AFD, zur Verhinderung der AFD, zur Vermeidung einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dieser AFD. Auch Her Strecker scheint nicht anders zu sein. Auch ich las nur den einleitenden Teil, dann hatte ich neudeutsch "keinen Bock" mehr. Was ich nicht verstehe, wenn die AFD so nichtssagend ist, ihre Leute alle keine Ahnung haben, ihre Aussagen angeblich nicht stimmen und sie nichts zukunftsweisenden entwickeln und fordern können, warum liest man hier darüber nichts in den vielen Artikel wider die AFD? Kann es sein, dass es nur Behauptungen sind und eben eine inhaltliche Auseinandersetzung im Ergebnis dazu fürhen könnte, dass die doch irgendwie Recht haben?
Gut das man die BT-Reden selber auf Phnix und auf Youtube nachsehen und hölren kann. Bin immer wieder überrascht darüber, was andere da hören

Was sind denn die sozialpolitischen oder wirtschaftspolitischen Ziele der AfD? Wie stellt sie sich eine Rentenpolitik vor, wie eine zukünftige Außen- und Verteidigungspolitik? Fehlanzeige.
AfD-Programm: Nichts als Leerstellen.
Ausser Migration, Energiewende, EU und ÖR, sowie hier und da zu ein paar Einzelfragen, hat die AfD nichts zu sagen.
Da gibt es nichts, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Die Partei weiss nämlich genau: Hat sie ein Programm, wird sie angreifbar(er). Bis dahin kann sich jeder unter "AfD" vorstellen, was er/sie will. Was ja auch passiert.

Wir erleben seit mindestens 21 Jahren (1998) eine Rentenpolitik mit dem Dreiklang: Verschlechterung der Leistungen + Erhöhung der Beiträge + Erhöhung der Steuerzuschüsse in die Rentenkasse (ggf. Erhöhung der Staatsverschuldung). Es gibt berechtigte Bedenken, ob dieses Konzept auf Dauer nachhaltig und 'Renten sicher' sind. Stichworte: demografischer Faktor, Wirtschaftskrisen usw. Sie wissen das!
Die AfD führt nun eine alte Diskussion der CDU.
Ganz grob skizziert:
Prinzipiell stehen sich Verfechter des (ggf. zu 'optimierenden') geltenden 'Umlageverfahrens' (damals Blüm; in der AfD Höcke) Verfechtern eines kapitalgedeckten Ansparverfahrens (damals Biedenkopf, Miegel; in der AfD Meuthen) gegenüber. Durch die aktuelle Lage am Kapital-Markt (Null- und Negativzinsen) hat das kapitalg. Ansparverfahren (Meuthen) meines Erachtens bis auf Weiteres keine Chance.
Sach-Problem: Die Renten sind NICHT mehr sicher. Spätestens 2035 kollabiert das Umlageverfahren. Keine Partei hat eine echte Lösung!

Gisela Fimiani | Di., 19. November 2019 - 12:22

Man fragt, wozu Koalitionsverrenkungen aller Art dienen? Sie dienen dem Postenerhalt derer, die, außerhalb ihrer politischen „Berufstätigkeit“, keine Alternative haben. Die hier beschriebenen Alternativen sind zu unsicher und herausfordernd und könnten den sicheren Posten gefährden. Deshalb dient die Alternativlosigkeit dem Schutz der Feigheit des Dilettanten, gipfelnd in dem unerträglichen Euphemismus der „Regierungs-Verantwortung“ für das Land. Ein Land, das keine checks hat, verliert die Balance. Es bringt Politiker hervor, die keiner Herausforderungen mehr gewachsen sind.

Tomas Poth | Di., 19. November 2019 - 13:09

Ist es denn nicht eher umgekehrt? Dieser Artikel ist doch eher eine Bestätigung dessen, nämlich der Blockade-Haltung der Altparteien gegenüber der AfD.
Wer wie hier beschrieben nach Mehrheiten sucht, muss doch aufzeigen wo Übereinstimmungen in Sachfragen parteiübergreifend möglich sind.
Die CDU steht dabei allgemein unter Druck, ob sie noch weiter ins sozialistische abdrehen oder sich auf Erhardsche Positionen besinnen will.

Armin Latell | Di., 19. November 2019 - 13:36

wie zu erwarten – zum Politikmachen eben nicht taugen. Hier offenbart sich eine typische, grandiose Unwissenheit (oder Ignoranz). Siehe das Angebotsschreiben von B.Höcke an CDU und FDP. Davon abgesehen: die AfD hat noch jedem sinnvollen Vorschlag zugestimmt – Fundamentalablehnung gibt es ausschließlich von den Einheitsparteien. Genau aus diesem Grund wird es zu keinem Zeitpunkt eine auch nur ansatzweise Zusammenarbeit geben und damit der Beweis NICHT erbracht werden können, dass das Mantra der Feinde an den Haaren herbeigezogen ist. Würde er erbracht werden , hätte das einen Dammbruch zur Folge. Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Dieser Artikel ist reine Augenwischerei.

...als Zeichen von Politikfähigkeit, lieber Herr Latell? Eine gewagte Argumentation. Denn es geht ja nicht (nur) um Hoecke.
Der "Faschist" steht ja innerhalb der AfD für radikales, völkisch-nationalistisches Denken. Und irgendwer hat ihn, trotz oder wegen seines Denkens, an die Spitze des thüringischen Landesvebandes gewählt, und auch innerhalb der Bundespartei dafür gesorgt, dass Hoecke einen gewissen Einfluss hat.
Ändern denn alle Hoecke-Anhänger ihre Gesinnung, wenn sich Hoecke einer Regierungsbeteiligung enthält?
Manchmal bekommen wir nun mal die falschen Führer, Staatenlenker, Verbandspräsidenten usw. Aber Radikale, Extremisten Ungeeignete usw. gibt es ja nicht nur in der AfD, es gibt es überall, damit muss man leben. Nicht damit leben kann man aber, wenn solche Leute gewählt werden. Da muss man fragen, wer und warum solche Leute gewählt wurden.

Hans Schäfer | Mi., 20. November 2019 - 14:28

Koalitionen verfälschen den Wählerwillen. Zumal sie willkürlich von den Parteien gebildet werden, in dem die sich die Deutungshoheit über das Wahlergebnis wiederrechtlich aneignen.
Erzielt eine Partei bei einer Wahl nicht die absolute Mehrheit, muss sie Kompromisse eingehen, wenn sie regieren will.
Bildet man ein KO wird der Kompromiss vor Reg.-Bildung ausgehandelt und in einem KO-Vertrag festgehalten. Nach der letzten BT-Wahl hat das vier Monate gedauert. Der KO-Vertrag wurde bis heute immer wieder in Frage gestellt, Stichwort: Bedürftigkeitsprüfung. Dies erzeugt in den Augen der Bevölkerung UNEINIGKEIT.
Ich vertrete die Meinung, dass die Partei, die meisten Stimmen erhalten hat, die Reg stellt. Das Regierungshandeln wird erst DANN, wenn Gesetze erlassen werden müssen, von Kompromissen bestimmt. Vorteil, man kann auf die globale Lage, die dann herrscht, reagieren. Abgeordnete sind wieder eher Volks(Wahlkreis)vertreter und nicht wie heute einem Fraktionszwang ausgesetzt.

Karla Vetter | Mi., 20. November 2019 - 19:22

hat doch seinen inflationären Gebrauch erst durch den Kommunismus erhalten. Ich bevorzuge nach wie vor das Wort Nationalsozialist, wenn ich einen ewig Gestrigen beschreibe. Natürlich gebrauchen Kommunisten und Internationale Sozialisten dieses Wort nicht so gerne ,würde es doch eine gewisse Verwandtschaft der Ideologien offenbaren.