der britische Außenminister Boris Johnson
Boris Johnson ist von der Schuld Russlands überzeugt / picture alliance

Nach Giftanschlag auf Sergej Skripal - Grüße von Wladimir

Im Fall Sergej Skripal geht der Kampf um die Deutungshoheit weiter. Dank des britischen Außenministers Boris Johnson haben die Russen derzeit die Nase vorn. Im Hintergrund wird aber an Sanktionsmöglichkeiten gegen Personen im engsten Umfeld Putins gearbeitet

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Hatte Großbritannien jemals einen Außenminister, der seinem Land derart viel Schaden zugefügt hat wie Boris Johnson? In einem Kommentar zur Skripal-Affäre in der Sunday Times goss der ehemalige Journalist am Wochenende noch einmal Öl ins Feuer: Wer wie Labour-Chef Jeremy Corbyn Russland für den Giftanschlag von Salisbury nicht „zweifelsfrei verurteile“, mache sich „zum nützlichen Idioten des Kreml“. Corbyn verlangt seit der Vergiftung des ehemaligen Doppelagenten Sergei Skripal und seiner Tochter Julia am 4. März Beweise für die Täterschaft der russischen Regierung. In Deutschland bekäme Corbyn dafür viel Applaus. In England dagegen gilt diese Haltung als unpatriotisch. 

Schließlich hat auch die konservative Premierministerin Theresa May die russische Regierung direkt der Verantwortung bezichtigt. Diese fordert ungerührt Zugang zu Julia Skripal. Die britischen Behörden lehnen dies ab, weil sie um Julia Skripals Sicherheit fürchten und bieten ihr und ihrem Vater neue geheime Identitäten in einem der Länder an, die zur sogenannten „Fünf-Augen“-Allianz gehören: Das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland haben ein eigenes Sicherheitsabkommen. 

Klare Spielregeln gibt es nicht

Doch wer Leute wie Johnson auf der Regierungsbank hat, der braucht keine Feinde mehr. Dank des Außenministers haben die Russen derzeit im PR-Krieg die Nase vorn. Johnson hat in seiner bemerkenswert nachlässigen Art in einem Interview mit der Deutschen Welle vor Ostern salopp behauptet, die Nervengas-Experten im englischen Laboratorium Porton Down hätten bestätigt, dass die in Salisbury eingesetzte Chemiewaffe Novichok aus Russland stamme. Porton Down aber widersprach Johnson in einer Stellungnahme. Die russische Regierung triumphierte. „Die Situation ist ja schlimmer als im Kalten Krieg“, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Das ist vielleicht etwas übertrieben, doch in einem Aspekt hat Lawrow recht: Zu Sowjetzeiten gab es klare Spielregeln zwischen Ost und West. Zur Zeit gibt es die nicht. Russland hat mit der Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel 2014 die Grenzen in Europa verändert. Russland versucht außerdem, die politischen Geschicke im Westen mit klandestinen Methoden zu beeinflussen – teils mit lancierten Fake-News-Kampagnen, teils mittels politischer oder finanzieller Unterstützung rechtsextremer Parteien in Westeuropa. In London sterben zudem seit 2006 Geschäftsleute, die mit dem Regime von Wladimir Putin über Kreuz geraten sind. Inzwischen stehen 14 Namen von ungeklärten Todesfällen im Russen-Milieu auf einer Liste, die Buzzfeed im März zusammengestellt hat.

Ist die Indizienkette ausreichend?

Einer davon ist Alexander Perepilichny. Der russische Geschäftsmann galt als fit und gesund, als er 2012 beim Joggen tot zusammenbrach. In seinem Magen fanden sich Spuren einer giftigen Pflanze. Perepilichny hatte vor seinem plötzlichen Tod an der Aufklärung von russischen Geldwäsche-Operationen mitgewirkt. Der jüngste Fall ist Nikolai Gluschkow, der öffentlich angezweifelt hatte, dass sein Freund und Putin-Erzfeind Boris Beresowski 2013 freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Gluschkow wurde am 12. März erwürgt in seiner Wohnung in Südlondon aufgefunden. 

Ist diese Indizienkette ausreichend, um die Schuld an Sergei Skripals Vergiftung dem Kreml in die Schuhe zu schieben? Schließlich hat man beim Nervengas Novichok, das bei den Skripals verwendet wurde, keine Notiz gefunden, auf der gestanden wäre: „Grüße von Wladimir“. 

Chemiewaffen-Experte von Schuld Russlands überzeugt

Der britische Geheimdienst hat offenbar weit mehr Informationen, als bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Alliierte wie die Deutschen und Franzosen hat dieses Material überzeugt. Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel haben in Solidarität mit dem Vereinigten Königreich russische Diplomaten ausgewiesen. Es ist zudem eine britische Tradition, keine Details zu einer laufenden Untersuchung zu präsentieren. 

Langsam aber dringen mehr Details an die Öffentlichkeit. Novichok wurde in einer militärischen Forschungsstätte in der zentralrussischen Stadt Schichany an der Wolga hergestellt, gibt Hamish de Bretton-Gordan an. Der Chemiewaffen-Experte war Offizier in der britischen Armee. In einem BBC-Interview sagte er außerdem: „Ich habe viele verschiedene Geheimdienstquellen gesehen und bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass die Premierministerin Recht hat, wenn sie die russische Führung beschuldigt.“

Der Magnitsky-Akt

Putin-Kritiker William Browder hält es im Gespräch mit dem Cicero allerdings auch „für einen riesigen Fehler, dass die britische Regierung seit 2006 nicht mehr unternommen hat, um diese Morde zu stoppen“. Damals war Alexander Litwinenko von zwei seiner ehemaligen Kollegen vom russischen Geheimdeinst FSB mitten in London mit Polonium vergiftet worden. Passiert ist danach wenig. „Das war wie grünes Licht für Putin und die FSB-Führung.“ 

Der britisch-amerikanische Geschäftsmann ist zum Menschenrechtskämpfer mutiert, seit sein russischer Anwalt Sergej Magnitsky 2009 in einem Gefängnis in Moskau zu Tode geprügelt wurde. Seitdem betreibt Browder von London aus die Kampagne „Gerechtigkeit für Sergej Magnitsky“. Wer direkt am Tod von Magnitsky beteiligt war, soll nicht mehr einreisen dürfen, dessen Besitz soll eingefroren werden. Der Magnitsky-Akt ist zum Modell für Sanktionen gegen korrupte und kriminelle Individuen geworden – Staaten vermeiden damit Sanktionen gegen andere Staaten. Die USA, Kanada und die drei baltischen Republiken haben den Magnitsky-Akt inzwischen im Gesetz verankert. 

Wende durch den Fall Skripal

Im Vereinigten Königreich ist er allerdings noch nicht Gesetz. David Cameron hatte als Regierungschef 2012 ein Veto dagegen eingelegt. 2017 hat das House of Commons dafür gestimmt, jetzt geht es noch um Abänderungsanträge. Browder hat mit einem Team von Anwälten die britische Regierung seit Jahren mit Informationen über korrupte Geldflüsse von Russland nach Großbritannien versorgt. „Wir haben die Regierungsstellen mit ganz konkreten Beweismitteln konfrontiert – es kam aber zu keiner einzigen Untersuchung.“ 

Doch jetzt habe sich die Lage geändert. „Seit der Vergiftung von Sergei Skripal und seiner Tochter Julia gibt es den politischen Willen, sich das nicht mehr bieten zu lassen“, sagt Browder. Skripal war ein ausgetauschter Doppelspion, seine Sicherheit muss von allen Vertragspartnern akzeptiert werden. Der Mordversuch wird deshalb wie ein Vertragsbruch auf höchster Ebene behandelt. In der Folge wird Browders Magnitsky-Akt wohl im nächsten halben Jahr als Teil eines Anti-Geldwäsche-Gesetzes in Kraft treten. 

„Wir treffen damit auch Putin“

In den USA gibt es neben dem „Global Magnitsky Act“ seit 2017 auch den „Countering America’s Adversaries through Sanctions Act“ (CAATSA), der nach der Wahleinmischung 2016 beschlossen wurde. CAATSA wurde am 6. April um sieben Putin-nahe Oligarchen wie den Aluminium-Magnat Oleg Deripaska und siebzehn hohe russische Beamte erweitert. Neben einem Visa-Bann können die USA das Vermögen der Gelisteten einfrieren.

Sollen die europäischen Staaten mitziehen? Sie sind von russischem Öl und Gas abhängiger, die geografische Nähe macht einen Konflikt mit Moskau heikler. Der Vorteil von personengebundenen Sanktionen ist, dass nicht die ganze Bevölkerung bestraft wird. Browder hält es für das einzig probate Mittel: „Präsident Putin hält sich seine Oligarchen wie private Financiers.“ Der Beamtenapparat profitiere von Intransparenz und Willkür. „Wenn wir diesen korrupten Personen nicht mehr erlauben, das gestohlene Vermögen im Ausland zu genießen, dann treffen wir damit auch Putin.“ 

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Reiner Gehret | Di., 10. April 2018 - 08:00

"Der britische Geheimdienst hat offenbar weit mehr Informationen, als bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist."

.. und dass man Corbyn dort nicht applaudiert könnte möglicherweise auch damit zusammenhängen, dass die Insulaner uns Festländlern beim Denkenverlernen hinterherhinken.

Wolfgang Tröbner | Di., 10. April 2018 - 10:05

Applaus." Mag sein. Langsam müsste sich allerdings schon herumgesprochen haben, dass Deutschland, insbesondere die deutsche Politik, nicht das Maß aller Dinge ist. Eher im Gegenteil. Fast alle EU-Länder wenden sich von den Deutschen ab, es sei denn, sie benötigen wieder einmal deutsches Geld. Und es ist wohlfeil, auf englische Politiker wie Johnson verbal einzuprügeln. "Hatte Großbritannien jemals einen Außenminister, der seinem Land derart viel Schaden zugefügt hat wie Boris Johnson?". Hat Deutschland nicht selbst genügend Politiker, die unserem Land sowohl innen- als auch außenpolitisch größtmöglichen Schaden zufügen? Oder wie sind die Verunglimpfungen des US-Präsidenten Trump durch die Herren Maas, Gabriel und Steinmeier zu bewerten, die das Amt des deutschen Außenministers innehatten bzw. innehaben? Glaubt irgend jemand wirklich, dass die Äußerungen der deutschen Chefdiplomaten dazu angetan sind, ein gutes Verhältnis zwischen den USA und Deutschland herzustellen?

Mathias Trostdorf | Di., 10. April 2018 - 11:12

Mal abgesehn von der Knallcharge Johnson, der sich als Aussenminister offenbar mehr als unfähig erweist, denke ich auch eher, daß die geheimen Geldflüsse der Schlüssel zu den zu Tode gekommen Russen sind. In den ehemaligen Sowjetrepubliken herrscht vielfach noch das Faustrecht, und ich las mal, daß man einen osteuropäischen Auftragsmörder schon für 2000Euro bekommt. Der Westen möchte natürlich, da er eigene Interessen verfolgt, daß Putin mit drinhängt. Ich persönlich denke, daß die Umgebrachten dafür "zu kleine Lichter" waren, aber das ist eben nur meine persönliche Ansicht. Wenn man- wie im Bericht angedeutet wird- aus Geheimdienstkreisen Erkenntnisse darüber hat, daß er da mit drinhängt, werden wir es ja sicher auch bald erfahren. Verdächtig fand ich allerdings (unter anderem), daß Frau May diese Informationen ja offenbar schon Stunden nach dem Anschlag zu haben schien!?
Oder läuft da hinter den Kulissen doch etwas ganz anderes ab?

Christa Wallau | Di., 10. April 2018 - 11:56

May und Putin im Zusammenspiel mit der Finanzwelt Großbritanniens u. Rußlands
verfolgen ihre e i g e n e n konkreten Interessen in
diesem - nur oberflächlich erkennbaren -
miesen Krieg der Geheimdienstler und Super-Reichen untereinander.
Und die deutsche Regierung? Sie schlägt sich auf eine Seite, anstatt erst mal abzuwarten und sich zu fragen: Was haben w i r dabei zu gewinnen oder zu verlieren? Wo liegen unsere Interessen in diesem
Falle?
Wir haben mit Angela Merkel eine Regierungschefin, die nicht über die kleinste, eigene Agenda verfügt, sondern immer nur reagiert, d. h. sich dorthin bewegt, wo sie die Mehrheit vermutet - im Zweifel f ü r die USA.
Und die naiven deutschen "Gutmenschen" sowie offenbar die meisten Medien-Schaffenden halten das immer noch für vernünftiges und kluges politisches Handeln, sonst wäre "Mutti" längst
abserviert.

Christoph Eberle | Di., 10. April 2018 - 13:54

Wer genau sollte denn einen Ex-"Verraeter" sonst mit russischem Nervengas umbringen wollen ausser den Russen? Wie glaubwuerdig sind denn saemtliche alternativen Deutungen?
Britenbashing ist ja gerade sehr populaer, ein bisschen Reflektion wuerde der Redaktion angesichts der Wortwahl schon anstehen.

Bernhard K. Kopp | Di., 10. April 2018 - 16:56

Antwort auf von Christoph Eberle

Der russische Staat hatte Skripal im Gefängnis, ohne ihn umzubringen. Dann hat man ihn ausgetauscht und nach GB ausreisen lassen. Immer noch kein Mordversuch. Jetzt plötzlich ein völlig dilletantischer und vermutlich auch misslungener Mordversuch. Ich kann mir nicht vorstellen, wie und warum diese Aktion dem Kreml NÜTZEN sollte. Das absolute Gegenteil ist der Fall. Es gibt auch Russsen, die dem Kreml schaden wollen.

Ein potenzieller Nutzen ist die Warnung an zukünftige „Verräter“, wie es bei Mafiosi eben üblich ist. Die ist definitiv angekommen.
Ein nichtstaatlicher Akteur hätte vielleicht eher traditionell zum Messer als zum Nervengas gegriffen, finden Sie nicht auch?

Juliana Keppelen | Di., 10. April 2018 - 18:52

Antwort auf von Christoph Eberle

An einem abgehalfterten Doppelagenten der für den britischen und russischen Geheimdienst arbeitete soll sich jetzt plötzlich nach Jahren mit einem mehr als dilettantisch ausgeführten Giftgasanschlag Herr Putin gerächt haben? Vielleicht haben britische Kollegen noch ein Hühnchen zu rupfen mit diesem Herrn. Vielleicht war er auch nur das passende Opfer um diese jetzt ohne Sinn und Verstand losgetretene Propaganda-Lawine gegen Russland auszulösen. Anhand der hysterischen Überreaktion kann man auch zu dem Schluss kommen, dass dieses Drehbuch schon geschrieben war nur das passende Opfer und der passend Zeitpunkt wurden noch gesucht und offensichtlich gefunden.

Ernst Laub | Di., 10. April 2018 - 18:31

Skripal spielte wohl nur den Doppelagent. In Wirklichkeit war er stets ein treuer russischer Agent. Seine Verhaftung und Verurteilung wurde von den Russen inszeniert, um den Briten Sand in die Augen zu streuen. Nach der Verbüssung seiner „Haftstrafe“ in einer luxuriösen Datscha bei Sotschi „flüchtete“ er nach Grossbritannien, wo er im Vertrauen der „Dienste ihrer Majestät“ und der superreichen Feinde Putins weiterhin für Russland den Londoner Oligarchensumpf ausspionierte. Als die Briten dies kapierten, war es natürlich um Skripal geschehen…… Ich fürchte daher immer noch um sein Leben und dasjenige seiner Tochter…… Seit 1914 haben die Briten ihren Ruf als die führenden Auftraggeber für politische Morde zu verteidigen. Der Mord von Sarajevo geht genauso auf ihr Konto wie die Liquidierung des russischen Pazifisten und deutschen (?) Agenten Rasputin. Was die verwendeten Giftstoffe betrifft, so wurden sie wohl von zentralasiatischen oder russischen Lieferanten übers Ohr gehauen.

Werner Peters | Di., 10. April 2018 - 20:04

Erst wurde uns erzählt, wie schrecklich das Attentat auf die beiden war. Nur Tage danach haben sie das Krankenhaus verlassen, weil es ihnen gut geht. Der Anschlag war somit sowas von dilettantisch, dass nur Apolitische davon ausgehen können, dass Putin dahinter steckt. Wenn der wiklich zugeschlagen hätte, würden die beiden nicht mehr leben. Der Westen hat sich mit seiner völlig voreiligen Solidarität mit Frau May völlig lächerlich gemacht. Das Gegenteil ist eingetreten: in den Augen der kritischen Öffentlichkeit triumphiert Putin.