SPD-Mitglieder auf dem Weg zur Auszählung des Mitgliederentscheids
Verweigern die Sozialdemokraten Angela Merkel die Kanzlermehrheit, zerlegen sie sich damit selbst / picture alliance

Merkel und die SPD - Eine asymmetrische Abhängigkeit

Wie die SPD-Mitglieder auch über die Groko abstimmen werden, die Minderheitsregierung bleibt als Option bestehen. Damit ist die SPD in der Zwickmühle, profitieren wird in jedem Fall Angela Merkel

Autoreninfo

Gernot Fritz arbeitet als Rechtsanwalt. Früher war er Bundesbeamter, zuletzt bis 1999 Ministerialdirektor und stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes.

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Andrea Nahles hat – so sagt sie – für den Fall einer ablehnenden Koalitionsentscheidung der SPD-Mitglieder keinen Plan B. Das erstaunt, geht es doch auch um ihren Kopf. Selbst Optimisten in der Parteiführung erwarten einen knappen Ausgang. Deshalb würde ein „Ja“ nicht über die verbreitete innerparteiliche Ablehnung einer großen Koalition hinwegtäuschen. In dieser Stimmung klärt ein Mitgliederentscheid nicht die Lage, sondern vertieft die Gräben und zwingt die SPD ein weiteres Mal in eine Schlacht gegen sich selbst. Die NoGroKo-Kampagne kann sich auf die gute Vorarbeit ihrer Gegner stützen, die ihre Partei ohne Not auf die Oppositionsrolle festgelegt hatten und nun die Geister, die sie riefen, nicht mehr loswerden. Auch das innerparteiliche Kleinreden bisheriger sozialdemokratischer Erfolge und die Dämonisierung jeder weiteren Zusammenarbeit mit der Union wirken nach, zumal die Kehrtwende der Führung nicht inhaltlich, sondern mit dem Druck des Bundespräsidenten begründet wurde. Die SPD hat sich selbst konsequent an den Abgrund gedrängt, in den sie nun zu stürzen droht. 

Die Union in der besseren Position

Wer glaubt, das Mitgliedervotum werde die Situation befrieden, denkt die Dinge nicht zu Ende. Sicher ist nur: Lehnen die Mitglieder den Koalitionseintritt ab, nehmen sich die Sozialdemokraten im Bund dauerhaft aus dem Spiel. Der kommissarische Vorsitzende Olaf Scholz wäre ebenso krachend gescheitert wie die designierte Parteichefin Nahles. Noch weniger Recht auf politisches Überleben hätten allerdings die innerparteilichen Sieger, deren Kampagne der SPD die Nahtod-Erfahrung erst aufgezwungen hat. Vom „Nein“ der Mitglieder bliebe vor allem die klare Botschaft an die Öffentlichkeit: Wählt uns nicht mehr, denn wir brauchen eine Auszeit von politischer Verantwortung.

In einem Punkt haben die GroKo-Gegner freilich Recht: Ein „Nein“ der SPD führt nicht automatisch zu Neuwahlen. Denn sie wären nur möglich, wenn nach mehrfachem Verfehlen der Kanzlermehrheit ein Bundeskanzler mit nur relativer Mehrheit gewählt, aber dann mangels ausreichender Aussicht auf Stabilität vom Bundespräsidenten nicht ernannt würde. Da Neuwahlen aber kaum größere Sicherheit erwarten ließen, sondern – im Gegenteil – das Risiko einer Fortdauer unsicherer Verhältnisse sogar erhöhen würden, dürfte der Bundespräsident für eine Minderheitsregierung offen sein. Deshalb ist die Union momentan in der besseren Position. Für sie ist auch der Durchmarsch zu einer Minderheitsregierung denkbar. Möglich, dass sie dabei parlamentarische Unterstützung von den Grünen erhielte. Eine informelle schwarz-grüne Kooperation würde die Basis einer Minderheitsregierung verbreitern und das politische Gewicht der SPD weiter verringern; vor allem würde sie sichtbar machen, wer zu politischer Verantwortung bereit ist und wer nicht. 

Die SPD in der Zwickmühle

Stimmen die SPD-Mitglieder hingegen für den Koalitionseintritt, ist das Thema Minderheitsregierung noch nicht vom Tisch. Denn die Wahl Angela Merkels mit Kanzlermehrheit ist nicht gesichert, wenn in der SPD-Fraktion auch nur ein Teil der GroKo-Gegner bei seiner Haltung bleibt. Gibt es unter den 399 Abgeordneten der Koalitionsfraktionen 45 Abweichler – und damit weniger als bei Merkels erster Kandidatur – scheitert die Kanzlerwahl im ersten Anlauf. Das anfängliche Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten geht dann für zwei Wochen auf den Bundestag über. Wird die Kanzlermehrheit in dieser zweiten Phase erneut verfehlt, müssten die Sozialdemokraten jegliche Koalitionsabsicht ohnehin begraben, da sie gewiss nicht Juniorpartner einer nur mit einfacher Mehrheit gewählten CDU-Kanzlerin sein wollen. Das innerparteiliche Scherbengericht käme dann zeitverzögert, aber gewiss nicht weniger heftig – siehe oben.

Merkels Kanzlerschaft hängt also weniger von der SPD ab, als die Zukunft der SPD von Merkel. Verweigern die Sozialdemokraten Merkel die Kanzlermehrheit, bleibt als Alternative eine führungslos zerrissene Partei. Das Duo Oskar Lafontaine/ Sahra Wagenknecht wird beim Ausweiden einer gescheiterten SPD sicher gern behilflich sein.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 1. März 2018 - 12:22

Herr Fritz denkt die Dinge zu Ende.
Oder anders, er überlegt Szenarien.
Die SPD wird es nicht leicht haben, aber Hallo, woher kommt die SPD?
Hatten die es überhaupt schon mal leicht?
Also das Übliche.

Christa Wallau | Do., 1. März 2018 - 13:11

Allmählich gehen mir die endlosen Beiträge zum
Schicksal der SPD (ebenso wie der CDU oder jeder anderen Partei) gewaltig auf den Geist.
Die hoch notwendigen Debatten darüber, wie es mit Deutschland im Zustand von 2018 in punkto Migration weitergehen soll bzw. überhaupt noch k k a n n, werden dagegen nicht geführt!

Es kündigt sich eine Konfrontation des
Merkel'schen "Wir schaffen das" mit der Realität an, die in heftigsten, bösen Auseinandersetzungen gipfeln wird, wie sie die Vorgänge bei der Essener Tafel nur schemenhaft andeuten.

Niemand aber - außer in der AfD - wagt sich in den deutschen Parteien aus der p. c. - Deckung ,
um den besorgten Bürgern mitzuteilen, was
s o f o r t dagegen g e t a n (Nicht nur angekündigt!) wird.
Der mutige Vorstand der Essener Tafel (= "einfache Bürger") spielt den Vorreiter, und was geschieht?
Er wird beschimpft für sein absolut verständliches und vernünftiges Handeln!

Ob SPD/CDU/FDP/GRÜNE/LINKE... Sie sind alle nur noch zum Fremd-Schämen!

Markus Michaelis | Do., 1. März 2018 - 13:30

"vor allem würde sie sichtbar machen, wer zu politischer Verantwortung bereit ist und wer nicht"

In "alten Zeiten", in denen ein breiterer Konsens geherrscht hat, die Richtung klarer war, sehr große Teile der Bevölkerung darin übereingestimmt haben, dass mit Verantwortung für das Land zuerst mal das Bestehende gesichert und weitergeführt werden soll, in diesen Zeiten war es wohl so, dass der Wähler es honoriert hat, wenn eine Partei unter allen Umständen Verantwortung, d.h. Macht, übernimmt.

Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das so noch gilt. Je unklarer die Beschreibung des Heute wird und je unklarer die Ziele in der Zukunft sind, desto mehr können Macht und Verantwortung auch ins Aus führen, weil sich die Gesellschaft in andere Richtungen weiterentwickelt.

Gunvald Steinbach | Do., 1. März 2018 - 13:36

Zitat: "Vom „Nein“ der Mitglieder bliebe vor allem die klare Botschaft an die Öffentlichkeit: Wählt uns nicht mehr, denn wir brauchen eine Auszeit von politischer Verantwortung."
Von einem "Nein" der Mitglieder bliebe zumindest für mich die, wenn auch nicht unbedingt klare Botschaft, dass eine Mehrzahl der SPD-Mitglieder noch weitestgehend bei Verstand ist und sich nicht an der merkelschen politischen Verantwortungslosigkeit beteiligen möchte. Das würde mir die Genossen sogar wieder ein wenig sympathischer machen, ein klitzeklein wenig nur, zugegeben. Dass dabei ein Herr Scholz und eine Frau Nahles krachend scheitern würden, nachdem Letztere zuvor noch krachende Reden geschwungen hat würde mich dazu verleiten, ein Gläschen vom Roten auf die Roten anzuheben. In diesem Sinne: Zum Wohl(e Deutschlands)!

Gisela Fimiani | Do., 1. März 2018 - 13:54

Ich habe Ihren Beitrag womöglich nicht verstanden.
Mir scheint, Sie plädieren für ein berechnendes, kurzsichtiges und kleingeistiges Partei-Taktieren, dem jegliches intellektuelle Verantwortungsbewusstsein für die Verfassung, in welcher sich diese Demokratie befindet, abgeht. Diese Regierung " taktiert " nun bereits seit Jahren und ihre Strategie bleibt dem Bürger verborgen. Es geht leider, Herr Fritz um weitaus mehr, als " wer gewinnt: SPD versus CDU ". Schade, dass man nicht auch eine, in der Opposition sich " erneuernde " SPD, sowie eine, nicht mehr erklärungsbefreit handelnde, CDU in einer Minderheitsregierung denken kann, sondern eine solche, mit dem sehr fragwürdigen, zweifelhaften Argument der verweigerten poitischen Verantwortung prophetisch verdunkelt. Ich fürchte, dass derartige Positionen, die prekäre und ernste Lage dieses Landes, Pateiinteressen unterordnet und dieser Republik damit gravierend schadet. Da wir nicht wissen, sollten wir nicht prophezeien. Demut hilft!

Norbert Wettigmeyer | Do., 1. März 2018 - 15:00

In der Tat gibt die (geheime!) Kanzlerwahl interessante Anlässe zur Spekulation. Es ist aber mitnichten so, die zahlreichen Gegner Angela Merkels nur in der SPD-Fraktion zu vermuten. Es gibt zahlreiche Unionsabgeordnete, die ein Motiv hätten bei der geheimen Wahl nicht für Merkel zu stimmen. Dafür hat sie in ihrer bisherigen Amtszeit einfach zu viele Gegner kaltgestellt. 2005 gab es bei der ersten Großen Koalition noch 51 Abweichler, 2009 bei der kleinen Koalition aus Union und FDP neun, 2013 bei der zweiten Großen Koalition immer noch 42 Abweichler. Für die Kanzlerwahl 2018 würden 38 Abweichler aus der nicht mehr Großen Koalition ausreichen, um ihr die Kanzlermehrheit streitig zu machen. Für einen Unionsabgeordneten hätte dies zudem den Charme, Merkel ohne Risiko in einer geheimen Wahl abzuservieren. Die Blamage wäre riesig: Eine vierte Amtszeit Merkels ist also selbst bei einem positiven Mitgliederentscheid der SPD lange nicht in trockenen Tüchern.

Bernd Wollmann | Do., 1. März 2018 - 16:04

Seit vielen Jahren richtet diese Frau das Land zugrunde. Ihre Fehlleistungen werden das Land auf Jahrzehnte schwerstens belasten. Diese Frau hat noch nie Empathie mit Einheimischen gezeigt, aber der Michel wählt sie trotzdem...

Christian Bauer | Do., 1. März 2018 - 16:13

Selbst wenn es mir nicht zusagt, aber verglichen mit dem SPD-Personal immer noch die bessere Wahl. Intelligenz in einer Partei- wann hatten wir das zuletzt? Lange her! Und so würde es mich nicht wundern, wenn die "Volksparteien der Zukunft" AfD und Linke heissen. FDP- naja, die gibt es schon immer, und wenn die Grünen endlich lernen, dass Besserwisserei gerade von Unausgebildeten oder Beinahe-fast-ein-Studium-angefangenen Moralisierern nicht besonders attraktiv wirkt, dürfen sie auch gerne mal mit an den Katzentisch.

Linda Berckhemer | Do., 1. März 2018 - 16:41

Die SPD hat ihre Chance vertan , die Sie durchaus hatte:
GROKO ja, aber ohne Frau Merkel....
Gesicht gewahrt und an der Regierung beteiligt gewesen.
Aber dazu braucht man „Traute“
und die haben leider wenig
Politiker.....

Sepp Kneip | Do., 1. März 2018 - 17:30

Die SPD ist in der Tat in keiner guten Situation. Sie kann abstimmen, wie sie will, ihre Lage verändert sich mit keinem Ergebnis grundlegend. Der SPD kommt zur Zeit nur eine Bedeutung zu: Merkel mit einer GroKo an der Macht zu halten, oder sie ohne GroKo in eine Minderheitsregierung zu schicken. Aus einer GroKo mit Merkel würde die SPD noch platter herauskommen, als sie ohnehin schon ist. Mit ihrer Richtlinenkompetenz würde Merkel den SPD-Ministern zeigen, wo es lang geht. von SPD würde da nicht viel übrig bleiben. Es wäre ein langsamer politischer Tod der SPD.

Stimmt die SPD mit Nein, wird zwar zunächst ein Donnerwetter über die Partei herniedergehen, da sie ihrer "staatspolitischen Verantwortung" nicht gerecht würde. Das muss sie aber nicht jucken. Wenn sie nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist, sondern munter Opposition machen kann, wird sie sich auch wieder berappeln. Nur an eins müssen sich die Parteien gewöhnen, es wird auf Dauer nicht gehen, die AfD zu ignorieren.

Günter Johannsen | Do., 1. März 2018 - 17:31

Der Souverän, das Volk, will mehrheitlich Neuwahlen. Bei Neuwahlen werden die Karten neu gemischt, oder Hauptstreitpunkt ist der Flüchtlingszustrom bzw. Familiennachzug. Auch da liegen doch die Karten klar auf dem Tisch.
Der IS ist nun in Syrien und im Irak weitestgehend besiegt. Jetzt geht es um das Aufräumen und um den Wiederaufbau in diesen Ländern. Wer soll das bewerkstelligen, wenn nicht die einheimische Bevölkerung? Dabei kann Deutschland mit großen Gerätschaften und auch freiwilligen (!) Spenden helfen.
Familienzusammenführung ist sehr gut und richtig, aber in Syrien! Die vielen jungen Männer, die ihre Familien alleine im Krieg zurückließen, sollten jetzt zurückgehen und ihr Heimat-Land wieder aufbauen.
Selbst der langjährige afghanische Präsident Karsai sagte auf dem Treffen des Valdai-Klubs in Sotschi zur Asylantenthematik: "Ich hoffe, dass alle Afghanen zurückkehren. … Europa ist keine muslimische Region –

Sigurd Greven | Fr., 2. März 2018 - 11:03

Die SPD-Mitglieder werden mehrheitlich für die GroKo stimmen. Frau Merkel bleibt Bundeskanzlerin und sie wird auch bei der nächsten Wahl wieder antreten und gewinnen. So einfach ist das!

Arnold Bäring | Fr., 2. März 2018 - 12:01

einzusetzen um die Mitglieder zu dem gewünschten Ja zur GroKo zu treiben ist ist mehr als verräterisch, belegt es doch wie wenig Urteilskraft die Spitzenfunktionäre ihren Parteimitgliedern zutrauen. Dabei dürfte keiner der Spitzenfunktionäre im Falle der Ablehnung der GroKO wirklich an Neuwahlen glauben, zu offensichtlich ist doch Merkels Ziel Helmut Kohl in Sachen Regierungszeit einzuholen. All ihr Streben ist doch hierauf ausgerichtet. Sie wird deshalb den riskanten Weg von schnellen Neuwahlen meiden und versuchen mittels einer Minderheitsregierung ans Ziel zu kommen. Hinzu kommt die hier vom Autor vorgetragene rechtliche Argumentationskette die ebenfalls schnellen Neuwahlen entgegensteht.

Damit erweist sich aber die SPD-Führung ein weiteres Mal als eine unehrlich argumentierende Gemeinschaft von Spitzenfunktionären. Damit ist aber dauerhaft weder eine Partei noch ein Staat erfolgreich zu führen.