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NSU - „Raus aus der Ohnmacht“

Vor drei Jahren wurde der Rechtsterror des NSU bekannt. Die Ombudsfrau der Hinterbliebenen, Barbara John, hat ihre Erfahrungen nun in einem Buch veröffentlicht. Im Interview spricht sie über die Blindheit des Staates und die Ohnmacht der Hinterbliebenen

Autoreninfo

Kamprath, Marie

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Zum dritten Mal jährt sich der Tag, an dem die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) öffentlich wurde. Seitdem gibt es Untersuchungsausschüsse, ein laufendes Verfahren und ein Kanzlerinnenversprechen zur „lückenlosen Aufklärung“. Bei den Hinterbliebenen herrscht aber noch immer Enttäuschung und Verzweiflung. Barbara John ist die Ombudsfrau für die Angehörigen der NSU-Opfer und begleitet sie auf ihrem Weg aus der Ohnmacht. John hat die Geschichten der Opferangehörigen in dem Buch „Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen“ zusammengetragen.

Heute vor drei Jahren wurde der NSU-Terror publik. Was bedeutet dieser Tag für die Angehörigen?
Es ist ein bedeutender Tag, weil es der Tag der Erlösung war. Sie wurden von dem Stigma befreit, dass sie zum Tätermilieu gehören. Da war aber auch ein großes Loch, in das sie gefallen sind. Der Staat hat nichts getan. Er war unfähig, die Rechtsradikalen in Deutschland aufzuhalten. Das war die schlechte Nachricht. Aber dann gab es Anlaufstellen, viele kamen ihnen zur Hilfe. Nach der Enttarnung des NSU konnte es wieder bergauf gehen. Sie konnten ihr Leben wieder aufbauen und das haben sie auch in den drei Jahren getan.

[[{"fid":"63953","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":900,"width":750,"style":"width: 140px; height: 168px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Unter anderem kamen Sie ihnen zur Hilfe. Was war die größte Herausforderung während Ihrer Amtszeit als Ombudsfrau?
Vieles war schwierig. Mit einem Anruf kann man nichts bewegen. Ob Einbürgerung oder Wohnungsveränderungen, Studienplätze, Stipendien – alles musste immer hart erkämpft werden. Manche Bundesländer, besonders Bayern, waren sehr verständnisvoll. Bei anderen ist es sehr mühselig. Da ist der Beton besonders dick. Aber wir werden das auch noch überwinden. Ich versuche es auf jeden Fall.

Wobei brauchen die Angehörigen am meisten Unterstützung?
Wichtig ist, dass sie merken, dass sie nicht allein sind. Sie können sich mit jedem Problem zu jeder Zeit an mich wenden. Das ist ja bei staatlichen Stellen gar nicht möglich. Dann geht es um die Alltagsprobleme, die man hat, wenn man einen solchen Absturz erlebt. Ein Verlust des Angehörigen kann auch einen finanziellen Ruin hervorrufen. Familien zerstreiten sich. Das alles muss wieder aufgebaut werden.

Auch das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat hat gelitten. Was bedeutet heute für die Hinterbliebenen Gerechtigkeit?
Sie wollen, dass sich in Deutschland wirklich etwas ändert. Sie schauen mit einem gewissen Bangen auf den Ausgang des Prozesses und wünschen sich eine gerechte Strafe, dass diese Mittäter das Gefängnis nie wieder verlassen. Alles andere wäre für sie eine große Enttäuschung.

Sie sagen, dass es Kommissar „Zufall“ war, der den Fall letztlich aufgedeckt hat. Was muss sich ändern, damit sich das nicht wiederholt?
Wenn ein Einwanderer durch Gewalt bedroht wird oder sogar umkommt, dann muss standardmäßig auch nach rechts geguckt werden. Das funktioniert bisher nicht. Da muss man etwas ändern. Es kann nicht sein, dass die Verfassungsschutzbehörden, die für unsere persönliche Sicherheit verantwortlich sind, ohne jegliche Kontrolle sind. Die Politik kann die Funktionseliten nicht kontrollieren. Das muss sie einsehen. Dafür hat sie gar nicht die Instrumente.

Was wäre Ihr Besserungsvorschlag?
Die Zivilgesellschaft muss aufpassen. Ich habe auch den Vorschlag gemacht, eine unabhängige Beschwerdestelle einzurichten, die Polizeihandeln und Äußerungen verfolgt. Das allein würde schon viel ändern. Ich erwarte und hoffe auf Änderungen von jüngeren Beamten, die sehen, dass der Korpsgeist diese ganzen Behörden undurchdringbar macht. Es gibt aber inzwischen Rauswürfe bei den Polizeihochschulen, wenn rassistische Äußerungen in sozialen Netzwerken auffallen. Es sind kleine Fortschritte und die müssen wir unterstützen.

Sie stehen seit 2012 im engsten Kontakt mit den Angehörigen. Welches persönliche Fazit ziehen Sie unter die letzten Jahre?
Gemischt: Kummer und Freude, kann man sagen. Es gibt schon Fortschritte und der größte ist für mich, dass die Menschen sich selbst am Schopf aus dem Sumpf gezogen haben. Sie gehen ihren Beruf an, gründen Familien. Sie wollen nicht im Trauma versinken und in der Opferrolle bleiben. Das ist ganz entscheidend. Dabei müssen wir sie unterstützen. Raus aus der Ohnmacht.

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Verlag Herder, 176 Seiten
ISBN 978-3-451-06727-3 

12,99

 

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