Freie Fahrt für Putin und Aliyev: Russland und Aserbaidschan nähern sich an / dpa

Moskaus Interessen in Aserbaidschan - Strategische Annäherung

Nach dem Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien wegen Bergkarabach hat Russland an Einfluss im Südkaukasus verloren. Allerdings ist diese Region von hohem geopolitischem Interesse für Moskau. Das dürfte der Grund sein, warum Putin nach Baku gereist ist.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat am 18. August die aserbaidschanische Hauptstadt Baku besucht – zum ersten Mal seit sechs Jahren. Unter den derzeitigen Umständen dürfte diese Reise Teil einer umfassenderen Strategie zur Bewältigung der größten Krise gewesen sein, die Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt.

Den gemeinsamen Presseerklärungen nach zu urteilen, die hinterher veröffentlicht wurden, ist zwischen Putin und seinem Gastgeber, Präsident Aliyev, kaum irgendetwas Wichtiges besprochen worden. Erwähnung fanden der Ausbau des bilateralen Handels und die übliche Unterzeichnung zwischenstaatlicher Abkommen in unkritischen Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Bildung, Klimawandel und Lebensmittelsicherheit. Das vielleicht wichtigste Thema waren jedoch die Friedensgespräche zwischen Aserbaidschan und Armenien, die seit dem Sieg Bakus im Krieg 2020 andauern. Putin räumte zwar ein, dass „auch Russland mit Krisen konfrontiert ist, vor allem in der Ukraine“, sagte aber auch: „Wenn wir etwas tun können, um ein Friedensabkommen zwischen Aserbaidschan und Armenien zu befördern, die Abgrenzung und Demarkation der Grenze zu vollenden ... und die Blockade der Logistik und der Wirtschaft zu lösen, wären wir sehr froh.“

Putin: Garant des Friedens

Diese Erklärung verdeutlicht, dass sich Moskau bewusst ist, wie viel geopolitischen Boden es im Südkaukasus verloren hat – und dass dieser Verlust durch den Ausgang des Bergkarabach-Krieges im Jahr 2020 verursacht wurde. Der Sieg Aserbaidschans, das von der Türkei unterstützt wurde, verschob das regionale Kräftegleichgewicht zu Bakus Gunsten, während Armeniens Überzeugung, Russland habe ihm in dem Konflikt nicht ausreichend geholfen, die Beziehungen zu seinen ehemaligen Verbündeten in Moskau belastet.

Aufschlussreich ist auch die Wortwahl Putins bei seinem Angebot, zwischen den beiden Seiten zu vermitteln. Moskau ist zwar spät auf den Plan getreten, aber der Kreml versucht, seinen Einfluss in Aserbaidschan zu nutzen, um sich als Garant für den Frieden zu positionieren. Russland möchte sicherlich nicht, dass die Türkei (geschweige denn der Westen) diese Rolle für sich beansprucht, vor allem nicht in einer für die russische Sicherheit so wichtigen Region. Moskau weiß, dass die armenische Regierung sich dem Westen annähert, aber die schlechten Beziehungen Bakus zu den USA und Europa geben den Russen die Möglichkeit, diesen Prozess zu stören.

Moskau büßt Stärke ein

Die Frage ist: Wie verlässlich ist Russland als Partner, wenn es sein eigenes Gebiet nicht vor ukrainischen Truppen schützen kann? Vor diesem Hintergrund ist der Zeitpunkt von Putins Besuch bemerkenswert. Baku braucht vielleicht nicht Moskaus Hilfe, um mit Armenien zu verhandeln, aber Russland ist sein nördlicher Nachbar, und es bestehen lange und weitreichende Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Aserbaidschan kann nicht anders, als über die anhaltenden Rückschläge des Kremls besorgt zu sein. Der Krieg in der Ukraine – und die allgemeinen strategischen Interessen Russlands – dürften daher im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Putin und Alijev gestanden haben, auch wenn dies in den offiziellen Verlautbarungen keine Erwähnung fand. Es sei außerdem daran erinnert, dass sich die beiden erst vor wenigen Monaten in Moskau getroffen haben. Schwer vorstellbar, dass Putin nach so kurzer Zeit nicht mehr anzusprechen hatte als im April – und zwar gegenüber jemandem, den er zuvor seit Jahren nicht mehr besucht hatte.

Die Motivation Russlands ist in der Tat recht einfach: Da sich der Krieg in der Ukraine zum Schlechten wendet, muss es alles tun, um seine anderen Grenzgebiete zu sichern. Im Moment ist sein strategischer Hinterhof vom Westen abgeschottet. Moskau behält einen großen sicherheitspolitischen Einfluss in Zentralasien, auch wenn China in geoökonomischer Hinsicht expandiert. Belarus ist in Bezug auf seine nationale Sicherheit in hohem Maße von Russland abhängig, und da sich der Westen so sehr auf die Ukraine konzentriert, glaubt Putin wahrscheinlich, dass es an dieser Front sicher ist. Seine südliche Flanke ist jedoch gefährdet. Da der Konflikt in Georgien aus dem Jahr 2008 noch lange nicht beigelegt ist und Aserbaidschan den Armeniern Bergkarabach entrissen hat, bewegt sich der Südkaukasus in eine ungewisse Richtung.

Russland will türkische Einflussnahme mindern

Russland konnte die neue militärische Realität im Südkaukasus nicht verhindern, aber es versucht nun, sich im Friedensprozess zu positionieren – als Mittel gegen die drohende türkische und westliche Einflussnahme in seinem weichen Unterbauch. Eine Einigung zwischen Aserbaidschan und Armenien würde ein Haupthindernis für die Transkaspische Internationale Transportroute (TITR), auch bekannt als „Mittlerer Korridor“, aus dem Weg räumen, die Zentralasien mit Europa verbinden und Russlands Einfluss in seinem nahen Ausland schwächen wird.

Natürlich hat Russland versucht, der TITR mit seinem eigenen Projekt, dem Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC), etwas entgegenzusetzen. Da die Russen jedoch unter massiven finanziellen Zwängen stehen und der Iran, ein wichtiges Rädchen im INSTC, ebenfalls mit Sanktionen belegt ist, wird der Korridor wahrscheinlich nicht so bald realisiert werden können. Tatsache ist aber, dass Russland dem Westen keine Präsenz an seiner Südflanke – geschweige denn im Herzen Eurasiens – überlassen kann.

Aserbaidschan zwischen West und Ost

Angesichts seiner geostrategischen Lage würde Aserbaidschan das Beste aus beiden Welten anstreben. Aber es kann nicht viel tun, um Russland bei der Lösung seines Hauptproblems, der Ukraine, zu helfen. In der Zwischenzeit müssen die Beziehungen Bakus zum Westen verbessert werden, denn das Land macht sich Sorgen um seinen südlichen Nachbarn Iran, der sich selbst in einem beispiellosen Konflikt befindet. Die Aserbaidschaner sind auch zunehmend besorgt über die wachsende Abhängigkeit Russlands vom Iran, insbesondere angesichts der Feindseligkeit zwischen Baku und Teheran.

Letztendlich wird Aserbaidschan mit der Dynamik sowohl an seiner Nord- als auch an seiner Südgrenze leben müssen. Russland wird versuchen, trotz der Rückschläge in der Ukraine seinen Einfluss im nahen Ausland aufrechtzuerhalten. Aber ohne eine adäquate Lösung für Letzteres wird es bei Ersterem weiterhin scheitern.

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GPF

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Ingbert Jüdt | Fr., 30. August 2024 - 12:05

Wer schreibt eigentlich alles bei GPF? »Größte Krise seit Untergang der Sowjetunion.« »Anhaltende Rückschläge des Kreml.« »Der Krieg in der Ukraine wendet sich zum Schlechten.« Weil die Ukraine ein paar grenznahe Wiesen und Dörfer auf russischem Territorium besetzt hält, während sich der russische Vormarsch im Donbass immer weiter beschleunigt?! Den russischen Einflussverlust im Südkaukasus (der von antiwestlichen Stimmungen in Georgien inzwischen gemildert wird) scheint Herr Bokhari ja nicht damit zu meinen. Vielleicht sollte der Cicero als Kontrast über den Horizont von GPF hinaus doch auch mal Leute wie Andrei Martyanov oder Glenn Diesen fragen, es müssen ja nicht gleich The Duran oder Danny Haiphong sein.

Markus Michaelis | Fr., 30. August 2024 - 12:22

als nur nachfragender Gast zu Zwergstaaten wie Nord-Korea oder Aserbaidschan gehen zu müssen, denke ich mir. Das wird auch den Druck erhöhen mit der Ukraine irgendwann zu Verhandlungen zu kommen.

T Romain | Fr., 30. August 2024 - 13:03

Das alles entspringt der - nüchtern betrachtet - irrigen Vorstellung Russlands, immer noch Weltmacht spielen zu wollen.
Worauf soll sich so ein Anspruch denn gründen?
Wirtschaftlich sind China, Indien und viele andere längs vorbeigezogen.
Die alte militärische Stärke - nun ja, der Verlauf des Ukrainekrieges lässt da gewisse Zweifel aufkommen.
Bleiben noch Russlands Status als Atommacht, Rohstoffvorkommen (wie lange noch? - da denken aber die Ölstaten am Golf schon viel weiter voraus) und seine flächenmässige Größe.
Nicht viel, verglichen mit den hochtrabenden Ansprüchen, objektiv betrachtet

Klaus Funke | Fr., 30. August 2024 - 13:58

Ohne echte Faktenkenntnis. Wofür solche Leute ihr Geld bekommen, ist mir ein Rätsel. Ein Artikel, den man sich hätte sparen können.