- Wenn Frauen Weltpolitik machen
Die eine jongliert mit Milliardensummen, die andere jagt Diktatoren, die Dritte verhandelt über Waffen. Was bedeutet es, wenn Frauen Weltpolitik machen?
Wie viele Milliarden braucht die Ukraine? Welcher Diktator gehört als nächster vor Gericht gestellt? Wie stoppt man syrisches Giftgas? Jemand muss diese Fragen entscheiden. Es sind drei Frauen.
Christine Lagarde
Die Frau mit den Milliarden, Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, steht an einem Montagabend zwischen Skulpturen britischer Männerhelden. Lord Nelson und Winston Churchill säumen die meterdicken Wände der ehrwürdigen Guildhall. Ein schwerer Teppich schluckt alles Gemurmel. Hier, mitten im Londoner Finanzviertel, sprechen bei Weißwein und Zucchiniröllchen greise Wirtschaftsprofessoren und Mitglieder des House of Lords über die Ökonomen Keynes und Schumpeter, diskutieren über die strengen Strukturanpassungsreformen, die den Währungsfonds für viele zum Feind machen. Das gotische Gebäude ist ein Ort der alten Ordnung. Frauen sind hier Begleiterinnen. Männer prahlen von Zeiten, in denen Frauen nur als Kellnerinnen in ihre Sitzungssäle kamen.
Es ist ein Abend wie viele andere im Leben von Christine Lagarde. Fast immer ist sie die Einzige im hellen Dress zwischen dunklen Anzügen.
Die Feminisierung der Weltpolitik macht zaghafte Fortschritte. In Deutschland ist eine Frau Kanzlerin, eine Frau Verteidigungsministerin, eine Frau Chefaufseherin der Zentralbank. Wo Frauen wählen dürfen, den Mount Everest besteigen, ins Weltall fliegen, da entscheiden sie auch.
Es sind Entscheidungen, die anders klingen als bisher. Ein neuer Tonfall mischt sich ins Konzert der Weltpolitik. Warm ist er, angenehm und vor allem: tief. Die Frauen, die heute Weltpolitik machen, haben dunkle Stimmen. Nicht eisern antrainiert, wie bei der verstorbenen britischen Regierungschefin Margaret Thatcher, sie klingen von Natur aus so.
Angela Kane, 65, spricht mit so einer dunklen, singenden Stimme. Ihren Akzent hat sie über die Jahre fast abgelegt, nur am harten „t“ hört man die Deutsche heraus. Kane ist eine der wichtigsten Frauen bei den Vereinten Nationen, Sonderbeauftragte für Abrüstung. Sie ist die Frau, die syrisches Giftgas stoppen will.
Fatou Bensouda, 53, klingt tiefer als die meisten Männer. In ihre Plädoyers vor Gericht mischt sich nur selten ein heller Ton. Sätze haben bei der Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof keine Höhepunkte – die Frau, die Diktatoren jagt, behandelt jedes Wort gleich. „Justice“, Gerechtigkeit, ihr Lieblingswort, heißt bei ihr „jastice“, ein Überbleibsel des gambischen Akzents.
Christine Lagarde, 58, lächelt immer – zumindest klingt ihre Stimme so. Ein warmes Prickeln mischt sich in ihre Erzählung. Nur an den Vokalen, am weichen „ö“ statt „e“, kommt das Französische der Frau durch, die über viele Milliarden Dollar entscheidet.
Lagardes Chanelkostüm glitzert im violetten Licht. Aufrecht hält die große Französin ihre Rede. Als Rockstar der Finanzbranche wurde sie schon beschrieben. Wahrscheinlich auch, weil sie die einzige Frau ist, die es nach so weit oben geschafft hat, die einzige, die in der Guildhall darüber erzählen darf, wie der Währungsfonds nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Ziel war es, stabile Wechselkurse zu schaffen und Ländern mit Schwierigkeiten in der Zahlungsbilanz zu helfen. Lagarde zitiert Shakespeare, Prince Charles und die britische Fernsehserie „Downton Abbey“. Sie weiß, was sich an diesem Ort gehört. Sie weiß an jedem Ort, was sich gehört. Vor Treffen informiert sie sich genau über Gesprächspartner, lernt gesundheitliche Probleme, Familienstand und Kindernamen auswendig. Angela Merkel brachte sie in der Eurokrise Orangenblütenhonig mit. Auf Gipfeltreffen verteilt sie, wenn es spät wird, Schokolade.
Sähe so eine von Frauen regierte Welt aus? Eine Welt voll Schokolade und Orangenblütenhonig?
Es gibt die alte These, dass eine Welt, die von Frauen regiert würde, friedlicher wäre. Genderforscher, Managementexperten, Frauen und Männer, haben nach Gründen dafür gesucht.
Um zu überleben, lautet eine Argumentation dieser relativ jungen Wissenschaften, mussten Frauen sich immer schon besonders anstrengen. Sie mussten früh Strategien entwickeln, um gehört und gesehen zu werden. Weil sie sonst nichts zu sagen hatten, wurden sie von klein auf Expertinnen für menschliche Beziehungen, Multitasker, Kommunikationsgenies.
Bislang hat niemand empirisch belegt, dass Frauen aus der Not heraus überlebenswichtige Fähigkeiten entwickelt haben. Aber es ist eine Idee, die Wirkung entfaltet.
Christine Lagarde beispielsweise orientiert sich daran. „Frauen“, sagte sie einmal, „müssen immer doppelt so stark sein.“ Sie müssen Superfrauen sein. Lagarde war 15, als sie bei einer nationalen Meisterschaft eine Bronzemedaille im Synchronschwimmen holte. 17, als sie ihre drei Brüder versorgte, weil der Vater, ein Literaturprofessor, starb. Neben der Schule verdiente sie Geld auf dem Fischmarkt, studierte mit einem Stipendium in den USA, wurde Mutter zweier Söhne, schließlich Partnerin bei Baker & McKenzie, der weltgrößten Anwaltskanzlei. Die Mittwochnachmittage reservierte sie für ihre Söhne, viele Kollegen reagierten abfällig. Morgens um sechs macht sie Yoga, sie raucht nicht, trinkt keinen Alkohol, isst kein Fleisch.
Manchmal überträgt sie die Härte gegenüber sich selbst auf andere. Als französische Finanzministerin riet sie den Bürgern wegen der hohen Benzinpreise, öfter das Fahrrad zu nehmen. Die Griechen wies sie an, endlich ihre Steuern zu zahlen. Sie habe, sagte sie, mehr Mitleid mit hungernden Kindern in nigerianischen Dörfern. Ihren Mitarbeitern soll sie regelmäßig raten: „Wenn euch die Füße wehtun, denkt daran: Manche Menschen haben gar keine Beine.“
Angela Kane
Auch Angela Kane, die deutsche UN-Sonderbeauftragte für Abrüstung, steht um fünf Uhr auf und liest die Tagespresse. Das erzählt sie am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz. „Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet.“ An mindestens vier Abenden in der Woche besucht sie Empfänge, sucht das Vertrauen von Diplomaten. Zu ihren Freunden sagt sie gern: „Ich hoffe, ihr seid noch da, wenn ich mal aufhöre.“ Sie spricht neben Deutsch fließend Englisch, Französisch und Spanisch, kann Russisch und Indonesisch. Den Urlaub im vergangenen Jahr hat sie wegen der Lage in Syrien gestrichen. Dank Kane bestreitet niemand mehr, dass dort Giftgas eingesetzt wurde.
Sie war gerade bei ihrer Familie zu Besuch, als in Syrien ein erneuter Giftgaseinsatz bekannt wurde, brach von einer Hochzeitsfeier in ihrer Heimatstadt, dem niedersächsischen Hameln, nach Damaskus auf. Verschlafen kam sie beim syrischen Außenminister an, riss sich zusammen, verhandelte bis spät in die Nacht. Sie rief den deutschen Außenminister an, deutsche Flugzeuge sollten Giftgasproben an Bord nehmen. Nachts hörte sie die Bomben niedergehen, und als sie abreiste, stand ihr Hotel in Flammen. „Die Angst muss man sich abgewöhnen“, sagt sie.
Manchmal, wenn Kane von den Anfängen ihrer UN-Karriere erzählt, wirft sie lachend die Haare in den Nacken. Für eine Frau so nah am Generalsekretär ist sie überraschend zugänglich. Ihre Freunde erzählen, dass sie, die zuletzt ein Budget von fünf Milliarden Dollar verwaltete, Vorgesetzte von 44 000 Mitarbeitern war, lieber kurz raus auf einen Kaffee kommt, wenn sie sie bei der UN in New York besuchen. Das erspart ihnen den langwierigen Sicherheitscheck, und Kane hat es nicht gern kompliziert.
1948 geboren, war sie Klassensprecherin, Schulsprecherin. Fotos von damals zeigen sie umringt von Freundinnen, die zu ihr aufblicken. 1968 begann sie ein Studium in München. Die Studentenrevolte war nichts für sie. „Ich kam in den Hörsaal – da war der besetzt. Nur einen Schein habe ich in diesem Semester machen können!“ Ski sei sie gefahren, Fasching habe sie gefeiert, vor allem aber wollte sie vorwärtskommen. Sie ging in die USA, machte einen Bachelor in Literatur, einen Master in Internationalen Beziehungen an der Johns-Hopkins-Universität. Wenn sie Heimweh hatte, sagte sie sich: Du hast dich dafür entschieden, da musst du durch. Sie war 29, hatte weder Karriereplan noch Arbeitsvisum. Die UN stellten sie ein. Innerhalb eines Jahres stieg sie ins Büro des damaligen Generalsekretärs Kurt Waldheim auf. Sie lernte, den Generalsekretären zu dienen.
„Die UN behandelte Frauen damals schlecht“, sagt Kane. Erst seit 1986 strebt die Organisation, die sich für den Weltfrieden verantwortlich fühlt, ein 50:50-Verhältnis der Geschlechter an. Seit 2011 gibt es „UN Women“, das die Bemühungen der Vereinten Nationen für Frauen vorantreibt. „Dabei sind Frauen viel pragmatischer“, sagt Kane – und formuliert die nächste Eigenschaft, die Frauen zugeschrieben wird: Sie schielten nicht immer nach der nächsten Beförderung. Sie auch nicht. In Deutschland ist Kane kaum bekannt. „Man kann seine Arbeit besser machen, wenn man nicht im Rampenlicht steht“, sagt sie.
Im Rampenlicht steht der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Der kleine Südkoreaner betritt jetzt einen Saal bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. In seinem Gefolge, selbstbewusst in pinkfarbenem Blazer: Angela Kane. Lächelt Ban, lächelt auch Kane. Macht er einen seiner leisen Witze, lacht sie am lautesten. Sie ist, trotz aller Erfolge, von ihm abhängig. Immerhin hat er sie zur Hohen Vertreterin für Abrüstung ernannt.
Während Ban Ki-moon spricht, nickt Kane ihm aufmunternd zu, lädt das Programm der Konferenz auf ihrem iPad, nickt erneut, ordnet ihre Visitenkarten, lädt noch mal. Es könnte sich ja ein Termin verschoben haben, und Kane kommt nie zu spät. Was sie verspricht, hält sie. Einer ihrer ehemaligen Chefs sagt, das sei das Deutsche an ihr. Sie kombiniere Effizienz mit Prinzipien.
35 Jahre UN hat Kane hinter sich. Inzwischen fallen ihr die Vokabeln für „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ und „Chemiewaffen-Übereinkommen“ nur auf Englisch ein. Sie hat das Webangebot der UN mit aufgebaut, die Bibliothek reformiert, hat mit thailändischen Rebellen gefeilscht, war mit Friedensmissionen in Äthiopien, Indonesien, im Irak, und war Untergeneralsekretärin für Management.
Kane knipst mit dem iPad noch schnell eine Nahaufnahme von ihrem Chef. Die Anstrengung sieht man ihr nur an den aufgekratzten Fingerkuppen an.
Weltweit sitzen weniger als 4 Prozent Frauen bei Friedensverhandlungen am Tisch. Von 126 Friedensnobelpreisen wurden 15 an Frauen verliehen. Dabei, argumentieren die Biologisten unter den Genderforschern, wie zuletzt der Harvard-Psychologe Steven Pinker, seien Frauen von Natur aus friedlicher. Studien mit Schimpansen sollen das beweisen. Weibliche Affen bauen Beziehungen auf, männliche betreiben Realpolitik. Östrogene, wird behauptet, machten Frauen harmoniebedürftiger. Als Mütter, heißt es, seien Frauen außerdem automatisch empathiefähiger. Empirisch belegt ist das nicht. Eher belegt ist, dass dieses Argument die Frauen lange der Macht fernhielt.
Christine Lagarde glaubt daran. „Mütter“, sagt sie, „schicken ihre Kinder ungern in den Krieg. Väter scheinen da, komischerweise, eher bereit.“ Statistiken belegen, dass amerikanische Frauen eher gegen Kriegseinsätze stimmten als Männer. Lagarde mag es, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu diskutieren. Bei jeder Gelegenheit wiederholt sie, die Finanzkrise wäre wohl anders ausgegangen, wenn die „Lehman Brothers“ „Lehman Sisters“ gewesen wären. Frauen seien weniger triebgesteuert, nicht so risikobereit. Das kenne man aus „Mikroökonomien“ – wo Frauen die Finanzen der Familie verwalten.
In der feierlichen Guildhall beendet Lagarde ihre Rede mit einem Thema, das ihr am Herzen liegt. 865 Millionen Frauen blieben weltweit hinter ihren Möglichkeiten zurück. „Sie werden von Geburt an, auf der Schulbank und im Sitzungssaal diskriminiert.“ Wenn wir Frauen überall einsetzten, sagt sie, könnten wir 27 Prozent im Nahen Osten und 14 Prozent beim Pro-Kopf-Einkommen in Europa hinzugewinnen.
Aber der Anteil von Frauen im Management liegt in Deutschland bei nur etwa 10 Prozent, wobei Frauen weiterhin eher kontrollieren als entscheiden. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2014 waren nur 15 Prozent der Delegierten Frauen. Der Merkel-Effekt verstellt den Blick: Auf der Welt gibt es 190 Staatsoberhäupter. Davon sind neun Frauen. In den Parlamenten dieser Erde vertreten 19 Prozent Frauen ihre Völker. Die Weltbank hatte noch nie eine Präsidentin, die UN nur Generalsekretäre, die Welthandelsorganisation nie eine Direktorin.
Vielleicht ist die Stärke der Frauen einfach nur, dass sie keine Männer sind. Gewalt wurde von Männern ausgeübt, weil alles von Männern ausgeübt wurde. Frauen hatten wenig Gelegenheit, Skandale zu produzieren. Sie können von vorn anfangen, haben aus den Fehlern der Männer gelernt. Sie sind noch nicht machtverdorben, weniger größenwahnsinnig.
Christine Lagardes Vorgänger Dominique Strauss-Kahn musste 2011 nach Affären zurücktreten. Inzwischen läuft ein Verfahren gegen ihn wegen Zuhälterei auf Sexpartys. Kürzlich wurde in Belgien ein Bordell nach ihm benannt.
Fatou Bensouda
Ähnliches ereignete sich beim Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Luis Moreno Ocampo soll eine junge Journalistin belästigt haben. Fotos zeigen ihn, wie er Frauen in den Ausschnitt schaut. Gleich einem Polizeistaat hat er die Anklagebehörde des Weltgerichts regiert, übellaunig, fordernd, die besten Mitarbeiter gingen mit Burnout. Auf Kritik durch Richter reagierte er mit Zorn. Um zu überzeugen, trieb er Opferzahlen in die Höhe, vergaß das „mutmaßlich“ vor dem „Täter“. Er saß in amerikanischen Talkshows, sein Gesicht mit den buschigen Augenbrauen wurde zum Gesicht des Gerichtshofs. Zum Schlussplädoyer lud er Schauspielerin Angelina Jolie auf die Zuschauertribüne. Von Anfang an versprach er: einen „sexy Gerichtshof“.
Als die neue Chefanklägerin, Fatou Bensouda, im Juni 2012 ihr Amt antrat, als sie in schwarzer Robe und weißem Faltenkragen feierlich gelobte, der Gerechtigkeit zu dienen, versprach sie mit ihrer tiefen Stimme auch noch etwas anderes: sich besonders einzusetzen für Frauen und Mädchen. Gegen sexualisierte und sexuelle Gewalt, gegen Vergewaltigung als Waffe, als Belohnung für Soldaten, als Kavaliersdelikt. Bensoudas erste Amtshandlung: Sie stellte eine Genderberaterin ein. Die soll diese Art von Gewalt, wenn vorhanden, in den Anklagen unterbringen. Als Opfer von Diskriminierung und Gewalt, sagen die Genderforscher, könnten Frauen sich besser in andere Minderheiten versetzen. Als Außenseiter hätten sie einen anderen Blick auf unser Sicherheitssystem.
Fatou Bensouda mit der schweren Stimme ist eine der mächtigsten Frauen der Welt. Derzeit ermittelt sie in mindestens 18 Fällen, mit mehr als 25 Beschuldigten. Kürzlich hat sie entschieden, gegen britische Soldaten wegen Folter im Irak zu ermitteln – ihr Vorgänger wagte das nicht. Doch die Öffentlichkeit meidet sie. Lieber spricht sie mit Professoren als mit Journalisten. Noch lieber hört sie zu. Porträts über sich will sie autorisieren lassen. Aus diesem Grund kam es nicht zu einem Interview.
Im Frühjahr 2014 steht sie in violettem gambischen Gewand, die Haare zu feinen Zöpfen geflochten, an der Garderobe der Dresdner Semperoper. Kein Gefolge, keine Bodyguards, sie gibt zaghaft den Mantel ab, nimmt das Märkchen selbst entgegen. Gleich wird sie den Dresdner Friedenspreis an einen ehemaligen Kindersoldaten verleihen, der heute in Songs von seiner Vergangenheit erzählt. Zuvor ging der Preis an Prominente wie den russischen Ex-Präsidenten Michail Gorbatschow oder an den Dirigenten Daniel Barenboim, diesmal erhält ihn ein „Lost Boy“. Das ist auch Bensoudas Verdienst. Der erste Fall, den der Gerichtshof abgeschlossen hat, galt dem Kongolesen Thomas Lubanga – er wurde zu 14 Jahren Haft für die Rekrutierung von Kindersoldaten verurteilt.
Bensouda wuchs in einer muslimischen Familie zwischen den zwei Frauen ihres Vaters auf. Der bemühte sich, beide Seiten der Familie gleichermaßen zu versorgen. Daher, sagte sie einmal, komme ihr Sinn für Gerechtigkeit. Als die kleine Fatou in ihrer gambischen Nachbarschaft erlebte, wie ein Mann seine Frau schlug, wollte sie etwas tun. Niemand hörte dem Mädchen zu. Sie schwor sich, dass sich das ändern sollte. Sie würde von einer Zuhörerin zu einer Anwältin werden. „Ich bin eine opferorientierte Person.“
Nachmittags nach der Schule rannte sie zum Gericht, um Verhandlungen zu beobachten, später studierte sie Jura in Nigeria, arbeitete sich durch die Justizverwaltung zur gambischen Ministerin, verhandelte als Diplomatin für ihr Land. Ihre ersten Erfahrungen im Völkerstrafrecht machte sie beim Ruanda-Tribunal, das bis heute Täter des Genozids verfolgt.
Als die Versammlung der Mitgliedstaaten des Strafgerichtshofs die Juristin ins Amt wählte, traf sie eine politische Entscheidung. Man glaubte, dass eine Afrikanerin die gängige Kritik, das Gericht würde neokolonial nur in Afrika ermitteln, schon durch die Hautfarbe widerlegen könnte. Wohlwollend sah die Internationale Gemeinschaft auch, dass eine Frau den Posten übernahm. Man hoffte, sie würde sanfter führen als der autokratische Vorgänger.
Natürlich gibt es Gegenbeispiele, Frauen, die traditionell männlich zugeschriebenes Verhalten annehmen: Margaret Thatcher oder die raubeinige Chefanklägerin des Jugoslawientribunals Carla del Ponte. Dafür wurden beide kritisiert.
Feminin sollen führende Frauen sein, sagen Managementratgeber, aber nicht zu sehr. Maskulin sollen sie bitte auch sein, aber bitte in Maßen. Ein Balanceakt. Beherrscht Bensouda ihn?
In der Semperoper unter gigantischen Kronleuchtern schnipst die Chefanklägerin leise mit den Fingern zu Rapmusik, kreist zaghaft die Hüften. Der Preisträger bittet sie auf die Bühne: „Dance with me, Fatou!“ Die reicht ihm herzlich die Hand, blickt verlegen zu Boden und schickt eine Mitarbeiterin zum Tanzen hinauf.
Die Stimmung unter den Mitarbeitern am Gericht, sagt der deutsche Richter Hans-Peter Kaul, sei wesentlich besser geworden, seit Bensouda angetreten ist. Selbst bei den streitlustigen Verteidigern hat sie keine Feinde. Großzügig sei sie, angenehm, fair. Koche abends in Den Haag regelmäßig für Freunde. „Big Mama“ nennt man sie am Gericht. Man denkt an die Schokolade, die Lagarde verteilt.
Bensouda ermittelt auch anders als ihr Vorgänger: Sie sucht nicht sofort die Haupttäter, sondern beginnt eine Ebene tiefer. Das ist strategisch und leise.
Aber es gibt auch Zweifel: Traut sich die Mutter dreier Kinder wirklich, gegen westliche Mächte wie Großbritannien vorzugehen oder wird sie die Ermittlungen schnell wieder einstellen? Immerhin hat sie sich, als sie noch Ocampos Stellvertreterin war, nie gegen dessen großmachtfreundliche Politik gestellt.
Angela Kane, die Frau mit den aufgekratzten Fingern und den deutschen „t“s, war diesen Morgen schon bei einem Frauenfrühstück bei der Münchner Sicherheitskonferenz. „Es gibt immer noch sehr viele männliche Netzwerke“, sagt sie. Ihre ersten Arbeitgeber bei den UN wollten, dass sie ehrenamtlich arbeite – ihr Mann, hieß es, verdiene doch bereits. In allen Branchen erzählen Frauen von sexistischen Witzen, Männerbündischem, Firmenbesuchen in Stripclubs. Auf einer ihrer Friedensmissionen sah Kane, wie die einzige Soldatin abgestellt wurde, um ihr Wasser zu reichen. „Das habe ich sofort beim Kommandeur angesprochen.“ In El Salvador hat sie durchgesetzt, dass Frauen in die Polizei aufgenommen werden.
Frauen, sagen Forscher, arbeiten lieber dort, wo andere Frauen arbeiten. Lagarde hat gleich bei ihrem Amtseintritt eine weibliche Leibwächterin eingestellt. Beim Währungsfonds hat sie eine Quote eingeführt. Egal, wo sie ist, führt sie mindestens ein Gespräch nur mit Frauen – „Girls Night Out“. Sie hat eine Liste mit kompetenten Frauen, verfolgt deren Karrieren und wirbt für sie als Kandidatinnen, wenn irgendwo eine Stelle frei wird. Ihre eigene Mutter – eine stolze Alleinerziehende, die Autorennen fuhr und Pferde ritt – ist ihr Vorbild.
Christine Lagarde mit der warmen Stimme steht gern im Mittelpunkt, sie liebt den schillernden Auftritt. Aber will sie mehr oder weniger Markt? Sie steht dort als Moderatorin, die kein Ego und keine Ideologie durchsetzen muss.
Angela Kane arbeitet am liebsten außerhalb der Scheinwerfer, weil das Kraft spart. Aber könnte sie auch Generalsekretärin werden?
Fatou Bensouda sucht nicht den Showdown, sie nähert sich ihren Opfern leise an. Aber wird sie sich trauen, gegen britische Soldaten vorzugehen?
Wer Lagarde, Bensouda und Kane beobachtet, hört andere Töne in der Weltpolitik. Andere als die der Männer. Es sind verschiedene Töne, Stile und Methoden. Aber sie bilden einen neuen Dreiklang.
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