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Linksliberal - Was Sozis und Liberale voneinander lernen können

SPD-Mitglied Oliver Schmolke fordert, dass Linke und Liberale sich auf ihre historischen Wurzeln besinnen. Davon könnten beide Lage profitieren.

Autoreninfo

Bernd Ziesemer war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblatts. Er ist Publizist und Geschäftsführer von Hoffmann und Campe

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Liberale und Linke begegnen sich in Deutschland mit  zunehmendem Unverständnis, ja gegenseitiger Verachtung. Dabei geht es keineswegs nur um alltagspolitische Kabbeleien und wahlkämpferische Überspitzungen. Liberale und Linke sind sich im wahrsten Sinne des Wortes politisch und programmatisch fremd geworden. Die Grundwerte, auf die sich die beiden Lager beziehen, widersprechen sich in den Augen ihrer Anhänger geradezu diametral: Wo die einen ununterbrochen von Freiheit reden, sprechen die anderen permanent von Gerechtigkeit. Und beide Seiten setzen sich gleichzeitig gegenseitig unter schwersten Ideologieverdacht: Wenn die Liberalen von Freiheit reden, wittern die Linken Raubtierkapitalismus. Und wenn die Linken von Gerechtigkeit reden, wittern die Liberalen mehr Staat.

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Wir haben uns inzwischen so an die erbitterte Konfrontation zwischen Liberalen und Linken gewöhnt, das wir ihre historischen Gemeinsamkeiten völlig ausblenden. Dabei waren sich beide Strömungen bei ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert einmal ganz nahe. Das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx las sich 1848 streckenweise wie eine liberale Kampfschrift. Und die Arbeiterbewegung forderte in den Jahrzehnten danach eben nicht nur Brot und Gerechtigkeit ein, sondern Freiheit und Demokratie. Und immer wieder in den letzten 150 Jahren gab es politische Phasen, in den sich Linke und Liberale im Kampf für Bürgerrechte und gegen den Obrigkeitsstaat verbündeten. Erst seit dem Bruch der sozialliberalen Koalition in den frühen achtziger Jahren driften die beiden Strömungen in Deutschland immer weiter auseinander.

Oliver Schmolke beschreibt diesen Prozess in einem bemerkenswert klugen Buch („Zur Freiheit – Ein Linksliberales Manifest“, vorwärts buch 2013) aus Sicht eines Sozialdemokraten. Und er beschreibt ihn, was noch viel bemerkenswerter ist, ausdrücklich als die Geschichte eines Verlusts für die Linke. Eine freiheitsvergessene Sozialdemokratie beraubt sich selbst nicht nur einer ihrer allerwichtigsten politischen Wurzeln, so könnte man Schmolkes Thesen zusammenfassen, sie beraubt sich auch ihrer politischen Mehrheitsfähigkeit. Diese Aussage ist in einem Wahl(kampf)jahr auch tagespolitisch brisant – denn sie kommt nicht von irgendjemandem: Der Autor ist im Hauptberuf Planungschef der SPD-Bundestagsfraktion und einer der engsten Mitarbeiter von Frank-Walter Steinmeier. Und er schreibt sein Buch bei allen historischen Rückbezügen und essayistischen Einschüben sehr bewusst als Manifest: eine programmatische Aufforderung an die Linke zur liberalen Landnahme.

Schmolkes Buch liest sich glaubwürdig, weil er bei aller Polemik gegen den politischen Gegner nicht mit Kritik an eigenen Positionen der Sozialdemokratie spart: „Die Idee der Freiheit ist in der Krise. Die Linke hat sie preisgegeben“, schreibt der Autor schon auf den ersten Seiten. Frei nach Antonio Gramsci verspielte sie damit seiner Meinung nach zugleich jede Hoffnung auf „kulturelle Hegemonie“ in Deutschland. Schmolke fordert zu recht eine Rückbesinnung auf die gemeinsame Wurzel von Liberalismus und Sozialdemokratie: auf das unbedingte Bekenntnis zu bürgerlichen Rechten, zur Gleichheit aller vor dem Recht. Politische Gleichheit kommt – ideengeschichtlich wie realpolitisch – noch vor sozialer Gleichheit. Und in diesem Sinne sollte sie für Linke wie für Liberale gleichermaßen nicht als Feindin, sondern als „Schwester der Freiheit“ gelten.

Der Autor findet harte, treffende Worte gegen die „pseudorevolutionäre Maskerade“, die Anti-Bürgerlichkeit vieler linker Gruppen in- und außerhalb der Sozialdemokratie. Ihnen ruft er geradezu emphatisch zu: „Wir sind alle Bürger geblieben!“ Alle geschichtlichen Versuche, die bürgerliche Gesellschaft in einer neuen Formation „aufzuheben“ (Marx), brachten nichts als Leid über die Menschen. Auch die „Torheit des kulturellen Relativismus“, wie er in Teilen der Linken grassiert, kommt bei Schmolke nicht gut weg.

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Ohne den großen alten Mann der deutschen Sozialdemokratie namentlich zu nennen, lesen sich manche seiner Sätze in diesem Zusammenhang wie eine berechtigte Kritik an Helmut Schmidt. Wer die Forderung nach Menschenrechten in China unter Verweis auf angeblich so unterschiedliche kulturelle Traditionen verächtlich macht wie Schmidt, der sollte sich dabei eben nicht auf sozialdemokratische Werte berufen.

Schmolkes Manifest liest sich jedoch nicht nur für Sozialdemokraten spannend, sondern gerade auch für Liberale (wie den Autor dieses Beitrags). Die Freiheitsvergessenheit der Linken spiegelt sich in der Gerechtigkeitsvergessenheit der Liberalen. Man könnte die Geschichte der Entzweiung beider Lager auch als Geschichte eines Vulgärliberalismus schreiben, der Freiheit programmatisch fast nur noch auf wirtschaftliche Freiheit verkürzte und deshalb die Gleichheit vergaß. Wer sich selbst zur Partei einer Minderheit (und sei es der Besserverdienenden) macht, wer Sonderrechte (für Apotheker) und Privilegien (für Hotelbesitzer) fordert, der verrät in Wahrheit die Urprinzipien einer liberalen Philosophie. Man würde sich wünschen, dass ein führender FDP-Mann genauso selbstkritisch über sein eigenes Lager schriebe, wie es der Sozialdemokrat Schmolke mit diesem Buch über das eigene getan hat. Es könnte der Anfang eines spannenden Dialogs sein. Christian Lindner, greifen Sie zur Feder!

Der Autor ist Publizist, war lange Jahre Chefredakteur des Handelsblatt und veröffentlichte zuletzt das Buch „Karl Marx für Jedermann – Der erste Denker der Globalisierung“ (Frankfurter Allgemeine Buch 2013) 

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