- Broder wehrt sich gegen Brandstifter-Vorwurf
Henryk M. Broder steht massiv in der Kritik. Wieder einmal. Weil der Terrorist Anders Behring Breivik ihn in seiner Rechtfertigungsschrift zitierte, wird dem deutschen Publizisten nun eine Mitschuld an den Attentaten in Norwegen unterstellt. Im Interview mit CICERO ONLINE antwortet Broder seinen Kritikern.
Herr Broder, wenn ich Ihren Namen in Verbindung mit dem
Wort Brandstifter bei Google eingebe, erhalte ich erstaunliche
31.700 Treffer…
… ist Biedermann auch dabei? (lacht)
Wie fühlt es sich an, in einen unmittelbaren
Zusammenhang mit einer solchen Tat gebracht zu werden?
Nicht gut. Das ist kein Grund, auf irgendetwas stolz zu sein.
Andererseits finde ich das Ganze, diese unglaubliche Vereinfachung,
die derzeit stattfindet, auch extrem komisch. Man könnte meinen,
die Deutschen haben nur zwei Probleme und die hören auf die Namen
Broder und Sarrazin. Wenn es uns beide nicht gäbe, wäre die Welt
friedlich und dieser grauenhafte Massenmord wäre nicht passiert.
Ich verfolge den Tiefflug dieser Analysten mit einem gewissen
Vergnügen. So dumm, wie sie dieses Ereignis analysieren und mit mir
in Verbindung bringen, so dumm sind sie auch, wenn es darum geht
den Klimawandel zu analysieren. Das zeigt schon etwas von dieser
absoluten Inkontinenz, Inkompetenz, Impotenz der Analysten.
Sie sehen keinerlei Mitschuld der Islamkritik an einer
ideologischen Aufladung des Täters Breivik? Haben Sie nicht zu einer
islamfeindlichen Atmosphäre beigetragen, in der sich Extremisten
berufen fühlen, die vermeintliche Mehrheitsstimmung
aufzugreifen?
Sie wollen mich in die Falle führen. Wenn ich sage, klar, es gibt
eine Mitschuld, dann habe ich ein Bekenntnis abgelegt. Sage ich,
nein, es gibt keinerlei Mitschuld, dann verweigere ich mich einer
tätigen Reue. Natürlich, wenn Sie so wollen, hängt alles mit allem
zusammen. Nur diese unmittelbare Rückführung meiner Schriften oder
auch die Aktivitäten von Geert Wilders oder Thilo Sarrazin auf die
Tat hin, ist einfach irre. Man würde doch auch nicht auf die Idee
kommen, Leute, die Che Guevara lesen oder mit Che-T-Shirts
rumlaufen, dafür verantwortlich zu machen, was Che so alles
angestellt hat. Diese Verknüpfungen, die jetzt konstruiert werden,
haben zum Teil mit alten, persönlichen Rechnungen zu tun, die nun
beglichen werden. Und dort, wo es keine alten Rechnungen sind,
versuchen Leute irgendeine Ursache zu finden, die dieses
Wahnsinnsverbrechen zu erklären versucht. Die Leute wollen Ursachen
und Erklärungen mundgerecht auf einem Teller serviert bekommen.
Dafür habe ich wirklich ein gewisses Verständnis. Dass es mich nun
gerade erwischt hat, nun ja, shit happens. Glauben Sie wirklich,
Breivik hätte das Verbrechen nicht begangen, wenn ich statt über
den Islam über die Schönheiten der Landschaften der Provence
geschrieben hätte?
Nun taucht ihr Name mehrmals im Pamphlet Breiviks auf.
Sie sind damit in guter Gesellschaft, stehen in einer Reihe mit
Kafka, Churchill oder Merkel.
Und vergessen Sie Kant nicht – meinen Lieblingsautor. Aber auch
John Stuart Mill oder Adam Smith werden genannt. Viele dieser Leute
kann man leider nicht mehr anrufen. Fragen Sie mal Kafka, ob er
sich mitverantwortlich fühlt. Es wird schwierig, von ihm eine
Antwort zu bekommen. Übrigens werden Mohammed oder Allah über
hundert Mal genannt.
Jetzt sind die Islamkritiker über Nacht in
Rechtfertigungsnot geraten. Das Interessante dabei ist, dass die
Islamkritik jetzt auf eine Unterscheidung zwischen Radikalen und
Gemäßigten in ihren Reihen verweist, eine Unterscheidung, die sie
ihrem Gegner, dem Islam, stets verweigerte.
Zunächst einmal: Ich bin kein Islamkritiker. Ich kritisiere die
europäische Tendenz zur Appeasement-Politik. Wenn sich Europa
genauso feige, kuschend und opportunistisch gegenüber dem
Hinduismus verhalten und zum Beispiel das Schlachten von Kühen
verbieten würde, hätte ich wahrscheinlich das Attribut
Hindukritiker. Zum Zweiten: Natürlich sind die Islamkritiker in
diese Falle voll hineingetappt. Wenn sich ein Selbstmordattentäter
mit dem Ruf „allahuakbar“ auf seine Opfer stürzt, dann muss ich
keine große Exegese darüber betreiben, von wem er beeinflusst
wurde. Wenn aber ein Irrer wie Breivik in einem 1.500 Seiten
starken Manifest – das übrigens unglaublich viele Leute unglaublich
schnell gelesen haben, viel schneller als die 500 Seiten Sarrazins
– wenn so einer sich in seinem Copy-and-Paste-Manifest auf 50 bis
100 Leute beruft, dann ist das eine absolut irre Methode, aus
diesen Leuten ein oder zwei herauszupicken. Das ist der übelste und
der schmierigste Fall von Missbrauch von Opfern für
propagandistische Zwecke. So ist ein Attentat noch nie
instrumentalisiert und missbraucht worden. Mein Kollege Alan Posener hat kürzlich geschrieben, dass Worte
zu Taten führen. Warum aber wird in der ganzen Kritik immer
blanko davon ausgegangen, dass Worte immer zwangsläufig zu bösen
Taten führen? Kann es nicht sein, dass Worte eben auch zu guten
Taten führen? Ich persönlich glaube nicht, dass Worte Wirkung
haben. Aber wenn schon unterstellt wird, dass Worte zu Taten
führen, dann könnte es doch auch sein, dass meine Worte auch andere
Leute von bösen Taten abgehalten und nicht dazu angestiftet
haben.
Sie sprechen von Missbrauch. Eine solche
Instrumentalisierung des Attentats gibt es aber doch auch gerade
von rechter Seite. Pro-Deutschlandanhänger hielten beispielsweise
eine Mahnwache vor der Norwegischen Botschaft. Ganz zu
schweigen von unzähligen rechten Gruppierungen, die mit
Distanzierungen gar nicht schnell genug um die Ecke
kamen…
… völlig richtig, die reiben sich genauso die Händchen.
In diesem Zusammenhang wird nicht selten der Vorwurf
laut, Sie seien das rhetorische Bindeglied zwischen den offenen
Rechten wie Pro-Deutschland oder PI-News einerseits und dem
offiziellen Diskurs in gemäßigten Medien.
In diesem Sinne bin ich dann auch das fehlende Glied zwischen einem
Zweirad und einem Ferrari. Verstehen Sie, ich kann nicht an jeder
Mülltonne riechen und mich zu jedem Vorwurf verhalten.
Wie stehen sie zu Gruppierungen wie
Pro-Deutschland?
Die sind mir völlig egal. Das ist eine rechte Sektiererpartei mit
einigen guten Ideen, aber mit einem völlig falschen Ansatz und
einer monokausalen Ausrichtung. Zwischen uns liegen Welten. Ich
habe ab und zu Pro-Deutschland-Anhänger in meinen Lesungen. Denen
erzähle ich immer dieselbe Geschichte: Ihr wollt die Ausländer
raushaben? Prima. Ich bin sehr dafür, machen wir einen Test und
lassen wir doch alle Ausländer und Migrationsdeutsche einen Tag
lang streiken. Am nächsten Tag diskutieren wir dann noch mal über
diese Idee, alle Nichtdeutschen auszuweisen. In aller Ruhe.
Man könnte generell fragen, was das für eine Bewegung
ist, neue rechte Gruppierungen von Pro-Deutschland bis PI-News, die
sich als Antirassisten, Verteidiger der Demokratie, Freunde Israels
bezeichnen und auch gerne auf eine christliche Kultur
verweisen.
Politische Verhältnisse sind keine stabilen Zustände. Und jetzt
staunen alle, dass es Rechte gibt, die für Israel sind. Rechte und
Nazis wurden immer automatisch mit Antisemitismus in Verbindung
gebracht. Wenn aber die Linke antizionistische und antisemitische
Positionen übernommen hat, dann ist es eigentlich nur logisch im
Sinne des Systems kommunizierender Röhren, dass sich die Rechte
jetzt pro-jüdisch und pro-Israel verhält. Das macht Leute bei
PI-News nicht weniger unsympathisch. Wobei ich bei PI unterscheiden
würde: Es gibt dort zum Teil ordentliche Beiträge. Das Problem ist
das Pack, das sich dort in den Foren tummelt. Letztlich ist man nie
vor dem Beifall von der falschen Seite sicher, aber man muss ihn
nicht anziehen, wie die Scheiße die Fliegen. Und was sich in den
dortigen Foren austobt, ist einfach unsäglich. Diese ganze
pro-jüdische Sympathiewelle schlägt dann auch interessanterweise
sehr schnell in ihr Gegenteil um.
Sie verstehen die pro-jüdische beziehungsweise
pro-israelische Ausrichtung dieser rechten Gruppen also als eine
Abgrenzungsreaktion von der politischen Linken. Ähnlich wie sich
die Neue Linke in den 60ern in Abgrenzung zur Rechten, zur
Springer-Presse israelkritisch positionierte?
Ja, offenbar ist die Judenfrage die deutsche Schicksalsfrage.
Ist es nach einem solchen Attentat nicht an der Zeit
verbal abzurüsten, sich zurückzunehmen und zu besinnen? Helfen da
Sätze wie „Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus ist wie
jener zwischen Terror und Terrorismus“?
Ich würde das heute genauso schreiben, nur hinterher noch zwei
Sätze zur Erklärung nachschieben. Der Satz ist richtig, er ist nur
zu kurz. Das ist das Einzige, was ich in meinen vergangenen
Veröffentlichungen korrigieren würde. Ergänzen, aber nicht
zurücknehmen. Ich sehe auch keinen Grund für verbale Abrüstung,
weil ich nicht aufgerüstet habe. Ich würde auf der Stelle
verstummen, wenn der islamistische Prediger Pierre Vogel verstummt,
wenn die Islamisten aufhören Busse zu entführen und Cafés in die
Luft zu jagen, wenn die Ehrenmorde aufhören und wenn die
Wehleidigkeit der hier vertretenen muslimischen Organisationen ein
Ende findet. In dem Falle würde auch ich abrüsten, vorher sehe ich
dazu keinen Anlass.
Gut, nennen wir es nicht Abrüstung, sondern eine
deutlichere Grenzziehung. Alan Posener beispielsweise schreibt,
dass es an der Zeit sei, klarere Grenzen zu ziehen. Jeder, der
bislang mit den Ideen der Neuen Rechten geflirtet habe, sei
gefordert, sich klar für die offene Gesellschaft und gegen ihre
Feinde zu positionieren. Sind nicht Vorsicht und Distanzierung die
Gebote der Stunde?
Warum soll ich mich von Sachen distanzieren, die ich nicht zu
verantworten habe? Es gibt im Moment eine wahnsinnige
Verunsicherung. Der Kollege Posener hat ein Buch geschrieben mit
dem Titel „Der gefährliche Papst“. Daraufhin habe ich – mehr im
Scherz – geschrieben, dass ein Idiot dies zum Anlass nehmen könnte,
sich am Papst zu vergreifen. Jetzt veröffentlichte Posener einen
Text, in dem er sagt, dass ihm das schon zu denken gebe und er
heute diese Zeile auch nicht mehr so formulieren würde. Nun fängt
also das ganze große Mea Culpa an. Natürlich darf man sagen, der
Papst ist gefährlich. Ansonsten sind wir schnell bei präventiver
Selbstzensur. Ich habe das bei Posener weder negativ noch belehrend
gemeint, er hat es aber offenbar so aufgefasst. Das ist allerdings
sein Problem.
Herr Broder, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein
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