Steffen Seibert - als Sprecher in Gottes Hand

Steffen Seibert war als ZDF-Moderator schon bundesweit bekannt, bevor ihn Angela Merkel zu ihrem Regierungssprecher machte. „Wie ein Meteorit“ sei das Angebot der Kanzlerin in seinen „Vorgarten“ gefallen – und er glaubt, dass dies kein Zufall war.

Der Zug nach Hamburg ist diesmal pünktlich. Aber er ist (wie so oft) falsch gereiht. Die Erste Klasse liegt nicht hinten, wie angekündigt, sondern ganz vorne. Wie gut, dass die Bahn kein reines Bundesunternehmen mehr ist. Sonst hätte der Regierungssprecher Steffen Seibert, der am falschen Ende eingestiegen ist und sich nun durch die Gänge quetschen muss, auch für diese Panne geradezustehen. Erkannt wird er trotzdem. „Drängeln Sie doch nicht so, Sie Sprecher, Sie!“, ruft eine Frau ihm hinterher. Dabei hat er gar nicht gedrängelt, das käme ihm nicht in den Sinn. Er ist ein höflicher Mensch mit guten Manieren und ist selbst geschubst worden. Ist es nun „Zufall“ oder „Fügung“, dass auf allen Plätzen in diesem ICE das Konterfei seiner Chefin ausliegt? Angela Merkel schmückt den Titel der Dezember-Ausgabe von mobil, der Zeitschrift für Bahnkunden. Die Kanzlerin und ihr Sprecher – sogar im Zug vereint. Er muss selbst darüber lachen: „Alles selbstverständlich von uns arrangiert.“ Steffen Seibert ist seit dem 11. August Regierungssprecher und hat seine ersten Blessuren schon eingesteckt. „Regierungsversprecher“ spottete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, weil Seibert die Deutsche Bank mit dem Satz verärgert hatte, sie sei besonders stark von der irischen Krise betroffen. Zurücknehmen musste er das und sich entschuldigen, die Sache ist ausgestanden und bereinigt – auch mit Bankchef Josef Ackermann persönlich. Genauso wie das Gerangel mit Guido Westerwelle. Da hatte der Regierungssprecher wahrheitsgemäß berichtet, es habe wegen der Sanierung des Euro-Rettungsschirms im Kabinett keinen Streit zwischen der Kanzlerin und ihrem Vize gegeben. Hatte es doch, aber nicht im Kabinett, sondern vorher im Vier-Augen-Gespräch. Und auch keinen richtigen Streit – gleichviel, das Thema ist für ihn „abgehakt“. Wie kommt einer, der sich jahrelang „nach einem Aufgehobensein im Glauben“ sehnte und deshalb katholisch wurde, mit den wahrscheinlich gottlosen journalistischen Berufszynikern zurecht, denen er die Politik der Bundesregierung erklären muss? Natürlich kennt er das Berliner Geraune, dass er Merkel zu sehr bewundere, ihr distanzlos ergeben sei. „Ergeben? Ich? Ich bin niemandem ergeben. Loyal bin ich, das stimmt. Aber das ist etwas anderes als ergeben.“ Und bei der Frankfurter Rundschau, die ihn „Merkels Dackel“ nannte, habe man offenbar keine Ahnung von Hunden: „Dackel sind sehr kluge und sehr eigenwillige Tiere. Vielleicht meinten sie Pinscher.“ Wahr ist aber, dass er sie nicht nur mag, sondern auch bewundert. Als Kanzlerin und als Mensch. Bis heute, sagt er, wisse er nicht, wer sie darauf gebracht hat, ihn zu fragen. Als sie es dann tat und nachdem er 75 Minuten lang mit ihr geredet hatte, „da haben wir uns eine Nacht Bedenkzeit gegeben und dann haben wir entschieden“. Er sagt nicht „ich“ habe entschieden, und auch nicht „sie“ hat entschieden. Sondern „wir“ – Unterwürfigkeit klingt anders. Dabei war das Zweite Deutsche Fernsehen eigentlich eine „Planstelle“ fürs Leben, und Seibert hatte sich dort einen festen Platz erarbeitet: Er war schon bundesweit bekannt, bevor er den Sprecherjob antrat. Moderator von „heute“ und „heute-Journal“, davor der Mann, der bei Landtags- und Bundestagswahlen die ZDF-Prognosen präsentierte und ohne Teleprompter aus dem Stegreif reden konnte – zum Beispiel an jenem 11. September 2001, als Al-Qaida-Terroristen die Twin Towers in New York zum Einsturz brachten. Fünfeinhalb Stunden am Stück hat er moderiert, gleichzeitig Zeuge und Kommentator des Geschehens, später dafür ausgezeichnet mit der Goldenen Kamera. Die Karriere war vorgezeichnet. Und trotzdem hat er sie aufgegeben. „Ich habe aus heiterem Himmel die Chance bekommen, etwas Neues zu machen.“ Seibert glaubt nicht an Zufälle. Er ist – ursprünglich evangelisch getauft und erzogen, dann aber aus der Kirche ausgetreten – katholisch geworden, weil er glaubt, dass sein Leben nicht allein in seiner, sondern eben auch in Gottes Hand liege. „Einige Dinge passieren doch, damit du, wenn sie passieren, fragst, warum sie passieren, und ob das, was passiert, nicht der Schlüssel ist für eine Tür, durch die du gehen musst. Ich wusste eigentlich immer, irgendwann in x Jahren machst du etwas anderes, es war nur nicht klar, wieviel ‚x‘ ist. Und dann ist eben dieses Angebot wie ein Meteorit in meinen Vorgarten gefallen, und ich musste mich entscheiden, ob ich das Bekannte, Vertraute weitermachen will oder das Unbekannte, Nichtvertraute wagen soll.“ „Deutscher Botschafter in Polen“ wäre er gern, hat Steffen Seibert einmal gesagt. Und er, der fließend Englisch und Französisch spricht und Spanisch ohne Dolmetscher versteht, kann inzwischen sogar ein paar Brocken Polnisch. Vielleicht ergibt es sich ja irgendwann. Wer weiß? Als er vom ZDF auf die Sprecherbank wechselte, sagte man ihm, er habe eine Rückfahrkarte, wie jeder andere Mitarbeiter des Senders auch, der in den Staatsdienst wechselt. „Ich habe diese Option nicht ausgehandelt“, sagt Seibert. „Und mir ist auch klar: Ich habe mein Leben geändert und kann nicht mehr dorthin zurück, wo ich herkam.“ Als Moderator wird man ihn beim ZDF gewiss nicht mehr sehen. Aber es gibt andere Möglichkeiten: Karl Günther von Hase, Regierungssprecher von 1962 bis 1967, wurde 1970 Botschafter in London und 1977 Intendant des ZDF. Und Seiberts Vorgänger Ulrich Wilhelm, der früher auch einmal beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet hatte, kehrte als Intendant des Senders nach München zurück.

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