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Die Mauer-Dealer

Nur wenige Tage nach dem 9. November 1989 versuchte die DDR, aus dem verhassten Beton der deutschen Teilung Kapital zu schlagen. Viel Geld ist damit verdient worden, das meiste landete in schwarzen Kassen.

Seltsames geht am 2. Februar 1990 auf dem ausgemusterten Kriegsschiff USS Intrepid im Hafen von New York vor. Auf dem Deck des Flugzeugträgers stehen zwei bunt bemalte Teile der Berliner Mauer, die noch wenige Monate zuvor die Teilung der Welt in Ost und West zementierten. Jetzt findet vor New York ein „Wall Happening“ statt. Es ist der Auftakt für den Mauerverkauf in den Vereinigten Staaten. Organisiert von der DDR-Regierung unter SED-Premier Hans Modrow und abgewickelt über weltweit operierende Marketingfirmen, in der Hoffnung, aus dem gefallenen Eisernen Vorhang möglichst viel Kapital zu schlagen. Aber auch Kunstsammler, Spekulanten, Bauunternehmer und nicht zuletzt die DDR-Grenztruppen, die jahrzehntelang auf jeden zielten, der den „antifaschistischen Schutzwall“ überwinden wollte, witterten ein Geschäft mit der Berliner Mauer. Die Geschichte, den verhassten Beton zu Geld zu machen, beginnt unmittelbar nach dem 9. November 1989. Als sich die Sensationsnachricht verbreitet und die ersten Mauerspechte ans Werk gehen, erreichen die DDR-Botschaften in aller Welt Anfragen, ob Reste des Grenzwalls zu haben sind. Die DDR zögert. Die Mauer sicherte ihre Herrschaft, ihr Fall machte den Untergang des SED-Regimes unumkehrbar. Letztlich obsiegt die Aussicht auf dringend benötigte Devisen. Ende Dezember 1989 übernimmt eine Firma des DDR-Außenhandelsministeriums im regierungsoffiziellen Auftrag den Verkauf der Mauerreste. „Limex“, das für die DDR in Lateinamerika Bauprojekte umsetzte oder in den achtziger Jahren billige Leiharbeiter nach Westberlin vermittelte, gilt als Unternehmen mit Auslandserfahrung. Der Handel läuft schwunghaft an. Um den Anfragen nachzukommen, wird Anfang 1990 in Westberlin eine zweite Firma unter dem Namen „LeLé Berlin Wall Verkaufs- und Wirtschaftswerbung GmbH“ aus der Taufe gehoben. Die Inhaber, Judith LaCroix und Christian Herms, sind für den DDR-Außenhandel keine Unbekannten, man hatte schon zu Zeiten der Teilung miteinander Geschäfte gemacht. Nun soll das Westberliner Paar Teile der Mauer gewinnbringend an Privatleute und Sammler verkaufen, während „Limex“ Behörden und Museen bedient. Das eigentliche Mauergeschäft liegt also in den Händen Westberliner Unternehmer. Bis Mitte April 1990 gehen aus den Verkäufen 900000 D-Mark – damals etwa 2700000 DDR-Mark – auf ein Sonderkonto ein. Doch Mauer ist nicht gleich Mauer. Bemalt geht besser als grau. Ein etwa 300 Meter langer Mauerstreifen an der Grenze zu Kreuzberg gilt als besonders gewinnbringend. Hier hatten sich in den achtziger Jahren berühmte Künstler wie Thierry Noir, Kiddy Citny oder Keith Harring mit ihren Graffiti verewigt. Mitte Januar 1990 wird dieses Mauerstück von DDR-Grenztruppen abgebaut. Nicht als Zeichen des guten Willens, allein der Devisengier geschuldet. Am Abend des 23. Juni 1990 organisieren LaCroix und Herms eine Auktion im Steuerparadies Monaco. Etwa einhundert Kunstliebhaber und Makler kommen. 70 Mauerteile werden aufgerufen, darunter einige mit den Kreuzberger Graffiti. Andere Segmente – im Auktionskatalog als Werke „anonymer Künstler“ tituliert – sind im Auftrag von „LeLé Berlin“ nachgemalt worden. Vom Verkauf ausgenommen sind Mauersegmente, an denen mutmaßlich Menschen zu Tode gekommen waren. Damit sollen potenziellen Käufern mögliche Skrupel genommen werden. Die Strategie geht auf. Monaco bringt annährend zwei Millionen DMark ein. Der Erlös soll komplett für karitative Zwecke in die DDR zurückfließen. Allerdings versickert ein Großteil der von „Limex“ und „LeLé Berlin“ gemeinsam verwalteten Gewinne in dunklen Kanälen. Als im Frühjahr 1990 ein Kuratorium gegründet wird, das die Erlöse aus den Mauerverkäufen für karitative Zwecke verteilen soll, ist der Löwenanteil längst verschwunden. Der Ostberliner Oberkirchenrat Martin Ziegler, der dem Kuratorium vorsteht, erhält im Herbst 1990 nur etwa zwei Millionen DMark. Dieser Betrag wird jedoch vom Bundesfinanzministerium einbehalten, da inzwischen die Rechtmäßigkeit des Mauergeschäfts angezweifelt wird. Thierry Noir und Kiddy Citny, deren Mauergraffiti von „LeLé Berlin“ versilbert worden waren, klagen 1995 erfolgreich eine nachträgliche Gewinnbeteiligung ein. Die Drahtzieher können zu diesem Zeitpunkt nicht mehr belangt werden. „Limex“ löst sich mit der Wiedervereinigung auf und auch „LeLé Berlin“ verschwindet Anfang der neunziger Jahre von der Bildfläche – mit ihr ein Großteil der Mauer-Millionen. Wie viel in Amerika mit der Mauer verdient wurde, lässt sich nur erahnen. Über die Einnahmen der „Berlin Wall Commemorative Group“ in New Jersey liegen keine Angaben vor. Anfang Februar 1990 erhält der Bauunternehmer John Scimmarelli von „Limex“ die Exklusivlizenz für den Mauerverkauf in den Vereinigten Staaten. Seine „Berlin Wall Commemorative Group“ beliefert Privatleute und auch die Bibliotheken ehemaliger US-Präsidenten. Das Geschäft ist beträchtlich, doch das meiste Geld dürfte in Amerika geblieben sein. Mit dem Abbau der Grenzanlagen am 13. Juni 1990 steigt dann auch die Nationale Volksarmee ins Mauergeschäft ein. Die Grenztruppen verhökern unter der Hand, was sie demontieren. Um dem wilden Ausverkauf einen Riegel vorzuschieben, weist das DDR-Verteidigungsministerium die Baukommandos an, den größtmöglichen Gewinn aus den Resten der Sperranlagen zu erzielen. Verkauft werden nicht nur Mauerteile, sondern auch Grenzschilder, Zäune und Ausrüstungsgegenstände. Findig zeigt sich auch Verteidigungsminister Rainer Eppelmann: Er bietet dem Modeschöpfer Karl Lagerfeld Restbestände der Grenztruppenuniformen für dessen Kollektionen an. Die erzielten Einnahmen sollen an den Staatshaushalt abgeführt werden, Bilanzen darüber ließen sich nicht finden. Der Bundeswehr, die mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 den Oberbefehl über die Abrisskommandos übernimmt, erscheint das Mauergeschäft zunächst anrüchig. Der beauftragte General Rolf Ocken lässt den Verkauf stoppen und leitet alle Anfragen nach Bonn weiter. Dort zeigt man sich von den lukrativen Angeboten beeindruckt. Ab Dezember 1990 wird der Verkauf wieder aufgenommen. Etwa sechs Millionen D­Mark fließen in den Etat von Bundesverteidigungsminister Stoltenberg. Während Armeeeinheiten die Mauer abreißen, sind diverse Baufirmen mit der Entsorgung der Betonplatten beauftragt. Die Mauerteile sollen zu Schutt zermahlen und im Straßenbau wiederverwendet werden. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem bemalte Segmente weiterverkauft werden. Einige der 1990 von der DDR-Regierung mit den begehrten Lizenzen versehenen Unternehmer legen sich ganze Lager an, aus denen die Nachfrage nach Mauerteilen bis heute befriedigt wird. Schätzungsweise 500 Segmente der Berliner Mauer haben durch den findigen Unternehmergeist aller Beteiligten einen neuen Standort gefunden – und zwar überall auf der Welt. Für zum Teil absurd hohe Beträge fanden sie ihren neuen Besitzer, zu denen unter anderem viele amerikanische Präsidenten, der Papst und gekrönte Häupter aus aller Welt gehören. Wohin die Millionen verschwunden sind, das ist ein ungelöster Fall in Sachen Vereinigungskriminalität. Foto: Picture Alliance

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