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Nachhaltigkeit und Unternehmertum - Was Europa von Afrika lernen kann

Im sechsten Teil der Veranstaltungsreihe „Nachhaltig und gut?“ von Cicero und der RWE Stiftung ging es um Gesellschaft und Unternehmertum. Dabei wurde scharfe Kritik an der Entwicklungshilfe laut

Autoreninfo

Rotter, Timm

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Ob es die lokale Nähe war? Keine zwei Kilometer entfernt befindet sich auf dem Tempelhofer Feld eines der größten Flüchtlingslager Deutschlands. Oder die nachrichtliche? Wenige Stunden zuvor hatte der Bundestag mit großer Mehrheit dem Asylpaket II zugestimmt. Oder einfach die Herzens-Nähe, weil die Flüchtlings-Situation das Thema schlechthin ist, das uns zurzeit bewegt?

Welchen Grund auch immer es hatte, das Ergebnis war, dass erstmals eine Folge unserer Diskussionsreihe „Nachhaltig und gut?“ so richtig schief lief. Und zwar im positiven Sinne: „Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Unternehmertum“ hatte das Motto des sechsten Abends unserer Veranstaltung im EUREF-Campus Berlin-Schöneberg geheißen

Heraus kam allerdings eine 75-minütige Debatte zu Entwicklungshilfe im Allgemeinen und Afrika im Besonderen. Letzteres lag nahe, denn auf dem Podium saßen – neben Grünen-Mitgründer Lukas Beckmann und Reinhard Müller vom Mit-Gastgeber EUREF – zwei engagierte Afrika-Kenner: Sophie Eisenmann und Andreas Spieß. Eisenmann hat Yunus Social Business mitgegründet, eine Initiative zum Aufbau finanziell und sozial nachhaltiger Unternehmungen in Entwicklungsländern. Spieß ist CEO der Solarkiosk AG, einem Startup, das Photovoltaik/-Speicher-Module integriert in Kiosken im Fertighaus-Stil für Afrika produziert. Beide gingen mit der Entwicklungshilfe, wie sie heute stattfindet, hart ins Gericht: „Es hat sich als Trugschluss erwiesen, dass Schenken allein glücklich macht und langfristig hilft“, kritisierte Spieß die Idee, die Dritte Welt mit Geldspenden zu entwickeln. Und Eisenmann sagte: „Wir werden Afrikas Probleme nicht hier in Deutschland lösen können. Wir können nur helfen, dort Perspektiven zu schaffen.“

Beide Unternehmer tun genau das: Seine Solarkiosk AG habe schon 100 mobile Kioske zu fairen Preisen nach Ostafrika exportiert, erzählte Spieß. Sie verkauften in ruralen Regionen als Minisupermärkte Waren des täglichen Bedarfs und Produkte für die Energiewende vor Ort: PV-Paneele etwa, die Diesel-Generatoren ersetzen, oder effiziente Kochgeräte, die weniger Holzkohle verbrauchen und so der Entwaldung und Versteppung ganzer Landstriche Vorschub leisten. Letzteres ist eine große Gefahr: Afrikas Bevölkerung wird sich laut Spieß bis 2050 verdoppeln – entsprechend stark werde auch der Bedarf an Ackerland steigen.

Eisenmann ist unter anderem in Uganda aktiv. Dort habe Yunus einen Landarbeiter gefördert, der 2013 ein Geschäft als Honigfarmer aufbauen wollte, erzählte sie. „Doch es kamen so viele junge Leute zu ihm, die den gleichen Job machen wollten, dass er mit dem Imkern aufhörte. Stattdessen eröffnete er eine Schule, wo sie lernen, wie man Bienen pflegt und Honig verkauft.“ Robert, so heißt der Unternehmer, hat inzwischen mehr als 2.000 Imker ausgebildet und ein Netzwerk geschaffen, das ugandischen Landhonig bis nach Hamburg exportiert. „Genau darum geht es“, sagte Eisenmann. „Wir müssen Menschen Perspektiven geben – dass sie nicht mehr nur Europa als einziges Ziel sehen, um zu (über)leben.“

Dezentralität, Mut, Diversity – was Afrika besser macht als wir


Beckmann stimmte ihr zu: Um erfolgreich Entwicklungshilfe vor Ort zu leisten, müsse man in die Länder selbst gehen, mit den Menschen dort reden und von ihnen lernen. Denn sie wüssten mehr als viele europäische Experten „nach achtjährigem Fachstudium“. Der Ex-Politiker sparte eben auch auf dem Podium nicht mit Kritik an der – seiner Meinung nach so gar nicht nachhaltigen – Politik, wie er es schon zuvor im Interview getan hatte.

„Von Afrika lernen“, der Gedanke tauchte mehrmals auf an diesem Abend. Spieß etwa lobte (wie zuvor schon im Interview) die Chancen der Dezentralität und den Mut, Neues zu wagen. „Da ruft niemand eine Bürgerinitiative ein, die erst einmal alles hoch und runter diskutiert.“ Sogar in punkto Diversity könnten wir von Afrika lernen, so der Solarkiosk-Chef: 80 Prozent seiner Kioskbetreiber seien weiblich – ohne Frauenquote.

Szenenapplaus für Lukas Beckmann


Von Afrika lernen heißt zugleich, eigene Fehler zu erkennen – da waren sich die Diskutanten einig. Vor allem gelte das für die verfehlte Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte:

„Die afrikanische Kultur mit ihrer Nähe zur Natur ist das nachhaltigste, was es überhaupt gibt“, sagte Spieß. Es habe in Afrika keine Probleme gegeben, bis die Kolonialisierung eingesetzt habe. „Kaputt gemacht hat das alles unser globaler Kapitalismus – wir quetschen so lange aus, bis man es wegwerfen kann.“

Beckmann ergänzte: „Wir tragen die Verantwortung für die Lage. Afrika stünde ohne Zutun nicht so schlecht da wie heute.“ Das müssten wir hierzulande endlich offen ansprechen, sagte der langjährige Bundespolitiker und forderte: „Wenn man das nicht versteht, wird man weiter auf Afrika einprügeln, weil man nicht begreift, dass man im Endeffekt auf die Folgen unserer eigenen Wirtschaft und Politik einprügelt.“ Ein bemerkenswerter Satz, für den es auch – erstmalig bei „Nachhaltig und gut?“ Szenenapplaus gab.

„Eingeprügelt“ wird auf die Entwicklungsländer ja besonders oft beim Thema Energie und Klimawandel – etwa, wenn es darum geht, ob die Drittweltstaaten ein Recht haben, die gleichen Fehler wie wir zu machen und auf Jahrzehnte mit Autos und dreckigen Fabriken die Umwelt zu verpesten. Wirtschaftliches Wachstum jedenfalls könne man ihnen nicht verbieten, es sei sogar ein elementares Ziel in vielen Regionen, so Eisenmann. Und Beckmann forderte: „Wir selbst in den Industriestaaten sollten umsteuern und zugeben, dass wir Fehler gemacht und die Umweltverschmutzung verschuldet haben.“ Dann vielleicht fiele es den Menschen in Afrika auch leichter, einen anderen Weg einzuschlagen.

Und das wäre sehr im Sinne der Nachhaltigkeit.

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PS: Eigentlich sollte „Nachhaltig und gut?“ nun nach sechs Folgen enden. Über Nachhaltigkeit im Zusammenspiel mit Gerechtigkeit hatten wir vorher bereits diskutiert, auch mit Innovation, mit Bildung, mit Wachstumund mitPolitik. Allerdings, verriet RWE Stiftungsgeschäftsführer Stephan Muschick später, wolle man aufgrund der vielen guten Debatten nun noch eine dran hängen: voraussichtlich zu „Nachhaltigkeit und Energiewende“. Wir halten Sie hier und auf Facebook auf dem Laufenden.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog der RWE Stiftung.

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