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Deutsch-russische Beziehungen - Mit etwas Sekt versteht sich Putin leichter

CSU-Urgestein Wilfried Scharnagl plädiert für einen „anderen Umgang mit Russland”, versteht darunter aber nichts anderes als eine größere Sympathie für Wladimir Putin. Unser Autor Krisztian Simon war bei der Präsentation seines Buches

Autoreninfo

Krisztian Simon ist ein ungarischer Journalist. Er war Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung in Berlin. Zurzeit ist er unterwegs in Zentralasien.

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Noch nie hat sich ein Verleger so sehr darum bemüht, dass ich mich auf einer Buchpräsentation wohl fühle. Im luxuriösen Hotel Adlon in Berlin wurden Sekt und Wein ausgeschenkt, Bœuf Stroganoff serviert – und war das Kaviar im Salat? CSU-Urgestein und Russlandfreund Wilfried Scharnagl präsentierte sein neuestes Buch und plädierte zusammen mit seinen Gästen für einen anderen Umgang mit Russland. Später gab es ein Gratisbuch.

Neben Scharnagl, ehemaliger Chefredakteur des „Bayernkuriers” und früherer Vertrauter von Ex-CSU-Chef Franz Josef Strauß, war der 93-jährige Egon Bahr, Wegbereiter der Ostpolitik Willy Brandts, mit von der Partie. Natürlich durfte auch Matthias Platzeck, Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, nicht fehlen.

Die Teilnehmer verstanden sich glänzend. Sie waren sich einig, dass man, obwohl Putin kein „lupenreiner Demokrat” sei, die Annexion der Krim auf jeden Fall respektieren soll. Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland seien verfehlt, denn sie schadeten nicht nur einer großen Zahl von Familienunternehmen in Deutschland und Russland, sie ruinierten auch die hart aufgebauten deutsch-russischen Beziehungen. Natürlich ließen sich die derzeitigen Probleme nur zusammen und nicht gegen Russland bewältigen. Es sind die handelsüblichen Argumentationsketten, die der Gast dann auch im Geschenkbuch des Abends nachlesen durfte.

Eine fabelhafte Propaganda
 

Scharnagls Buch trägt den Titel „Am Abgrund. Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland” und ist ein fabelhaftes Propagandastück. Der Autor fordert nicht, dass die Leser in jeder Hinsicht die russische Meinung teilen, er wolle aber weg von der sogenannten „antirussischen Einseitigkeit”, die heute die öffentliche Meinung beherrsche.

Seine Position sieht er als eine Rückkehr in die Zeit der Wende, der Wiedervereinigung Deutschlands, in der die deutsch-russischen Beziehungen noch als Chance wahrgenommen worden seien. Möglicherweise möchte er damit beim Leser den Eindruck erwecken, die Wiedervereinigung Deutschlands habe viel mit der Rückkehr der Krim zur Russischen Föderation gemeinsam. Viele westliche Regierungen seien auch damals gegen die Änderung der Grenzen gewesen.

Im Hinblick auf mehrere Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte stellt er fest, friedliche Beziehungen zwischen Deutschland und Russland „gereichten beiden Völkern zum Segen”. Scharnagl hat natürlich Recht: Frieden und Harmonie sind besser als Krieg. Aber die Annahme, dass fast alle Probleme aus dem mangelnden Verständnis der russischen Angelegenheiten und der „russischen Seele” resultierten, ist auch bei der wohlwollendsten Deutung dieses Buches naiv. Es ist eben nicht so einfach zu übersehen, dass Russland Krieg gegen die Ukraine führt – auch wenn es das nicht offen tut.

Keine Alternative zu Putin?
 

Obwohl Scharnagl sagt, er möchte weg von den „Anti-” und „Pro-Putin“-Narrativen, wirkt sein Buch sehr einseitig. „Am Abgrund” ist eine selektive Aufzählung von putinfreundlichen oder sanktionsfeindlichen Meinungen. Einige basieren auf den Aussagen unbenannter Beobachter, andere stammen aus renommierten Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der New York Times. Darin können wir lesen, dass die Sanktionen ähnlich kontraproduktiv wirken, wie der Drohneneinsatz in Pakistan und sich daher als für den Westen „viel schädlicher herausstellen könnten als die Aggression des Kremls in der Ukraine". Diese Artikel werden in Länge zitiert, um zu zeigen, dass Russland als Partner viel mehr wert sei, denn als Feind, und die Sanktionen nur dazu führten, dass Russland China anstelle von Europa als Wirtschaftspartner bevorzugen werde. Er fügt hinzu, eine neue Führung in Russland könne nur schlechter sein als Putin.

Im letzten Kapitel des Buches fordert Scharnagl, die Sanktionen zu beenden und zu akzeptieren, dass die Krim nun Teil der Russischen Föderation sei. Sie sei 1954 von Nikita Chruschtschow, dem damaligen Generalsekretär der KPdSU, an die Ukraine verschenkt worden, ohne dass die dort Lebenden befragt worden wären. Jetzt aber hätten sich die Bürger für eine Rückkehr nach Russland ausgesprochen. Er vergisst: Die Unabhängigkeitserklärung hat unter den Bedingungen einer militärischen Besatzung und nach der Regie des Kreml stattgefunden.

Für die Ukraine sieht er die Lösung in einer föderalen Ordnung. Er verschweigt, wie kompliziert es sein kann, in einer Situation zu föderalisieren, in der die Beteiligten so unterschiedliche Vorstellungen haben. Und wer kann garantieren, dass ein Abkommen über die Föderalisierung der Ukraine wirklich umgesetzt wird? Wer kann wissen, ob wir Russland wirklich vertrauen können, wenn wir so tun, als sei in der Ukraine nichts Unrechtes passiert?

Scharnagl konzentriert sich lediglich auf das, was wir mit schlechten deutsch-russischen Beziehungen verlieren könnten. Er vernachlässigt aber das Leiden, das seit dem Maidan den Ukrainern zugefügt wurde – und wird wohl selber nicht daran glauben, dass Putin in Zukunft alle seine Probleme mit friedlichen Mitteln lösen wird. Scharnagls Vorschlag zu folgen, kommt einer Einladung an die russische Regierung gleich, ruhig weiter Unheil in der Welt anzurichten.

„AM ABGRUND. Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland“ von Wilfried Scharnagl, 2015, 186 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, Keyser Verlag.

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