- Der Gute-Laune-Bär und seine Show
Die Berlinale 2014. Am Donnerstag geht es los. Viele hochkarätige Stars sind wieder mit dabei. Das verdankt Berlin seinem Festivaldirektor Dieter Kosslick. Seine Charme-Offensive knackt jeden Star
Berlinale-Bashing geht immer. Ganz oben auf der Mecker-Skala: Das Wetter ist mies. Der Glamour-Faktor ist klamm. Kreischalarm heult sowieso nur selten auf. Alle Schaltjahre eine Madonna hier, die Stones dort oder irgendwann Brad Pitt - da donnert das Jahr über am Potsdamer Platz mehr Blitzlichtgewitter, wenn Hollywood, fast im Wochentakt, seine Stars im Privatjet ankarrt, um die Werbetrommel für aktuelle Kinostarts zu rühren. Bei Modefragen gilt dieses Festival allemal als traditionell graue Maus.
In Cannes muss Mann Fliege tragen - oder man fliegt unerbittlich vom roten Teppich. Derweil Madame den Aufmarsch gern als Laufsteg für luxuriöse Designer-Kleider samt sündhaft teurer Klunker nutzt. An der sonnigen Croisette führt eine lange Treppe empor in den Kinosaal, Polizisten in operettenhaften Gala-Uniformen stehen dazu Spalier und laute Musik dröhnt aus riesigen Lautsprechern.
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Im winterlichen Berlin führt der abschüssige Weg ins Erdgeschoss eines Musical-Theaters, das zu Festivalzeiten mit dem Namen „Palast“ prahlen darf. Am Eingang wartet Berlinale-Direktor Dieter Kosslick mit Schlapphut, rotem Schal und, wie er unlängst bekannte, in Thermo-Unterwäsche.
Kosslicks Charme-Offensive wirkt
Dass er programmatisch die Hosen herunterlässt, forderte vor drei Jahren der nationale Filmkritiker-Verband. Von tiefer Krise, schwachem Wettbewerb samt Dünnhäutigkeit des Impressarios war die Rede. Die aufgeregte Kritik der Kritiker-Funktionäre verpuffte relativ kläglich. Mit Asghar Farhadi, Béla Tarr und Wim Wenders waren im Quengel-Jahr gleich drei Regisseure des Bären-Rennens für den Oscar vorgeschlagen. Mit diesem kreativen Pfund kann ein Festival allemal wuchern. Bloßes Künstler-Glück für den Festivalleiter?
Keineswegs, Kosslick ist längst die Coca-Cola Formel der Berlinale. Seine Charme-Offensive knackt George Clooney (der diesmal mit „The Monuments Men“ vorbeikommt) ebenso wie Betonköpfe aus Nordkorea (die ihn in die Festival-Jury von Pjöngjang beriefen). Selbst das dänische enfant terrible, Lars von Trier, sonst ewig auf Cannes abonniert, konnte er mit dem skandalumwitterten „Nymphomanic“ nach Berlin locken - in vier Minuten war der Cineasten-Porno ausverkauft.
Mit den Entertainer-Qualitäten ist der unerschütterliche Gute-Laune-Bär konkurrenzlos im weltweiten Festival-Zirkus. Doch nicht nur die Show-Qualitäten des Chefs sorgen für das Berliner Alleinstellungsmerkmal. Seit der einstige Frauenbeauftragte von Hamburg und langjährige Filmförderungs-Funktionär anno 2001 den Chefposten übernahm, hat er der alten Festivaltante etliche Facelifts verpasst. Vom festivaleigenen Kindergarten bis zum klimaneutralen CO2-Fußabdruck. Von der Reihe „Kulinarisches Kino“ für Gourmets über den „Talent Campus“ für den Nachwuchs bis zum „Fliegenden roten Teppich“, der das Festival direkt in die Kiez-Kinos der Stadt bringt.
Specials für Berlin
In diesem Jahr sogar bis in den Knast. Mit 300.000 verkauften Eintrittskarten ist die Berlinale das größte Besucherfilmfest überhaupt. Mit seinem Budget von rund 19,5 Millionen Euro ist das zwölftägige Kultur-Ereignis längst zum Wirtschaftsfaktor geworden. Am cineastischen Geschmack von Mr. Berlinale mögen Zweifel berechtigt sein. Für einen fetten Star im Netz nimmt er bisweilen schwächliche Film-Sardinen als Beifang in Kauf. Für entgangene Weltpremieren, das Hallelujah aller A-Festivals, wurde eigens die Nebenreihe „Special“ erfunden, wo man notgedrungen die eitlen Exklusivitäts-Federn lässt, um populärem Star-Auflauf frönen zu können. Der clevere „Special“-Schachzug beschert dem Filmfest prompt die heißen Oscar-Kandidaten der Saison, von „The King’s Speech“ über „Les Misérables“ in den Vorjahren bis zum aktuellen „American Hustle“ samt Christian Bale und Bradley Cooper.
Die Kritik an der Choreografie seines Bären-Tanzes hat Kosslick sich gleichwohl zu Herzen genommen. Dass dem 65jährigen Berlinale-Boss künftig ein künstlerischer Leiter à la Cannes an die Seite gestellt werden könnte, schließt Kosslick keineswegs aus, wenn sein Vertrag in zwei Jahren ausläuft: „Die Doppelspitze ist kein Tabuthema – bis es so weit kommt, muss ich einfach doppelt spitze sein!“ Am frostigen Wetter und mangelndem Meeresblick wird sich freilich nichts ändern.
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