- Ein Leben mit der Bibel? Dschieses!
Amelie Fried fragt sich, ob es ihrer Gesundheit zuträglich ist, sich an Bibelworte zu halten
Man möchte ja gern alles richtig machen, und dabei soll angeblich die Bibel helfen. Leider kommt oft Unsicherheit ob der korrekten Exegese auf. Nehmen wir die Forderung, man solle nach dem Erhalt einer Ohrfeige die andere Wange hinhalten: Gerade hat mich jemand, den ich für einen Freund gehalten habe, um Geld betrogen. Muss ich ihm jetzt meine restlichen Ersparnisse auch noch schenken? Schließlich heißt es: „Wenn einer dir dein Hemd nehmen will, so gib ihm auch noch den Mantel.“ Das käme sicher sehr cool rüber, würde aber kaum dazu führen, dass ich mich besser fühle.
„Liebet eure Feinde und betet für alle, die euch hassen und verfolgen“, fordert Jesus in der Bergpredigt. Na, vielen Dank! Wenn’s nach mir ginge, könnten alle, die mich hassen und verfolgen, gern zur Hölle fahren – Freunde werden wir sowieso nicht mehr. Andererseits: Vielleicht ist die Hölle der viel interessantere Ort, und die größere Strafe wäre, sie in den Himmel zu beten. Bleibt die Frage, ob Gebete auch helfen, wenn man gar nicht gläubig ist?
Wir leben in einer Zeit des Positivterrors. Sogar vernünftige Leute glauben, man müsse nur positiv denken, dann würde alles gut. Man schickt sich keine herzlichen Grüße mehr, sondern „positive Energien“. Und alle sollen sich ständig versöhnen. Missbrauchsopfer mit ihren Peinigern. Israelis mit Palästinensern. In Syrien wurde sogar ein Minister für Versöhnung ernannt, der die Verfolgten des Assad-Regimes mit ihren Verfolgern versöhnen soll. Wer sich nicht versöhnen will, gilt als Querulant. Aber der Versöhnung muss Aufarbeitung vorausgehen sowie Einsicht und Reue des Täters. Einem uneinsichtigen Täter zu verzeihen, mag christlich sein und von menschlicher Größe zeugen, vernünftig im Sinne der Verbrechensprophylaxe ist es nicht.
Ich liebe gern und viel – warum soll ich nicht gelegentlich auch hassen? Und soll mir bloß keiner einreden, das sei schlecht für mein Seelenheil. Viel schlechter für mein Seelenheil ist, mich wie ein betrogener Idiot zu fühlen. Deshalb möchte ich mit manchen Menschen lieber ehrlich verfeindet als verlogen versöhnt sein. Gut gepflegte Feindschaften können einem übrigens fast so ans Herz wachsen wie Freundschaften – und gesundheitsfördernd sind sie auch: Der Zorn hält den Kreislauf in Schwung.
„Ihr aber sollt so vollkommen sein wie euer Vater im Himmel.“ Dschieses! Geht’s vielleicht eine Nummer kleiner? Ein Bild sollen wir uns nicht von ihm machen – aber so heilig sein wie er? Da halte ich mich doch lieber an den alten Haudegen Georg von Frundsberg: Viel Feind, viel Ehr. Schließlich habe ich genügend Facebook-Freunde.
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