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François Hollande - Wackelpudding mit der Anmutung eines Präsidenten

François Hollande ist mit großen Versprechungen gestartet. Nun ist der französische Präsident in der Wirklichkeit angekommen. Und die sieht weder für den Staatschef noch für sein Land vielversprechend aus

Autoreninfo

Johannes Willms ist Historiker und lebt als Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Paris. Er hat zahlreiche Werke zur deutschen und französischen Geschichte vorgelegt, darunter die Biografie „Napoleon III“ (C. H. Beck)

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Eine der Stärken von François Hollande ist, dass er stets von denen unterschätzt wurde, die sich selbst überschätzen. Das gilt zumal für die „camarades“, die Genossen in der Parti Socialiste (PS). Seit dem Parteikongress von Épinay 1971 ist die PS ein Zweckbündnis von nichtkommunistischen Strömungen oder Clans, das sich François Mitterrand zur Eroberung der Macht schuf. Diese Genese prägt die Partei bis heute und ist ursächlich für ihr strukturelles Manko. Das äußert sich vor allem im Führungsanspruch der einzelnen, als „Elefanten“ bezeichneten, Clanführer.

Hollande vermied es von Anfang an, sich einer dieser Strömungen anzuschließen. Stattdessen war er maßgeblich an der 1985 gegründeten parteiinternen Bewegung „Transcourants“ beteiligt, die die Clanwirtschaft der PS zu überwinden suchte. Bislang vergebens. Seine Weigerung, sich zu einem der Fähnleinführer zu bekennen, wurde Hollande damit vergolten, dass er nie ein Ministeramt erhielt. Andererseits erwies sich seine parteiinterne Bindungslosigkeit als ideale Voraussetzung für die Übernahme der Parteiführung. In dem Amt gelang es Hollande nicht nur, die Partei trotz zweier Niederlagen in Präsidentschaftswahlen und ihrem sehr enttäuschenden Abschneiden bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 2002 zusammenzuhalten, sondern ihr auch neue Siegeszuversicht einzuflößen. Die fand ihre Bestätigung darin, dass die Sozialisten bei allen seither stattgefundenen Wahlen kontinuierlich Stimmen hinzugewannen.

[gallery:Europäische Einigung]

Diese Erfolge lassen sich zwar nicht allein dem Parteivorsitzenden zugutehalten. Deshalb verraten sie auch nicht, ob Hollande mehr ist als ein blasser Parteisoldat mit der Anmutung eines Präsidenten des Drogistenverbands, der dank seiner stets freundlichen Zuvorkommenheit lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner der divergierenden Parteiströmungen verkörperte. Eben darauf stellt der häufig zitierte Spott des innerparteilichen Widersachers Arnaud Montebourg ab, der Hollande als „flanby“, als Wackelpudding, charakterisierte. Tatsächlich scheint die Fähigkeit, im politischen Geschäft Härte zu zeigen, nicht zu den hervorstechenden Charaktereigenschaften Hollandes zu gehören. Die aber wird er als Staatspräsident brauchen, wenn er das Amt für Frankreich erfolgreich ausüben will.

Von allen demokratisch legitimierten Staatschefs gebietet der unmittelbar vom Volk gewählte französische Präsident nach der Verfassung über die größte Machtfülle. So verfügt er über einen politischen Entscheidungsspielraum, der ihn von Parteien und Fraktionen unabhängig macht. Allein seine eigene Agenda und nicht ein Parteiprogramm oder gar ein Koalitionsvertrag ist die Vorgabe seines Handelns. Hollandes Wahlversprechen war ein Katalog von 60 Punkten, in denen allzu konkrete Festlegungen vermieden wurden. Außerdem enthielt dieses Dokument eine Reihe wohlfeiler Ankündigungen, die den Erwartungen der eigenen Klientel entsprachen, aber nichts dazu beitragen, der Frankreich drohenden Krise wirksam zu begegnen. Dazu gehört etwa die Einführung der Homo-Ehe, die Schaffung von Arbeitsplätzen für Jugendliche aus sozialen Brennpunkten auf Staatskosten oder die Einstellung von Lehrern, deren Mehrkosten durch nicht spezifizierte Einsparungen wieder ausgeglichen werden sollen. Anderes dürfte die Krise sogar verschärfen. Das gilt etwa für die Bekräftigung der Rente mit 60 oder der 35-Stunden-Woche, die ein riesiges Kontingent an Überstunden schafft, die abgefeiert werden müssen. Zu nennen wäre auch die unterdessen verabschiedete, auf zwei Jahre befristete Spitzensteuer von 75 Prozent, die 1500 Bezieher von Jahreseinkommen von über einer Million Euro trifft. Diese Steuer soll dem Fiskus 210 Millionen Euro im Jahr einbringen, wird aber einen noch weit größeren Schaden stiften, weil sie Spitzenverdiener aus dem Land treibt. Zu den wahrhaft politischen Mätzchen des frisch gekürten Staatspräsidenten gehörte auch die nur für die Dauer der Ferienzeit verordnete Senkung des Benzinpreises um sechs Cent pro Liter.

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All dies wie auch der unterhaltsame Zickenkrieg, den Hollandes derzeitige Lebensgefährtin gegen dessen Ex Ségolène Royal anzettelte, trugen dazu bei, dass der Popularitätsbonus des neuen Präsidenten schneller und tiefer abstürzte als bei jedem seiner Amtsvorgänger. Das ließe sich ja verschmerzen, wäre dieser tiefe Fall in der Publikumsgunst die öffentliche Reaktion auf die Ankündigung von „Blut, Schweiß und Tränen“ gewesen. Zumal sich die Perspektiven Frankreichs als sehr prekär darstellen.

Den Befund belegen einige Zahlen und Vergleiche. 1981, als François Mitterrand Staatspräsident wurde, herrschte Konjunktur, war das Haushaltsdefizit klein und belief sich die Staatsverschuldung auf lediglich 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Außerdem besaß Frankreich noch den Franc, das bedeutete, das Land konnte Wettbewerbsnachteile gegenüber seinen ausländischen Handelspartnern durch Abwertung seiner Währung, die Exporte verbilligte, Importe aber verteuerte, leicht ausgleichen. Heute ist dieser Ausweg durch die Zugehörigkeit Frankreichs zur Eurozone versperrt, das Wirtschaftswachstum tendiert gegen null und droht in eine Rezession abzukippen. Das Haushaltsdefizit beläuft sich für 2012 auf rund 4,7 Prozent und liegt damit noch immer deutlich über dem Limit von 3 Prozent, das für die Eurozone als verbindlich festgelegt ist. Auch die Staatsverschuldung hat stark zugenommen und beträgt jetzt mehr als 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Allein unter der Präsidentschaft von Hollandes Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy wuchs dieser Schuldenberg nach Angaben des Internationalen Währungsfonds um rund 500 Milliarden Euro und überschreitet jetzt die Marke von 1900 Milliarden Euro. Ein privater Haushalt oder ein Unternehmen wäre angesichts einer solchen Verschuldung pleite. Nicht aber ein Staat, der sich, je nach Kreditwürdigkeit, schier unbegrenzt frisches Geld besorgen kann, allerdings in aller Regel nur zu steigenden Zinsen, die ihrerseits die Schuldenlast zusätzlich vergrößern. Diese Regel gilt für Frankreich trotz der Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit durch zwei der drei großen Ratingagenturen noch nicht; das Land kann nach wie vor problemlos Kredite aufnehmen, deren Zinsen seit Hollandes Amtsantritt sogar gesunken sind und unterhalb der Inflationsrate im Euroraum liegen, die sich nach einer ersten Schätzung für 2012 auf 2,7 Prozent beläuft. Das kann sich jedoch plötzlich ändern, wenn die internationalen Finanzmärkte die wirtschaftlichen Aussichten Frankreichs als negativ bewerten.

Diesem Befund will Präsident Hollande zuvorkommen, indem er, wie von ihm angekündigt, binnen zwei Jahren Reformen verwirklicht. Davon ist bislang allerdings erst eine Maßnahme beschlossen worden: Die Unternehmen werden in den kommenden vier Jahren um 20 Milliarden Euro entlastet. Das soll Investitionsanreize schaffen. Problematisch ist allerdings die gewählte Form. Der Staat stundet ihnen Steuern, allerdings erst 2014 und mit einem großen bürokratischen Aufwand. Auch mittelständische Unternehmen sollen gezielt finanziell gefördert werden.

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Da aber die bloße Ankündigung noch keinen Wandel schafft, könnte sich die Zeitspanne von zwei Jahren als viel zu lang erweisen. Also gilt es, möglichst rasch umfassende und wirksame Reformen zu beginnen. Daran aber haperte es bislang entschieden, monierten zahlreiche Kritiker. Denen hielt Hollande bei der ersten Pressekonferenz seiner Präsidentschaft im November entgegen, Politik sei keine „Addition von Reformen, keine Buchhaltung von Versprechen, sondern eine kohärente Antwort auf die Erwartungen des Volkes“.

Damit beschrieb er die Programmatik wie die Krux seines künftigen Handelns als Präsident, seine Entschlossenheit, nur Veränderungen anzupacken, die wenigstens nicht allzu viele Wähler enttäuschen. Dem entsprechen auch die ersten Ankündigungen, die anmuten, als solle ein Buschfeuer mit der Gießkanne gelöscht werden. Das erinnert andererseits an jene homöopathische Therapie, mit der es Hollande als Chef der PS gelang, die Partei zum Erfolg zu führen und für sich selber die Präsidentschaft zu erobern.

Das rasch anwachsende Crescendo des Kritikerlärms, das seinen Vorgänger Sarkozy spürbar nervte und ihn zu einer stetig hektischeren Geschäftsführung provozierte, perlt an Hollande spurlos ab. Damit beweist er erneut die Stärke, die ihm die Präsidentschaft verschaffte, weil sie sich von der gleichermaßen ermüdenden wie erfolglosen Quirligkeit des Konkurrenten so deutlich abhob. Nicht weil sein Programm die Wähler überzeugte, wurde Hollande gewählt, sondern weil er ihnen verhieß, auch als Präsident „normal“ zu sein, sprich: freundlich, nett, berechenbar. Das und nicht das Versprechen auf wundersame Heilung aller Leiden Frankreichs war auch der Sinngehalt seines Wahlslogans: „Le changement, c’est maintenant“, unter dem man wohl einen Wandel verstehen soll, der sich über die gesamte Zeit seiner Präsidentschaft erstreckt.

Solche Gemächlichkeit verheißt nicht Revolution, mit der die Franzosen seit bald 225 Jahren reiche, aber auch sehr gemischte Erfahrungen gemacht haben, sondern behutsame Evolution, die als verständiger Geburtshelfer zu begleiten sich Hollande weder durch die Kritiker noch durch die Märkte stören lassen will. In diesem Vorsatz unterscheidet sich Hollande im Übrigen auch nicht allzu sehr von Angela Merkel, wie hierzulande gerne gemutmaßt wird, denn die behauptet ihre Macht keineswegs durch kühne Reformen, wegen deren Durchsetzung ihr Vorgänger das Amt verlor, sondern ebenfalls durch eine sich nach allen Seiten und Interessen absichernde Moderation.

Ob Hollande aber wie Merkel trotz aller Verbindlichkeit auch unnachgiebige Härte zeigen kann, muss sich noch erweisen. Einen ersten Test auf europäischer Ebene hat er jedenfalls nicht bestanden. Das von ihm im Wahlkampf wiederholt abgelegte Versprechen, Europa vor dem „Spardiktat“ zu retten, auf dem die deutsche Kanzlerin beharrt und das von ihr als Allheilmittel für die Eurokrise ausgegeben wird, hat er einfach kassiert. Stattdessen ratifizierte er den europäischen Fiskalpakt und irritierte so die Parteilinke. Möglich jedoch, dass das nur ein taktisches Zugeständnis war, um das Pulver vor der anstehenden wichtigeren Schlacht über die Verabschiedung des EU-Haushalts für die kommenden Jahre nicht zu verschießen. Fast die Hälfte der europäischen Haushaltsmittel kommt als Subventionen der Landwirtschaft zugute. In der rangiert Frankreich zwar in der Weltspitze, wird aber dennoch wie stets darauf beharren, auch weiterhin den größten Batzen der EU-Agrarmarktförderung einzustreichen. Merkel wird Hollande kaum etwas entgegenhalten können, denn der deutsche „Nährstand“ wird ebenfalls von den Brüsseler Subventionen bis zum Umfallen gemästet.

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Härte wird Hollande brauchen, wenn er die große Herausforderung seiner Präsidentschaft, die französische Wirtschafts- und Finanzkrise, meistern will. Hier plagt ihn allem Anschein nach ein Handicap, das er trotz seiner präsidialen Machtfülle nicht ignorieren kann: die französischen Sozialisten, die ihre ideologische, intellektuelle und strategische Neuaufstellung bislang vermieden haben, weshalb von ihnen jeglicher Marktliberalismus als kapitalistische Teufelei abgelehnt wird. Dieses Credo personifiziert in der Regierung ein junger Mann wie Arnaud Montebourg, der als „Ministre du Redressement productif“ ausgerechnet für die Rettung der französischen Wirtschaft und Industrie zuständig ist. Nicht nur marktliberale Hollande-Kritiker sehen in Montebourg den sprichwörtlichen Bock, der zum Gärtner gemacht wurde. So viel Rücksichtnahme auf den eigenen politischen Verein legt den Eindruck nahe, dass der Präsident noch immer von den therapeutischen Reflexen seines früheren Selbst als Parteichef geplagt wird.

Eine konsistente Antwort auf die Herausforderungen durch die Krise, der sich Frankreich gegenübersieht, beschränkt sich aber nicht nur darauf, das finanzielle und wirtschaftliche Soll und Haben auszugleichen; eine solche Antwort verlangt vor allem auch eine Redimensionierung, sprich: eine der Wirklichkeit entsprechende Schrumpfung des eigenen Selbstbilds. Frankreich ist eine europäische Mittelmacht, die sich aber immer noch gerne als Weltmacht geriert, ohne auch nur annähernd die Bedeutung oder die Mittel zu haben, diesem Anspruch Geltung zu verschaffen. Auch Hollande hat unlängst diesem Affen Zucker gegeben, als er eine Intervention im syrischen Bürgerkrieg aufwarf. Das aber sind nur Glasperlenspiele, von denen ein französischer Präsident traditionell nicht lassen kann. Anlass zu Bedenken gibt diese Haltung jedoch, projiziert man sie auf den Horizont der angestrebten europäischen Einigung. Die könnte schlicht daran scheitern, dass Frankreich kein Stück seiner Souveränität preisgeben will, weil diese mit dem Selbstbild der eigenen Größe identisch ist.

Eine andere, ebenfalls sehr schwierige Aufgabe, die sich dem Krisenmanagement Hollandes stellt, ist die Beschneidung des auswuchernden und seit langem eingelebten französischen Etatismus, der das reichlich prosaische Gerüst für das vielbewunderte Savoir-vivre ist. Weit mehr als in vergleichbaren anderen Ländern wird in Frankreich das Lebensglück des Einzelnen wie das Wohlergehen von Produktionszweigen, Gewerkschaften, Berufsgruppen, Familien, Verbänden und Vereinen durch staatliche Vorgaben und Transferleistungen beeinflusst und geregelt. Der Geldwert aller dieser zumeist als selbstverständlich betrachteten Aufwendungen summiert sich zu der wahrhaft immensen Staatsquote von rund 57 Prozent am jährlich erwirtschafteten Bruttosozialprodukt und schlägt sich nieder in einem riesigen Heer von Beamten – jeder vierte Erwerbstätige arbeitet für den Staat –, die mehrheitlich zu den treuesten Wählern der Sozialisten zählen.

Insbesondere das französische Sozialstaatsmodell gilt als unantastbar. Dessen Reform wird der Präsident den Franzosen geduldig als notwendige Voraussetzung dafür erklären müssen, wenn sie sich auch unter den Zwängen der Globalisierung das Savoir- vivre in Gallien bewahren wollen. Das verlangt gewiss viel Fingerspitzengefühl und auch eine Leidenschaft für Pädagogik. Eigenschaften, die man François Hollande eher zutrauen kann als reformerischen Willen. Den muss er erst noch beweisen.

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