- Das Männchen mit dem Perlenohrring
Perlenketten, zarte Armreife und Ohrgehänge: Die Feminisierung des Männerschmucks ist hierzulande eher keine Geste der Revolte, sondern der ideologischen Anpassung. Damit geht das subversive Potenzial der Mode verloren. Schade drum.
Der römische Dichter Statius (1. Jhd. n. Chr.) berichtet über eine Episode aus dem Leben des Achill, die sich bei Homer nicht findet. Demnach versteckte seine Mutter Thetis ihn schon als Kind bei den Königstöchtern des Lykomedes auf Skyros. Achill wurde als Mädchen verkleidet und nahm sogar den weiblichen Namen Pyrrha, die Rothaarige, an. Odysseus und Diomedes machten sich auf die Suche nach Achill und brachten Kleider, Schmuck und Waffen als Geschenke mit. Während sich die jungen Frauen vornehmlich für Schmuck interessierten, griff einzig Achill nach Schwert und Rüstung – und verriet dadurch sich selbst. Würden heutige Männer die gleiche Wahl treffen?
Immer häufiger tragen junge Männer Schmuck, der bis vor wenigen Jahren noch als explizit feminin gegolten hätte. Perlenketten, zarte Armreife und Ohrgehänge erfreuen sich neuerdings einer wachsenden Nachfrage unter der männlichen Kundschaft. Keineswegs auf die großen Städte beschränkt, ist dieses Phänomen mittlerweile weltweit zu beobachten, in Berlin ebenso wie in Bordeaux, Bern oder New York. Selbst im konservativen China weichen die modischen Stereotype auf. Schmuck, Parfum und Schminke sind die neue globale Dreifaltigkeit der Virilität. Männlichkeit – was soll das überhaupt noch sein? Eine blasse Erinnerung an Schweiß, schmerzhafte Initiationsrituale und ambivalente Verhaltensweisen.
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