- Schimmelpilz Massentourismus
Es ist das günstige, unkomplizierte, organisierte Vergnügen: Massentourismus. Wie ein Schimmelpilz breitet er sich jeden Sommer über die Strände dieser Welt. Doch diese Ballung laugt die Länder aus und aus dem fernen Osten drängt eine neue Sorte Touristen auf den Mark
Tausende Liegestühle überziehen den Strand. Auf ihnen schwitzen korpulente Urlauber, dicht gedrängt, wie Ölsardinen. Es sind Deutsche und Engländer, die warten, bis ihnen der Sonnenbrand von den entblößten Beinen den nackten Rücken hinauf kriecht. Die Restaurants servieren fettige Speisen, in den Läden gibt es chinesische Ramschware zu kaufen, und am Meer verteilen junge Frauen Werbung für die Happy Hour in der grell blinkenden Hotelbar.
Wie ein Schimmelpilz breitet sich der Massentourismus jeden Sommer über die Küsten des Mittelmeeres. Benidorm, Playa de Palma oder Antalya heißen die Destinationen der Begierde. Sechzig Milliarden Euro gaben die Deutschen letztes Jahr für Urlaubsreisen ins Ausland aus, aber auch im eigenen Land, beim Wandern in den bayrischen Alpen oder für einen Ausflug an die Ostsee. Sie suchen das günstige, unkomplizierte, organisierte Vergnügen.
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Auch dieses Jahr soll die Reisebranche wieder Rekorde brechen, trotz Finanzkrise und Arabischem Frühling. Eva Brucker ist die Studiengangsleiterin des Departements für Innovation und Management im Tourismus an der FH Salzburg. „Gerade im deutschsprachigen Raum haben wir eine hohe Beschäftigung, die Einkommen passen. Die Menschen möchten auch die Gegenwelt zu dem erleben, was sie täglich in der Zeitung lesen“, sagt sie.
Also bucht man sich für 281 Euro eine Reise nach Djerba, Tunesien, Frühstück und Buffet inklusive. Im Ferienparadies ist die Konkurrenz groß, die Hotelkomplexe und All-inclusive-Anlagen buhlen mit Schnäppchenpreisen um die Kunden. Die Zimmer sind uniform, in den Bars an der Strandpromenade spricht man Deutsch, das Bier ist billig. Der Kontakt zu den Einheimischen beschränkt sich auf das Bestellen im Restaurant.
Die Art und Weise, wie heutzutage gereist wird, ist vor allem eine Frage der gesellschaftlichen Schicht. „Wir beobachten ein Auseinanderdriften preisgünstiger Angebote in den touristischen Zentren und der Luxus- und Qualitätsorientierung, bei der Hotels abseits der klassischen Ziele gesucht werden“, so Brucker, „die Mitte fällt zunehmend weg.“ Die Armen drängen sich also an den Strand in Gran Canaria, während die Wohlhabenden im schicken Boutiquehotel an der Amalfiküste ihresgleichen begegnen.
Die Baleareninsel Mallorca, Heimatinsel der anspruchslosen Reisemasse, versucht seit einigen Jahren, die besser gestellte Kundschaft anzulocken. Alte Hotels werden abgerissen oder umgebaut, die Bettenzahl gesenkt. Die Tourismusforscherin aber ist skeptisch. „Es ist ein langwieriger Prozess. Die gut verdienenden Zielgruppen suchen individuelle, hochwertige Angebote. Es ist schwierig, das an einem touristischen Zentrum zu erreichen. Es ist ein riesiges Spannungsfeld“, sagt sie.
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Es ist fraglich, welche Überlebenschancen der Massentourismus hat, denn die Grenzen des Wachstums sind offensichtlich und auch die Ressourcen werden knapper. Die steigenden Ölpreise werden Flugreisen verteuern, in Zukunft werden es sich immer weniger Menschen leisten können, ins Ausland zu fliegen.
Die Ballung von Touristen an den prominenten Plätzen dieser Welt laugt das Land aus. So führt der exzessive Wasserverbrauch der Besucher in der Mittelmeerregion zu Wasserknappheit, wertvolles Wasser, das anschließend in der Landwirtschaft fehlt. Zersiedelung und Verstädterung strapazieren die Natur, Strände, Wälder – mit das teuerste Gut der Ferienparadiese. „Durch die Touristen verkitscht die Kultur der Einheimischen zunehmend“, sagt Eva Brucker. „Sie verliert ihre Authentizität.“
Die Zukunft der Reisebranche liegt laut Brucker in individuellen Nischenprodukten. Hotels für Singles, digitale Enthaltsamkeit im Kloster, Öko-Ferien auf dem Fahrrad. Soll der Massentourismus überhaupt überleben, muss er nachhaltiger werden. „Das ist eins der grundlegenden Themen der Reisebranche in den nächsten zwanzig Jahren“, so Brucker. „Wir achten auch im Alltag immer mehr auf Nachhaltigkeit, man denke nur an die Bioprodukte.“ Zwar seien die Deutschen noch nicht wirklich bereit, für einen fairen Urlaub mehr zu zahlen, „aber das wird zunehmen. Nachhaltigkeit ist die einzige Möglichkeit für den Massentourismus, auch in Zukunft zu überleben.“
Derweil drängen aus dem fernen Osten neue Touristen auf den Markt, die dem europäischen Massentourismus auf halber Strecke begegnen. In China und Indien entsteht eine gewaltige neue Mittelschicht, die es in die große weite Welt zieht. Sie hat Geld, die Zukunft ist rosig – und sie will Europa entdecken. „Diese Gruppen sind wenig umweltbewusst“, sagt Brucker. „Ihnen kommt es mehr auf das Luxuriöse an.“ Will Europa seine Kultur- und Naturschätze erhalten, „liegt es in der Verantwortung der europäischen Veranstalter, Umweltstandards zu setzen, mit den richtigen Zulieferern und Transportunternehmen zusammen zu arbeiten.“
Bleibt die politische Situation in den Schwellenländern stabil, wird Europa bald von asiatischen Touristen überschwemmt. Daran sollten wir beim nächsten Kluburlaub in Agadir denken. Lieber dem Kellner ein großzügiges Trinkgeld geben – in 20 Jahren sind wir vielleicht in seiner Situation.
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