Unruhen in Nordirland / picture alliance

Literarische Dystopie und Gesellschaft - Das Böse in der Welt

Dystopien halten der Gegenwart den Spiegel vor. Ob Krawalle in England, totale Überwachung in Paris oder Machtzerfall in Berlin: literarisch alles schon einmal dagewesen. Ahmt die Gesellschaft zuletzt doch die Kunst nach?

Autoreninfo

Dr. phil. Dominik Pietzcker studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik. Von 1996 bis 2011 in leitender Funktion in der Kommunikationsbranche tätig, u.a. für die Europäische Kommission, Bundesministerien und das Bundespräsidialamt. Seit 2012 Professur für Kommunikation an der Macromedia University of Applied Sciences, Hamburg. Seit 2015 Lehraufträge an chinesischen Universitäten.

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Schon Platon hatte in seiner „Politeia“ eine hinreichend klare Vorstellung über die Verteilung von Machtprivilegien in einem idealen Staat geäußert: die Besten (hoi aristoi) sollen über die namenlosen Vielen (hoi polloi) herrschen. Tugend – nicht Mehrheit – sei die Legitimation von Macht. Platon ist das seltene Beispiel eines Philosophen, der zudem die Gelegenheit hatte, als Berater eines Machthabers, des Tyrannen Dionysios II. von Syrakus, die eigenen politischen Ideen aktiv ins Werk setzen zu lassen. Mit verheerendem Erfolg: Dionysios starb nach erbitterten Kämpfen im Exil, Platon kehrte mittellos und entehrt nach Athen zurück.

Die Herrscher wechseln, und lediglich die Plebs überlebt die wechselhaften Zeitläufte. Nur in revolutionären Ausnahmesituationen gelang es Intellektuellen, als Philosophenkönige auch die Macht an sich zu reißen: Calvin und Cromwell, Robespierre und Saint-Just, Lenin und Trotzki, D’Annunzio und Mussolini gehören zu diesem zumeist blutrünstigen und brutalen Typus, jederzeit bereit, Menschenopfer auf dem Altar politischer Ideen zu erbringen. Entsprechend mörderisch fällt ihre Bilanz aus.

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Dorothee Sehrt-Irrek | So., 11. August 2024 - 09:34

manchmal von der Kunst ff. getriggert, manchmal aber auch "erlöst".
Da aber ein Künstler nicht unbedingt des Politischen mächtig ist, hält dann Ernst Jünger evtl. zunächst Adolf Hitler für denjenigen, der die Welt vor dem Chaos rettet und Ordnung stiftet? Wie vermutlich viele im In- und Ausland?
Man kann auf Chaos und Unruhen aber auch ganz anders schauen und entsprechend andere Lösungen anbieten.
Nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung ist in England auf der Strasse.
Gleichwohl bedarf es einer gesellschaftlichen Instandsetzung/Befriedung, die Starmer liefern will.
Die Drogen sind evtl. ein Missverständnis, wie es die Antidepressiva sind.
Zuletzt verstärken sie, was sie lindern sollen?
Das Problem von Wissenschaftlern, Künstlern und Politikern, Theologen ist vielleicht derzeit, dass keiner von ihnen weiss, was geschieht, geschehen wird?
Angst und Unsicherheit, aber auch Angst und Krawall sind koinzidiert.
"Jesus schläft, was kann ich hoffen?"
Gibt es noch Gottvertauen?
Schwierig..

gibt es in so gut wie nicht mehr in Europa, vielleicht noch teilweise in den USA, wo Religion immer noch einen hohen Stellenwert hat. Und das ist gut so. Früher waren die Herrscher Despoten von "Gottes Gnaden", das kann man auf jeder Münze, die damals geprägt wurden lesen; sie umgab deshalb eine unantastbare Immunität. Heute sind Politiker reine Karrieremenschen, Opportunisten und Stimmenfänger. Es geht immer um Mehrheiten und Massenpsychologie. Das Problem ist nur: Die Intelligenz der Masse ist ziemlich niedrig. Oder wie der Schweizer Arzt und Tiefenpsychologe C.G. Jung meinte: Die Masse habe die Intelligenz eines Reptils.

Volker Naumann | So., 11. August 2024 - 10:11

Diese Antwort der "Ersten Allgemeinen Verunsicherung" beantwortet alle Fragen.

MfG

und überall"!
Das "Böse" bedarf großer Anstrengung, weshalb man im Sprachgebrauch wahrscheinlich auch "Hass" und "häßlich" annähert .
Christus war kein Loser, was das Christentum aber nicht von schwerwiegenden Fehlern abhielt.
Ich verstehe beides, die Träume von vielfältigen Gesellschaften, wie die Wut über den Mord und würde nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Starmer wird mehrgleisig fahren, wenn er ein kluger Politiker ist.
Wenn Probleme sichtbar werden, sollte man nicht anfangen zu predigen oder zu strafen, sondern differenzieren, eindämmen und dann aufarbeiten.
Der Hintergrund der Tat muss nicht islamistisch sein, er kann auch autochthon sein, aus Stammesgesellschaften oder fundamentalchristlich.
Er kann aus Wut über die Freude anderer oder aus eigener Verzweiflung geschehen.
Zuletzt wird evtl. wenig wirklich "Böses" übrigbleiben, die Tat selbst bleibt furchtbar.
Ich bin in meinem Leben nur wenig "Bösem" begegnet, davon kann ich viel mit meinen Fehlern verrechnen.
Was tun?

Rainer Mrochen | So., 11. August 2024 - 10:57

Real ist was der Mensch von der Vergangenheit weiss, in der Gegenwart erlebt und sich als Zukunftsprojektion(en) auszumalen versucht. Die nahe Zukunft gestaltet sich unmittelbar aus gegenwärtigen Entwicklungen, während die ferne Zukunft sowohl als Utopie wie auch als Dystopie gedacht werden kann. So gesehen meine ich das zukünftige Entwicklungen einfach determiniert sind. Entwicklungsstufe folgt auf Entwicklungsstufe ohne dabei jedoch Unvorhersehbares zu berücksichtigen. Zufälle die schicksalhafte Entwicklungen verursachen, Paradigmenwechsel die ein schlagartiges Umdenken erfordern, lassen die fernere Zukunft dann doch eher unbestimmt erscheinen. Science Fiction, auf Basis des jeweiligen Status Quo, lässt mögliche Entwicklungen erahnen. Science Fiction auf Basis eine fernen Zukunft, bleibt reine Hypothese, selbst wenn auf rein wissenschaftlich und historischer Basis argumentiert wird. Die Erfahrung wenige Dinge (wirklich) zu wissen und viele Dinge nicht zu wissen ist sehr ernüchternd.

Jens Böhme | So., 11. August 2024 - 11:31

Dystopien sind Phantasien, die, mit realen Beobachtungen und entsprechenden Deutungen gespeist, verarbeitet werden. Die Aufzählung der literarischen Dystopien ist im Artikel unvollständig. Alles ist in der Natur möglich, nichts in Stein gemeißelt. Der "Planet der Affen" bleibt vorstell- und umsetzbar.

Detlef Beck | So., 11. August 2024 - 17:15

aber einst behauptete jemand, dass Klassenkampf die Lokomotive der Geschichte sei, bzw. dass die Geschichte der Menschheit die Geschichte von Klassenkämpfen ist, oder so ähnlich.

Karl-Heinz Weiß | So., 11. August 2024 - 19:12

Die Gleichsetzung der "gebrochenen Welterfahrung " von Orwell und Jünger erscheint mir wenig zutreffend. Denn die Sympathie Jünger‘s für den Faschismus sollte nicht unterschlagen werden, wenn diese beim elitären Jünger angesichts dessen Protagonisten vielleicht auch "klammheimlich“ war.