- Queere Aneignung
In dem semifiktionalen Dokumentarfilm „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ wird der Jahrhundertautor zum Produkt queerer Fantasien. Die hier behauptete Übereinstimmung zwischen Mann und seiner Romanfigur Felix Krull ist an den Haaren herbeigezogen.
„Im Garten. Münchner Kellner. Hübsch.“ Thomas Manns homoerotische Neigung ist kein Geheimnis. Erahnen konnte man sie bereits zu Lebzeiten in Werken wie „Tonio Kröger“ oder „Der Tod in Venedig“. Doch spätestens seit Erscheinen seiner Tagebücher Ende der 1970er Jahre war die Sache klar. Sie waren eine Art postumes Coming Out. Mann verfasste die Aufzeichnungen im Wissen der Veröffentlichung. Sie erschütterten die steife, bürgerliche Fassade, die der Literaturnobelpreisträger jahrzehntelang aufrechthielt. Der Leser erfährt hier auf teils drastische Weise intime Details zu depressiven Phasen, Verdauungs- und Erektionsproblemen sowie zu Manns homosexuellen Gelüsten. Seinen Trieb verurteilte der Autor stets als Schwäche und Versagen.
Ein Ausleben seiner wahren Sexualität blieb Thomas Mann nicht vergönnt. Mögliche Liebschaften, insbesondere in der Jugend, sind reine Spekulation. Vor dem rechtlichen Hintergrund der damaligen Zeit ist Manns Entscheidung für ein Leben in geordneten Bahnen als Ehemann und Familienvater einleuchtend. Der im Deutschen Kaiserreich eingeführte Paragraf 175 stellte „widernatürliche Unzucht“ unter Männern unter Strafe. Stattdessen widmete Mann all seine Energie dem künstlerischen Schaffen. Die Familie, allen voran Gattin Katia und Tochter Erika, unterstützte ihn dabei nachhaltig.
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