- Computer machen dumm und das Leben endet tödlich
Mit nichts lässt es sich momentan so schön gruseln wie mit der Angst vor allem, was irgendwie digital ist. Der Gehirnforscher Manfred Spitzer hat deswegen sein neues Buch “Digitale Demenz” genannt. Doch statt auf weniger käme es auf besseren Umgang mit Computern an
Sport macht krank! Die Zahl der jährlichen Sportverletzungen, Unfälle und dauerhaften Beschädigungen geht in die Millionen. Lassen Sie es also lieber sein. Bitte ebenfalls auf die rote Liste setzen: Fernsehen (macht dumm). Autofahren (macht aggressiv). Schokolade (macht zwar angeblich glücklich, aber mindestens genauso dick und zudem noch Krebs, so wie gefühlt jedes zweite Lebensmittel). Und wenn wir es zu Ende denken, sehen Sie doch bitte gleich vom Rest Ihres Lebens ab, weil es voller ungeahnter Risiken ist und es sich zudem dann auch noch um einen hochpragmatischen Ansatz handelt: Nachdem es erwiesenermaßen tödlich endet, kann man es irgendwie ja gleich bleiben lassen.
Polemischer Unsinn, Schwarzmalerei? Wenn Sie das jetzt gedacht haben, herzlichen Glückwunsch: Sie haben selbstverständlich Recht. Es ist ziemlich absurd, von Dingen immer nur das Schlimmste zu erwarten und es ist noch absurder, einzelne Dinge oder Handlungen pauschal für irgendwas zu verantworten. Dennoch erlebt der deutsche Gehirnforscher Manfred Spitzer zur Zeit einen beachtlichen Hype. Dabei tut er nichts anderes als: Computer pauschal für irgendwas zu verantworten. Computer machen doof, lautet seine – zugegeben – stark verkürzte These. Weil es sich aber bei dem Computer- und Internetthema so nett gruseln lässt und den meistens von uns diese Kiste, vor der sie und vor allem ihre Kinder so oft sitzen, dann doch etwas unheimlich ist, steigt man ein in Spitzers Geisterbahn, an deren Eingang ein Titel prangt, der die Fahrt gleich noch ein bisschen unheimlicher macht: Digitale Demenz! Nicht nur eine hübsche Alliteration, sondern auch noch eine, die zwei Gruselbegriffe zusammenwirft: Digital! Demenz! Wer da nicht Angst bekommt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Nicht besonders originell
Spitzer bedient einigermaßen geschickt die digitalen Urängste einer analogen Generation, der letzten vermutlich. Man begreift das alles, was da passiert, nicht so wirklich, man arrangiert sich lediglich irgendwie. So, wie das schon bei unzähligen anderen Dingen war, der Elektrizität, dem Auto und dem Dampfradio. Die Masse misstraut der Neuerung und irgendwo findet sich sicher jemand, der einen Beleg dafür findet, dass das Neue auch gefährlich ist.
Besonders neu und originell ist das nicht, im Gegenteil. Schon FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher schrieb in seinem Buch “Payback” leicht alarmistisch, dass sich das Hirn irgendwie negativ verändert, wenn man viel am Computer sitzt. Das war schon damals nicht sonderlich originell und einen Beleg für die Schädlichkeit von Netz und Computer blieb Schirrmacher in seinem gesamten Buch schuldig. Jetzt kommt Spitzer, der selbst Wissenschaftler ist – und gibt dem Schirrmacher-Feuilleton eine Turnvater-Jahn-Komponente hinzu: Wer nicht ausreichend trainiert, der verliert seine Fähigkeiten. Da hat Spitzer durchaus Recht, Sätze dieser Güte stehen übrigens in jedem “In zehn Schritten zu...”-Ratgeber. Aber wenn er schon Turnvater spielen will: Jeder gute Sportler weiß, dass er am besten die Fähigkeiten trainiert, die er für seinen Wettkampf braucht. Es ist also per se noch überhaupt kein Wert, wenn ich mir Telefonnummern merken kann, wenn es dafür inzwischen ausreichend digitale Speicher gibt, die mit zwei Fingertipps eine direkte Anwahl des gewünschten Gesprächspartners ermöglichen. Sich eine zehn- oder zwölfstellige Zahl merken zu können, ist demnach ein nettes Gimmick, mehr nicht – weil man es schlichtweg nicht mehr braucht.
Warum die Kulturpessimisten Unrecht haben
Der entscheidende Fehler in dieser ganzen Demenz-Debatte für Gehirnforscher und Feuilletonisten: Die Spitzers und Schirrmachers übersehen, dass anstelle dieser Fähigkeit (sich beispielsweise lange und per se sinnlose Zahlenketten merken zu können) eine andere rückt, nämlich der Umgang mit einer digitalen Technik. Ist es schlimm, wenn man weiß, wie man sich Wissen besorgen kann (nämlich über Google)? Natürlich nicht. Das ist in etwa so, als würde man dem Brockhaus vorwerfen, den Menschen zu verdummen. Die Einordnung, das Begreifen, das Ziehen der richtigen und manchmal eben auch falschen Schlüsse, das nehmen auch das Netz und der Computer dem menschlichen Hirn nicht ab. Es ist nur eine andere Kulturtechnik, die übrigens so viel Zugriff auf Wissen wie noch nie erlaubt. Das wird bei den Argumentationen der Kulturpessimisten übrigens gerne mal verschwiegen, wiewohl sich der Verdacht aufdrängt: Neben dem Kulturpessimismus sind auch andere Faktoren mit im Demenzspiel, Dünkel beispielsweise. Letztendlich ist das die Sorte Argumentation, die einem Buch abspricht ein Buch zu sein, nur weil es nicht gedruckt, sondern in einem Reader erscheint. Die Sorte übrigens, die auch findet, dass Fernsehen dumm macht und gleichzeitig, paradox genug, darauf verweist, keinen Fernseher zu besitzen.
Und er bedient noch ein anderes, sehr schlichtes Gefühl: Nostalgie. Natürlich sind solche Kisten und solche Netze schon toll, denkt sich der analoge Normalverbraucher, man kann das ja nicht leugnen. Trotzdem sehnt er sich insgeheim zurück in die Zeiten klappernder Schreibmaschinen und ordentlicher Bücherregale und mausgrauer Leitzordner, weil man einen solchen Ordner anfassen kann und ihn sich nicht als zwar anwesendes, aber irgendwie doch nicht existierendes Etwas auf dem Desktop vorstellen muss. Früher war alles besser, denkt der geplagte Analoge und ist deswegen glücklich, einen Schuldigen gefunden zu haben. Computer sind doof! Und machen doof!
Wir bauen Häuser und dann bauen die Häuser uns. Das alte Churchill-Bonmot bedeutet auf die heutige Zeit umgesetzt: Anpassung an Technologien, das war schon immer so, mit jeder neuen Kulturtechnik mussten Menschen Strategien entwickeln, wie sie mit ihnen umgehen und sie nutzbar machen wollen. Schön wäre es also irgendwie, wenn die ganzen klugen Köpfe und die Forscher Deutschlands ihre noch nicht deformierten Hirne nutzen würden, um sich ein paar Gedanken zur Entwicklung von Kompetenz, Strategie und Innovation machten. Es kommt nicht darauf an, den Umgang mit Computern und mit (digitalen) Medien zu reduzieren, ihn an Alters- oder Zeitbeschränkungen zu binden. Sondern darauf, statt von digitaler Demenz zu sprechen den digitalen Graben einer modernen Gesellschaft wenigstens teilweise zuzuschütten.
Wenn nicht, dann müssten wir an dieser Stelle auch mal darüber debattieren, ob nicht Bücher- und Zeitunglesen irgendwie doof machen kann.
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