- Auf der Bühne böse, raffiniert und fatalistisch
In Berlin fühlt sich die Mezzosopranistin Magdalena Kožená wohl. Warum sie dennoch mährisch kocht und mit ihren Söhnen Tschechisch spricht. Ein Portrait
Wer liest denn heute noch Jaroslav Hašek. Wer kennt denn heute noch seinen Antihelden, den braven Soldaten Schwejk? Muss man nicht kennen, sagen einige. Sollte man aber kennen, um die Mezzosopranistin Magdalena Kožená zu verstehen, die mit Schwejk nicht nur die Heimat teilt.
Sie komme leicht und biegsam daher, hat einer ihrer Liebhaber gesagt, sie schwitze nicht und trotzdem sei sie böse – böse, raffiniert und fatalistisch. So Nietzsche über Georges Bizets „Carmen“. Auch die Kožená kommt leicht daher, biegsam und höflich. Sie schwitzt nicht. Sie hat gerade ihre morgendlichen Yogaübungen hinter sich. Am Abend, auf der Opernbühne, ist sie dann böse, raffiniert und fatalistisch. Die Callas, die Bumbry, die Baltsa: Sie ließen als Carmen die Bretter beben. Als Frauen, die glühten. Magdalena Kožená bleibt ein kühles Mädchen. Grausam kühl. Das Schwarz-Rot der Leidenschaft bleibt in ihr drin. So wie sie das in sich verschließt, wonach die öffentliche Neugier giert: Wo der Coup de foudre sie und ihren Mann Simon Rattle traf, den Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Wer meint, die Kožená sei so übersichtlich wie ihr ebenmäßiges Gesicht, ist auf dem Holzweg.
„Ich fühle mich wohl in Berlin“, sagt sie plötzlich. „Aber mir fehlt meine Heimat.“ Viermal im Jahr reist sie nach Brünn, wo sie geboren wurde. In Berlin kocht sie mährisch. Mit ihren beiden Söhnen spricht sie ausschließlich Tschechisch. „Und ich bestehe darauf, dass sie auch auf Tschechisch antworten“, sagt sie. „Da bin ich streng.“ Sie weiß warum: Nur dann werden Jonas und Miloš verstehen, was ihre Mutter vermisst, wenn sie nicht in ihrer Heimat ist: den tschechischen Humor. Wie der ist? „Rabenschwarz“, lächelt Kožená.
Die Literatur des Nachbarlands und seine Musik bieten beste Möglichkeiten, es kennenzulernen. Antonín Dvorák und Leoš Janácek, Bohuslav Martinu und Bedrich Smetana, Milan Kundera und Franz Kafka. Wem bei diesen Namen etwas anklingt, weiß: Die Lebenslust in Prag, Brünn und dem umgebenden Land verbirgt Nachdenkliches, Melancholisches, Nächtliches. Außen hell, innen dunkel – das gilt wohl auch für Magdalena Kožená. Das Helle verkauft sich so gut wie ihre lichte Schönheit. „Love Songs“ und „Lettere amorose“, frühbarocke Liebeslieder, hat sie eingespielt, Händels Oper um das berühmteste Liebespaar der Antike, „Paride ed Helena“ und Liebesarien von Vivaldi. „Love and Longing“ steht auch auf der neuesten CD. Doch die Orchesterlieder, die sie hier eingesungen hat, begleitet von den Berlinern unter ihrem Ehemann, erzählen nicht von Liebesglück. Maurice Ravels „Scheherazade“, Antonín Dvoráks „Bibellieder“ und Gustav Mahlers „Rückertlieder“ sind dunkel, verschattet von Unerfülltheit und Angst, von Schmerz und Verzicht. Nur manchmal leuchtet darin Hoffnung auf.
„Der schwarze Humor war in meiner Heimat notwendig, um zu überleben“, erzählt Kožená, die in einer sozialistischen Welt der Unterdrückung groß wurde, als Tochter einer Biologin und eines Mathematikers. „Der Humor und die Traditionen, die haben uns gerettet. Die heimatlichen Lieder, die heimischen Wälder, Gerüche, Geschmäcker und Feste.“ Die sinnliche Gegenwart. Die Lebensfreude des Trotzdem. „Darin sehe ich den Sinn meiner Arbeit“, sagt sie. „Für ein, zwei Stunden meine Zuhörer eng und froh mit dem Hier und Jetzt zu verbinden. Ich kann durch Musik nicht die Welt verändern. Aber die Welt setzt sich aus kleinen Dingen zusammen. Und an diesen kleinen Dingen setze ich an.“ Auch deshalb hilft ihr der tägliche Yoga. „Das trainiert, ganz in der Gegenwart zu leben.“
Gepriesen wird an der Kožená die Intelligenz des Herzens. Dass sie emotional singt, nie sentimental und auf das verzichtet, was der einzigartige Stimmenkenner Jürgen Kesting vokalen Mummenschanz nennt. „Das ist ein Geschenk. Lernen kann man es nicht“, sagt sie. „Jeder hat Gefühle, aber davon zu erzählen, erfordert nicht Technik, das erfordert Mut. Den Mut, auch Schwäche zuzugeben.“ In der Musik, sagt sie, könne sie alles mitteilen. In dem Tschechien ihrer Kindheit und Jugend wurde es gefeiert, wenn irgendwer ein Netz Orangen ergattert hatte. Es wurde nicht gehortet, es wurde geteilt. „Die Fähigkeit zu teilen“, meint Kožená, „ist die Voraussetzung, um sich, um etwas mitzuteilen.“
Nicht was, sondern wie die Kožená singt, verrät ihre Bereitschaft, sich Gefühlen auszuliefern, auch und gerade den negativen. „Allen Zweifeln, vor allem. Denen an der Zukunft unseres Planeten und denen an mir selbst.“ Doch auch auf diesem schmalen Grat stürzt sie nicht in die Verzweiflung ab. Nirgends wird das deutlicher, als wenn sie Mozart singt, der, wie sie sagt, die Mitte ihres musikalischen Lebens bilde. An der Wiener Staatsoper wird sie diesen Monat erstmals den Sesto in „Clemenza di Tito“ singen. „Mozart ist so schwer, weil er so einfach wirkt“, sagt sie. Und weil er unter einer lichten, leuchtenden Oberfläche das Dunkle verbirgt. Don Alfonso, den Philosophen in Mozarts „Così fan tutte“, für viele Kenner dessen tiefste Oper, können wir vielleicht auch nur verstehen, wenn wir seinen dunklen Humor als das erkennen,was er ist: ein Überlebensmittel.
„Ich habe Selbstmörder sehr gern“, sagt Schwejk zu einem Mitgefangenen, der sich erhängen will. „Also nur lustig ans Werk.“ Die Kožená kann darüber lachen. Und die Kožená kann Mozart singen wie kaum eine andere.
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