- Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt
Er malte die „Gesichter einer Epoche“, der Aufklärung. Anton Graff ist nun eine Ausstellung in der Berliner Alten Nationalgalerie gewidmet
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Vertieft ins unverwandte Herschauen, die Augen ruhig auf sein Gegenüber geheftet: So haben Anton Graff an die tausend Menschen erlebt, die dem Schweizer Maler am sächsischen Hof für ein Porträt Modell saßen. Graffs Schwiegervater und Winterthurer Landsmann, der Philosoph Johann Georg Sulzer in Berlin, hatte einigen Sitzungen beigewohnt; er berichtet, dass manche den Blick kaum ertragen konnten. Hier sehen wir den Porträtmaler, wie er diesen Blick auf das eigene Bild im Spiegel richtet. Er steht, 50-jährig, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn.
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Ein Jahr, nachdem dieses Bildnis entstand, versuchte der preußische Hof, Graff mit der Aussicht auf ein Jahresgehalt von 1200 Talern nach Berlin zu locken; doch Dresden erhöhte das Gehalt des Umworbenen und verlieh ihm eine Professur an der Königlichen Akademie. In der Residenzstadt an der Elbe gab sich eine internationale Kundschaft aus Russland, Polen, Frankreich und Großbritannien ihr Stelldichein. Graff malte Vertreter des Adels und des Bürgertums, die Geistesgrößen seiner Zeit, aber auch Bildnisse wie das von Johann Samuel Nagel, dem Markthelfer des Leipziger Verlegers Philipp Erasmus Reich.
Der bescheidene Angestellte wird mit derselben Aufmerksamkeit geschildert, die der Künstler bei der Selbstbeobachtung an den Tag legt. Überhaupt sind Graffs beste Bildnisse jene, wo Standesmerkmale keine Rolle spielen oder wo Autoritäten auftreten, die auf ihre Insignien im Porträt verzichten, um sich als Aufklärer in Szene zu setzen, allen voran König Friedrich II. von Preußen. Es ist das populärste Bildnis von Graff. Zweimal war das Brustbild Vorlage für eine Sonderbriefmarke der Deutschen Post. Als Siebdruck von Andy Warhol fand Graffs Kunst Eingang ins Popzeitalter.
Auch unser aller Bild von Friedrich Schiller stammt von Anton Graff. Durch Nachstiche ist der Dichter mit dem offenen Schillerkragen, ungebändigt blondem Haarschopf, die Wange in theatralischer Nachdenklichkeit auf die linke Hand gestützt, ins kollektive Gedächtnis eingewandert, während der Ruhm des Winterthurer Meisters verblasste.
Zu Lebzeiten war Anton Graff ein klingender Name. Neben seinen Malerkollegen malte er Bühnenheldinnen und -helden wie Esther Charlotte Brandes, August Wilhelm Iffland und Gertrud Elisabeth Mara, Primadonna der Berliner Oper. Er malte Philosophen und Dichter wie Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder, Moses Mendelssohn, Christoph Martin Wieland und Dorothea Schlegel. Graff malte die Persönlichkeiten, die das soziale Netz der Aufklärung in Gang hielten wie Henriette Herz, in deren Berliner Salon sich Geld und Geist zusammenfanden, oder Christoph Friedrich Nicolai, dessen Verlag intellektuelle Streitkultur verbreitete. Nicht aufzählen können wir die Bildnisse der Prinzen und Könige von Sachsen und Preußen.
Vor uns sehen wir jetzt den Künstler, dem all die Genannten gesessen haben. Aus Graffs schlichtem Hausrock blitzt, fast etwas nachlässig, eine Spitze der weißen Halsbinde. An Rembrandt, dessen Werke der Dresdener Galerie ihm gut bekannt waren, schätzte unser Maler besonders die Art, wie sich das Bedeutsame im Bildnis – Kopf und Hand – aus monochromer Dämmerung ins Helle ringt.
Akademien hat Graff keine besucht. Zielstrebig ließ er sich in Augsburg zum Porträtisten ausbilden. Fleiß war gefragt, nicht Genie. Das gewerbsmäßig-nüchterne Verhältnis zur Malerei hat sich zum künstlerischen Blick geläutert, der die gezierte Standesgebärde des Rokoko durchbricht. Größte Aufmerksamkeit schenkt Graff der Wiedergabe der Augen: Sie bilden die Seele, die den physiognomischen Leib zusammenhält. Ihre Lebendigkeit verdanken sie den weißen Lichtern, die der Iris aufgesetzt sind. Der Glanz der Augensterne verklärt die besonderen Charaktermerkmale zur Idee der individuellen Würde jedes Menschen. Graffs Geheimnis besteht darin, die Augen der Porträtierten leicht vergrößert zu malen. Es entsteht eine Wirkung wie in den hellenistischen Mumienporträts von Fayun, die uns mit hellwachen Augen ansehen, als seien die gemalten Gesichter von den Toten schon wieder auferstanden.
Für diese Kolumne wählte ich aus den rund 80 Selbstporträts von Anton Graff das unbekannteste. Der Künstler wiederholte dieses Werk gleich zweimal und ließ es mit seiner Unterschrift gar in Kupfer stechen. Es galt ihm offenbar als Programmbild an Schlichtheit. Es streift alles Spektakuläre ab bis auf die Wurzel des Begriffs: Nicht Spectaculum, sondern speculum, ein Spiegel, soll das Bildnis sein. Das Selbstporträt ist eine strenge Gattung, die das Betrachten in ein Spiegelverhältnis bringt, wo dir ein Ich als Du auf Augenhöhe begegnet.
Das Magazin Cicero ist Medienpartner der Ausstellung „Gesichter einer Epoche“. - Wir verlosen 20 mal zwei Freikarten für die Ausstellung und dazu jeweils einen Ausstellungskatalog. Einfach hier den Cicero-Newsletter abonnieren und schon können Sie zu den glücklichen Gewinnern gehören.
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