- Leseschwächen im Land der Dichter und Denker
Der Pisa-Test für Erwachsene zeigt: Die Deutschen haben ihre Probleme mit dem Lesen und Rechnen. Was hat die OECD noch über Alltagskompetenzen herausgefunden?
Wissen ist Macht – Nichtwissen macht nichts, heißt es in einem alten Kalauer so einfältig wie widersprüchlich. Denn dass man mit Wissen eine ganze Menge machen und das Leben besser meistern kann, ist unstrittig. Wenn die erwachsenen Menschen im Land der Dichter und Denker beim Vergleich der Alltagskompetenz im internationalen Vergleich nur mittelmäßig abschneiden, ist das kein Schock, aber ein Warnsignal. Der am Dienstag in Berlin vorgelegte Pisa-Test für Erwachsene fördert eine ganze Reihe aufschlussreicher Erkenntnisse über den Wissensstand der Bevölkerungen in 24 Industriestaaten zutage.
Wie sieht es genau mit den Kenntnissen der Deutschen im Lesen, Rechnen und Problemlösen aus?
Lesen gilt als Schlüssel zu allen anderen Bildungsbereichen. Und dabei stehen die 16- bis 65-jährigen Deutschen vergleichsweise schlecht da. Mit durchschnittlich 270 Punkten liegen sie statistisch gesehen deutlich unter dem OECD-Mittelwert von 273 Punkten. Besser abgeschnitten haben weltweit 14 Länder und Regionen. Ein Unterschied von sieben Punkte entspreche einem Schuljahr, erklärte die Leiterin des OECD-Bildungsdirektorats Barbara Ischinger. Demnach würden Erwachsene in Japan gut drei Schuljahre Vorsprung vor Deutschen haben. Die deutsche Studienleiterin Beatrice Rammstedt wollte diesen Vergleich allerdings nicht nachvollziehen. Was ein Schuljahr ausmache, sei von Land zu Land nicht vergleichbar. Im unteren Mittelfeld befindet sich Deutschland beim Lesen in guter Nachbarschaft mit Dänemark und den USA.
Verursacht werde das schlechte Abschneiden der Deutschen vor allem durch Schwächen im unteren Kompetenzbereich, erklären die Bildungsforscher. Die Gruppe, die bestenfalls in der Lage ist, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu lesen und ihnen grundlegende Informationen zu entnehmen, ist mit 17,5 Prozent sehr groß, international sind es nur 11,8 Prozent.
Immerhin knapp überdurchschnittlich sind die Ergebnisse der Deutschen im Rechnen. Mit 272 Punkten übertreffen sie den OECD-Mittelwert von 269 Punkten, was die OECD-Experten als „statistisch signifikant“ werten. Doch in elf Staaten und Regionen schlugen sich die Menschen noch besser bei alltagsmathematischen Aufgaben. Die Gruppe der schwächsten Rechner in Deutschland fällt weniger ins Gewicht als die im Lesen. Zwar beherrschen auch hier 18,5 Prozent der Getesteten lediglich einfachste Dinge wie Zählen, Sortieren und die Grundrechenarten. Doch im internationalen Durchschnitt ist diese schwache Gruppe mit 19 Prozent noch etwas größer. Gleichzeitig gibt es in Deutschland einen relativ hohen Anteil an Menschen, die die höchsten Kompetenzstufen erreichen.
Im internationalen Vergleich am besten schneidet Deutschland beim Problemlösen mittels Computer ab. Hierzulande erreichten immerhin 36 Prozent der 16- bis 65-Jährigen eine mittlere und hohe Kompetenzstufe, im OECD-Schnitt waren es nur 34 Prozent. Sehr viel größer als in Deutschland ist dieser Anteil allerdings in Schweden, Finnland und den Niederlanden mit 42 bis 44 Prozent.
Insgesamt waren die Problemlösungs-Aufgaben am Computer die größte Herausforderung für die Menschen in allen Teilnehmerländern. So hatten weltweit gut neun Prozent keine Erfahrungen mit dem Computer, weitere zehn Prozent lehnten es ab, Problemaufgaben am Computer zu lösen, obwohl sie grundlegende Kenntnisse hatten. Und Frankreich, Italien, Spanien sowie Zypern nahmen in diesem Bereich gar nicht erst teil.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Generationen?
Die besten Ergebnisse in allen drei Aufgabenbereichen erzielen die 25- bis 34-Jährigen. „Alter ist der wichtigste Faktor“, sagt OECD-Expertin Barbara Ischinger. Die Unterschiede seien offensichtlich nicht allein auf biologische Alterungsprozesse zurückzuführen, sondern auch auf die unterschiedliche Sozialisation der Generationen sowie auf unterschiedliche Bildungsangebote und die Dauer des Schulbesuchs, heißt es. Die landläufige Aussage, dass die ältere Generation mehr und besser liest, stimmt insbesondere für Deutschland nicht. Hierzulande sind gerade die 16- bis 24-Jährigen besser in der Lage, auch komplexeren Texten Informationen zu entnehmen
Wie wirkt sich die soziale Herkunft aus?
Beim Lesevermögen der Deutschen zeigt sich – wie schon beim Schulleistungstest Pisa – eine starke soziale Komponente. Über alle Altersgruppen hinweg hängen die Ergebnisse im Lesen vom Bildungsstand der Eltern ab. Testteilnehmer, deren Eltern weder Abitur noch eine Berufsausbildung haben, erzielten im Schnitt 54 Punkte weniger als solche, bei denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief hat. Sehr viel geringer wirkt sich die soziale Herkunft etwa in Japan und in Australien aus. In fast allen Ländern wurden bei Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt geringere Kompetenzwerte als bei jenen ohne Migrationshintergrund festgestellt.
Was sagen die Ergebnisse über Chancen am Arbeitsmarkt aus?
Das „Erwachsenen-Pisa“ testet nicht nur, wie gut 16- bis 65-Jährige lesen, rechnen und Probleme am Computer lösen können. Gefragt wurde auch, wie sie diese Fähigkeiten im Alltag und im Berufsleben einsetzen, in welchen Berufsgruppen sie arbeiten – oder ob sie arbeitslos sind – und wie viel sie verdienen. „Was Menschen können und wie sie ihr Können einsetzen, beeinflusst ihre Lebensqualität entscheidend“, folgert die OECD. So sei der mittlere Stundenlohn von Arbeitnehmern, die beim Lesen hochkompetent sind, im Schnitt über 60 Prozent höher als der von schwachen Lesern.
Gleichzeitig besteht ein starker Zusammenhang zwischen dem Alltagswissen und den Arbeitsmarktchancen. In allen Teilnehmerländern erzielen 25- bis 54-jährige Erwerbstätige bei den Testaufgaben bessere Leistungen als Arbeitslose.
Aus deutscher Sicht wird der dualen Berufsausbildung ein gutes Zeugnis ausgestellt. Staaten, die mehr Jugendliche schulisch ausbilden und einen höheren Anteil an Hochschulabsolventen haben als Deutschland, schneiden nicht besser und teilweise sogar schlechter ab. Das System der beruflichen Bildung sei gut, bestätigte Ischinger. Doch die Zukunft der Arbeit liege in wissensbasierten Bereichen, diesem Wandel müsse sich auch Deutschland stellen.
Welche Konsequenzen müssen aus den Ergebnissen gezogen werden?
OECD-Bildungsdirektorin Ischinger forderte die Regierungen weltweit auf, „dafür zu sorgen, dass die Menschen Bildung erhalten, nicht nur in der Schule oder in der Hochschule, sondern auch am Arbeitsplatz“. Vom Pisa für Erwachsene müsse der Impuls für lebenslanges Lernen ausgehen, Nachholbedarf hätten die Staaten vor allem bei der Weiterbildung von Erwachsenen.
Weiterbildung müsse verstärkt bei Niedrigqualifizierten ansetzen, sagte Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium. Es sollten nicht nur Maßnahmen angeboten werden, die auf den Arbeitsplatz zugeschnitten sind, sondern auch Kurse, in denen fehlende Kompetenzen im Lesen und Rechnen vermittelt werden. Deutschland müsse sich aber auch anstrengen, den Bildungserfolg vom Elternhaus zu entkoppeln, betonte Quennet-Thielen. Deshalb müssten das Krippen- und Kitaangebot, die Ganztagsschulen und die Sprachförderung weiter ausgebaut werden. In der neuen Legislaturperiode werde Deutschland weiterhin viel in die Bildung investieren müssen. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gerd Hoofe, kündigte eine „Qualifizierungsoffensive“ an.
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