- Hier gibt es für fehlerhafte Analysen noch Boni obendrauf
Die Medienkolumne: Zum Jahresende läuft der Vertrag der ARD mit dem Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap aus. Das wäre die Gelegenheit, die Dienstleistung vor dem Bundestagswahljahr neu auszuschreiben. Denn Beobachter halten einige Analysemethoden für „höchst fragwürdig“. Dafür zahlt der Sender dem Institut auch noch Boni
Bunte Grafiken, Säulen, Diagramme, Sitzverteilungen: Zu jedem Wahlabend, Punkt 18 Uhr, servieren die Meinungsforschungsinstitute das Futter, das die Meinungsrepublik braucht. Die beiden Marktführer bei ARD und ZDF, Infratest dimap und die Forschungsgruppen Wahlen, liefern schnell, viel und machen die Politjunkies süchtig. Doch richtig satt machen die Inhalte nicht: Es ist das Prinzip McDimap.
Denn nicht nur an der Methodik, wie zum Beispiel die Wechselwähler ermittelt werden, üben Beobachter nun Kritik. Auch die Verwendung der Gebührengelder beim Ersten wirft zumindest Fragen auf.
Der WDR, der in der ARD für die Wahlberichterstattung und die entsprechenden Verträge die Federführung hat, hat zumindest ein originelles Verständnis von Wirtschaftlichkeit. Dort winken für das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap Boni, wenn es besser arbeitet als die ZDF-Konkurrenz. Der WDR bestätigte auf Cicero-Anfrage, „dass ein kleiner Teil der Vergütung für die Leistungen am Wahltag danach bemessen wird, wie die 18.00 Uhr-Prognose im Vergleich zur Prognose der Forschungsgruppe Wahlen ausgefallen ist und wieweit sie sich vom späteren Ergebnis abhebt“. Der Sender versteht das als wirtschaftlichen Anreiz, „die Prognose-Qualität zu erhöhen“. Investitionen in eine bessere Durchführung der Wahltagsbefragung und verbesserte Rechenmodelle sollen sich für die Demoskopen schließlich „auch wirtschaftlich auszahlen“, erklärte eine Pressesprecherin. „Strafzahlungen“ oder Abzüge bei schlechter Prognose-Qualität seien aber nicht vorgesehen.
Höhe der Boni hält der WDR geheim
Seit 1997 wurde der Vertrag zwischen der ARD und Infratest dimap nicht mehr ausgeschrieben. Drei Mal wurde er – immer jeweils für fünf Jahre – verlängert. Der aktuelle Vertrag läuft zum Jahresende aus. Ob es im Bundestagswahljahr 2017 eine vierte Verlängerung gibt, ließ der WDR offen: „Der Entscheidungsprozess hierzu läuft, so dass keine näheren Angaben gemacht werden können.“
Der Zuschauer wird sich die Augen reiben: Da sorgt sich ein öffentlich-rechtlicher Sender also mehr um das Wohlbefinden seiner Lieferanten, als um den sparsamen Einsatz von Gebührengeldern.
Wie hoch genau der Bonus ist, wollte der WDR mit Verweis auf das Redaktionsgeheimnis nicht mitteilen. Cicero hat sich dazu an die nordrhein-westfälische Landesbeauftragte für Informationsfreiheit gewandt, um dennoch Auskunft zu erhalten.
Der WDR begründet seine Bonus-Zahlungen auch mit einer kontinuierlich besseren Methodik: „Nimmt man den Zeitraum von 1997 bis 2016, so liegt die kumulierte Gesamtabweichung aller durchgeführten Landtags- und Bundestagswahl-Prognosen bei Infratest dimap bei 2,7 und bei der Forschungsgruppe Wahlen bei 3,1 Punkten.“
Infratest, ein „Weltkonzern“
Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sagt, die Abweichungen liegen „in einer Größenordnung von ein paar Zehntelprozentpunkten, manchmal sogar nur von ein paar Hundertstel. Jeder, der was von der Materie versteht, weiß, dass das so oder so viel besser ist, als es jedes Handbuch der Statistik vorsieht.“ Das ZDF-Institut ist ein eingetragener, nicht gewinnorientierter Verein – Infratest dagegen ein „Weltkonzern“, sagt Jung.
Während Infratest für die Wahlprognosen – sogenannte exit polls – stets 100.000 Menschen befragt, sind es bei der Forschungsgruppe nur 30.000. So viele befragt auch das private Meinungsforschungsinstitut Forsa, das bei Bundestagswahlen Prognosen für RTL macht. „Es kommt aber nicht auf die Größe der Stichprobe an, sondern auf die Qualität“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner.
Der sieht sich mit seinem kleineren Team dem Marktführer Infratest überlegen: Er behauptet, bei den vergangenen vier Bundestagswahlen stets die exaktesten Prognosen geliefert zu haben – „mit deutlich weniger Mitteln als die öffentlich-rechtlichen“. Bei Forsa sei bei den vergangenen vier Bundestagswahlen seit 2002 die durchschnittliche Abweichung bei der 18-Uhr-Prognose geringer sei als die der beiden Mitbewerber. Der WDR bestreitet das.
Güllner hält die Boni deswegen nicht nur für „unangemessen“, sie setzten auch „falsche Anreize“.
Methodik der Wählerwanderungen: „Höchst fragwürdig“
Auch der frühere Leiter der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und einstig Meinungsforscher beim Infratest-Vorgänger Infas, Konrad Schacht, hält diese Extrazahlungen für „überflüssig, denn das Institut soll methodisch sauber arbeiten“.
Genau diese Sauberkeit aber bestreitet noch ein dritter Beobachter. Konrad Woede, pensionierter Lehrer in Mainz, hat ein ungewöhnliches Hobby: Seit Jahren ist er den Mängeln der Demoskopie auf der Spur. Ein akribischer Branchen-Outsider mit Hang zur Mathematik.
Seine Kritik richtet sich gegen die Wählerwanderungen. In einer Analyse zur Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 monierte er für das Branchenportal Kress, dass die Daten einer späteren Überprüfung nicht stand hielten. Und auch die Statistiken zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die er für einen neuen Aufsatz gerade analysiert, seien „höchst fragwürdig“.
Das betraf weniger die Wahlumfragen zur AfD vor dem 13. März: Hier wichen fast alle Meinungsforschungsinstitute im Vergleich zum Endergebnis stark ab.
Fehler bei den AfD-Wählern
Ungenau würde die Statistik insbesondere, weil für die Wählerwanderungen immer nur die letzte gleichwertige Wahl als Berechnungsgrundlage genommen wird – für die Landtagswahl 2016 also jene von 2011. Dabei müssten für ein realistisches Bild auch Bundestags- und Europawahlen berücksichtigt werden, fordert Woede.
Das wäre mit Blick auf die AfD fundamental: Die Partei wurde erst 2013 – also zwischen den beiden Landtagswahlen – gegründet und feierte im Bund und in Europa große Überraschungserfolge. Das bildete sich in den Wanderungsstatistiken aber gar nicht ab.
Hinzukommt laut Woede eine hohe Ungenauigkeit bei der Angabe von Nichtwählern. Das monierte er schon bei der Hamburg-Wahl. Die Nichtwähler würden nicht nach eher linkem oder eher rechtem Parteienspektrum zugeordnet. Zudem erinnern sich in Zeiten sinkender Parteibindungen viele Wähler schlicht nicht mehr daran, was sie das letzte Mal angekreuzt haben.
Infratest-Chef Michael Kunert räumte auf Cicero-Anfrage ein, dass „wir in der Vergangenheit vielleicht nicht deutlich genug darauf hingewiesen haben, dass es sich am Wahlabend um vorläufige Schätzungen handelt, die sich bis zum Endergebnis noch ändern“. Seine Firma werde dennoch weiter an der Wechselwähler-Analyse festhalten. Kunert verwies auf seinen wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema, der auf der Infratest-Webseite angeführt wird. Dort fänden sich auch „standardmäßig Informationen zu Feldzeit, Erhebungsmethode, präzise Fragenformulierung usw.“.
Lieber die Finger davon lassen
Konrad Woede konterte, es sei nicht nachvollziehbar, welche Rolle die „Gewichtungen“ spielen, die die Institute üblicherweise am Urmaterial vornehmen. Die Daten seien „wissenschaftlich oft nicht nachvollziehbar“, „intransparent“ und für Zuschauer „irreführend“.
Was Woede so ärgert: Das Thema ist schon Jahrzehnte alt. 1980 fragte der Spiegel: „Wählerstrombilanzen – wissenschaftliche Analysen oder Bluff?“ Und kam zum Urteil: Lieber die Finger davon lassen.
Und 1975 erklärten die beiden Wahlforscher Peter Hoschka und Hermann Schunck, dass „die Wählerwanderungen beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht zuverlässig geschätzt werden können. (…) Bei möglichen relativen Schätzfehlern von 50 bis 100 Prozent und mehr kann man sicherlich nicht mehr von gesicherten Ergebnissen sprechen.“
Auch das sollte zum Thema werden, wenn die Kooperation von ARD und Infratest ausläuft. Die ARD könnte den Vertrag neu ausschreiben – und eine Debatte über die Methodik anstoßen.
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