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Von wegen Pest unserer Tage - Eine Replik auf den Kachelmann-Verteidiger Johann Schwenn

Der Meinungsbeitrag des inzwischen zum Verteidiger von Jörg Kachelmann berufenen Anwalts Johann Schwenn in der Dezember-Ausgabe des Cicero hat heftige Kontroversen in der Leserschaft ausgelöst. Die Berliner Strafanwältin Christina Clemm kritisiert in ihrer Replik das mediale Vorgehen Schwenns und seine Positionen.

Zeitungsartikel von Strafverteidigern über ihre laufenden Verfahren sind zu Recht unüblich. Sie sind jeder inhaltlichen Kritik und Überprüfung entzogen, da Unbeteiligte entweder keine entsprechende Sachkenntnis haben oder übrige Verfahrensbeteiligte die Seriosität besitzen, sich im laufenden Verfahren nicht dezidiert zu äußern. Bedient sich ein Verteidiger dieser Form der Öffentlichkeit, so muss man bedenken, dass diese Schrift mit größtmöglichem medialen Echo zielgerichtet der Verteidigung dienen soll. Ob der neue Verteidiger des Herrn Kachelmann zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Artikels im Cicero schon offiziell mandatiert war oder sich hierdurch erst das Mandat sichern wollte, ist gleichgültig. Der Artikel sollte jedenfalls der Verteidigung zugute kommen. Ob für jenes Strafverfahren das öffentliche Verbreiten von Polemik und Halbwahrheiten zielführend ist, wird sich zeigen. Dem eigentlichen Thema angemessen ist es auf jeden Fall nicht.

Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch sind Straftaten. Kein ernstzunehmender Mensch wird behaupten, dass es diese Taten nicht gibt. Wer Sätze wie „Gegen den Glauben an den Missbrauch scheint kein Kraut gewachsen“ schreibt, will nicht beim Wort genommen werden, der will diskreditieren. Es bedarf keines Glaubens an den sexuellen Missbrauch, so wenig wie es den Glauben an Mord und Totschlag braucht. Auch das Leiden von Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfern dürfte jedem vernünftigen Menschen mittlerweile bekannt sein. Es gibt Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch. Es gibt Opfer dieser Straftaten, es gibt Täter. Es gibt zu Unrecht Verdächtigte und falsch Beschuldigende. Und es gibt falsch Freigesprochene.

Bei Sexualstraftaten wird nur überhaupt die Spitze des Eisberges angezeigt. Nur wenige Anzeigen führen zu einer Anklage. In seltenen Fällen werden Menschen völlig zu Unrecht beschuldigt. Häufig werden Beschuldigte freigesprochen oder Verfahren eingestellt. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. In den wenigsten Fällen folgen Falschaussageverfahren oder gar Verurteilungen der Anzeigenden, nicht etwa weil es kein Verfolgungsinteresse gäbe, sondern weil kein Verdacht besteht, dass bewusst die Unwahrheit gesagt wurde. Meist führt der zu Recht bestehende Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, zu Freisprüchen.

So ist die häufigste Begründung eines Freispruchs in diesen Verfahren, bei denen überwiegend Aussage gegen Aussage steht, dass man sich einfach nicht entscheiden könne, wem man glaube, weshalb man „in dubio“ für den Angeklagten ihn nicht verurteilen könne. Häufig teilen Gerichte in mündlichen Urteilsbegründungen sogar mit, dass sie den Geschädigten glauben, vergewaltigt oder missbraucht worden zu sein, aber dennoch letzte Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestünden.

Zweifel können zum Beispiel damit begründet werden, dass Geschädigte zunächst Freunden oder Freundinnen von einer Tat berichtet haben, diese Schilderung aber nicht im Detail den Schilderungen bei der Polizei entspricht, weil die Tat nicht sofort angezeigt wurde, weil es ein denkbares Motiv für eine Falschbezichtigung gibt, weil eine Zeugin schon ein anderes Mal in einem anderen Zusammenhang gelogen hat, weil sie schon einmal vergewaltigt wurde und nun angeblich einiges verwechselt, weil sie nicht verzweifelt gewirkt habe, weil sie weiter Kontakt mit dem Täter hatte und vieles mehr. Zweifel können auch deshalb bestehen, weil es z.B. noch eine andere entlastende Aussage gibt. Wenn das Gericht sich nicht entscheiden kann, welcher Aussage es Glauben schenken soll, muss es sich für die für den Angeklagten günstigere Variante entscheiden. Zweifel könne außerdem entstehen, wenn Geschädigte irrational handeln oder einfach anders als man es von einem Opfer einer solchen Straftat laienhaft erwartet und erwarten möchte. Eben das Opfer, das nicht direkt Anzeige erstattet, sondern gar zu dem Täter zurückkehrt und eine Beziehung zunächst weiterführt. Die Geschädigte, die nicht schreit, die Geschädigte, die nicht in der Schule schlechter wird, die zwei Tage nach der Vergewaltigung fröhlich auf einer Party erscheint und niemandem verrät, was geschehen ist, die Geschädigte, die sichtbare Verletzung davon trägt und ihrem Arzt glaubhaft von Treppenstürzen o.ä. berichtet. Verfahren mit psychisch kranken Geschädigten werden besonders häufig eingestellt oder freigesprochen. Denn sie verhalten sich häufig nicht „deliktsangemessen“.

Auch Menschen, die unter einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden, verhalten sich manchmal ungewöhnlich. Die PTBS ist im Übrigen eine nach der sogenannten ICD 10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision) anerkannte schwerwiegende Krankheit, unter der Menschen nach erlebten Traumata, wie z.B. Krieg, Geiselnahme, Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch, erkranken können. Keineswegs ist sie, wie es in dem Aufsatz des Verteidigers heißt, eine Erfindung feministischer Beratungsstellen. Selbstverständlich ist es nicht zulässig, vom Vorliegen einer PTBS auf eine bestimmte Straftat zu schließen, zulässig ist es aber, bestimmte „ungewöhnliche“ Verhaltensweisen mit einer PTBS zu erklären. Um dies zu verstehen, bedarf ein verantwortungsbewusstes Gericht sachverständiger Hilfe.

Wer von all diesen spezifischen Problemen bei der Wahrheitsfindung in Vergewaltigungsverfahren weiß, versteht vielleicht ein wenig besser, weshalb ein Verteidiger eines Mandanten, der wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs angeklagt ist, so agiert, wie der Verteidiger von Herrn Kachelmann. Er will versuchen, die Glaubwürdigkeit der anzeigenden Frau zu erschüttern. Gelingt ihm das, so wird es für das Gericht leichter sein, seinen Mandanten freizusprechen als ihn zu verurteilen. Ganz offensichtlich will der Verteidiger auch die Geschädigte weiter verunsichern, indem er ihr unverhohlen damit droht, sie wegen Falschaussage verurteilt sehen zu wollen. Als Verteidiger darf er das.

Das Signal aber, das unabhängig von dem Fall Kachelmann an alle Geschädigte von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch geht, ist – zeige nur nicht eine solche Straftat an, du wirst in aller Öffentlichkeit diskreditiert und am Ende selbst vor Gericht stehen. Deine Erkrankung gibt es gar nicht, auch das Delikt eigentlich nicht.

Immer mehr Geschädigte teilen mit, dass sie nie eine Vergewaltigung anzeigen würden. Selbst ein ehemaliger Generalstaatsanwalt hat öffentlich mitgeteilt, er würde seinen Töchtern nach einer Vergewaltigung nicht zu einer Anzeige raten. Dies ist fatal. Denn Prävention gegen sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung braucht Offenheit, Ernsthaftigkeit und Aufklärung über die Thematik sowie gesellschaftliche Inakzeptanz der Taten. Dem Dilemma zwischen Rechten von Beschuldigten und Respekt vor den Opfern muss ernsthaft und nicht polemisch begegnet werden.

Beschuldigte sind unschuldig, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind. Dies sollte auch für Herrn Kachelmann gelten. Zu Unrecht Beschuldigte sollten so gut wie es geht rehabilitiert und entschädigt werden.
Geschädigte sind als Geschädigte mit angemessenem Respekt und Anerkennung zu behandeln. Solange sie nicht rechtskräftig wegen eines Falschaussagedeliktes verurteilt sind, sind sie als Opfer der Straftat zu behandeln. Sie verdienen unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten unbürokratische Entschädigung und professionelle Hilfen.

Wenn es ein Verteidiger für notwendig erachtet, die Würde einer anzeigenden Frau anzugreifen, so ist das eine Sache. Eine andere ist es, diesen Zwecken unhinterfragt ein öffentliches Podium zu bieten.

Zum Artikel von Johann Schwenn: Die Pest unserer Tage

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