- „Ich will doch einfach nur Internet!“
Deutschland verliert sich beim Ausbau des Datenhighways – landet auf den hintersten Plätzen. Das spürt man sogar mitten in der Hauptstadt
In fünf Minuten ist Sebastian Burkard zu Fuß am Berliner Alexanderplatz. Er lebt am Puls der Metropole, die für ihre Internet-Startup-Szene bekannt ist. Um die Ecke seiner Wohnung liegen Clubs, Bars, Büros. In der kleinen Straße, in der der 35-jährige aber lebt, würde wohl kein Startup die erste Woche überstehen. Niemand hat hier einen DSL-Anschluss, es gibt keine Internetverbindung, wie sie den Bewohnern im Rest der Stadt angeboten wird.
„Seit über drei Jahren telefoniere ich, trage mich auf Interessentenlisten ein und schreibe E-Mails“, erklärt Burkard – vergebens. In der Ohmstraße fehlt das nötige Kabel. Und ein Ausbau ist auch in den kommenden zwölf Monaten nicht geplant, wie es die Telekom auf ihrer Serviceseite bei Facebook verkündet. Für die paar Menschen, die in den drei oder vier Häusern in der kleinen Straße leben, lohne sich das wohl nicht, mutmaßt Burkard.
Unter „Telekomhilft“ versprachen trotz allem ein ums andere Mal die verschiedensten Mitarbeiter, man werde sich darum kümmern, die Gründe für die abgehängte Ohmstraße in Erfahrung zu bringen. Dann werde man „eine optimale Lösung“ anbieten. Davon ist aber bis heute nichts zu sehen. Außer die vielleicht: Er solle doch beim Bezirksamt eine Bürgerinitiative anmelden, schlägt Melanie W. von Telekomhilft „mit liebem Gruß“ vor.
Was Burkard in Berlin Mitte erfährt, ist auf dem deutschen Land tatsächlich Alltag. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur kommt langsam voran. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler allerdings behauptet das Gegenteil und verkündete jüngst, der Breitbandausbau ginge zügig voran, über „99 Prozent“ könnten sich „auf Wunsch ans Internet anschließen“. Weder trifft das aber auf ganz Deutschland zu, noch ist genau bestimmt, wie viel Megabit pro Sekunde ein Internetanschluss liefern muss, um als Breitband zu gelten – da nämlich gehen die Bewertungen auseinander: Von einem Megabit bis zu 30 Megabit ist alles drin.
Leistungsfähig und zukunftsträchtig wäre ein Glasfaserkabelnetz, das Länder wie Litauen, Schweden und Bulgarien ausbauen. Deutschland aber hat sich davon längst verabschiedet. Hierzulande arbeitet man mit Stückwerk. Ein bisschen Kupferdraht in Brandenburg, etwas Glasfaser in Niedersachsen, ein UMTS-Stick in Mitte. In der Statistik von Fibre To The Home, die Netzwerkausrüster für Glasfaserkabel, taucht Deutschland nicht einmal mehr auf.
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So ist die Ohmstraße in Berlin Mitte in Deutschlands Großstädten nur eine Ausnahme. Sie steht aber exemplarisch für das Problem, das die Diskrepanz zwischen Stadt und Land ausmacht: Wo der freie Markt regiert, buhlen die Internetanbieter um die Kunden in den Ballungszentren. Für O2, Telekom und Konsorten lohnt es sich, ein dickes Kabel durch ein hochbesiedeltes Gebiet zu verlegen. Weder das Dorf in der Uckermark noch die Ohmstraße gehören aber dazu.
Auf dem Land sowie in Burkards Bude soll die neue Mobilfunktechnologie LTE Rettung bringen. Sie ist dafür gedacht, das störungsanfällige UMTS abzulösen. LTE aber ist teurer als ein gewöhnlicher Internetanschluss mit DSL. Sie ist zwar sehr schnell, wird aber volumenabhängig angeboten. Nach einer gewissen Zeit, wird das Datenvolumen gedrosselt. So kommt es, dass sich Sebastian Burkard genau überlegen müsste, „ob ich mir jetzt diese zweistündige Doku anschaue und im Gegenzug damit rechnen muss, dass ich am Ende des Monats nur noch eine sehr langsame Verbindung habe“.
Dabei hat der Bundesgerichtshof am 24. Januar dieses Jahres geurteilt, dass das Internet ein Wirtschaftsgut sei und dessen ständige Verfügbarkeit auch im privaten Bereich „von zentraler Bedeutung“. Immerhin nutzen 75,5 Prozent aller Deutschen mittlerweile das Internet, wie der (N)Onliner Atlas von 2012 zeigt.
Berlin rühmt sich seit kurzem, an belebten Straßen und Plätzen ein kostenloses WLAN-Netz eingerichtet zu haben. Eine halbe Stunde kann der Zugang genutzt werden. In den ersten sechs Monaten sei das eine Viertel Millionen Mal geschehen. Das habe „alle Erwartungen“ überstiegen, heißt es von den Veranstaltern Kabel Deutschland und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.
Dort, wo die Menschen eng beieinander hocken, werden sie dafür belohnt, hier funktioniert der Service. Wer sich aber abseits der vorgegebenen Pfade bewegt, für den wird es schwierig.
Ein paar Minuten entfernt sitzt Sebastian Burkhard in seiner Mietwohnung und erwägt eine weitere Alternative. Er könne eventuell auch über ein Fernsehkabel ins Internet. Das TV-Unternehmen würde das sogar anbieten. Allerdings müsste der Hausbesitzer das Ganze mitinitiieren. Dann seufzt Sebastian Burkard und sagt: „Aber ich hab doch keine Lust, riesige Baumaßnahmen zu koordinieren. Ich will doch einfach nur Internet!“
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