- Die Wiederkehr des „hässlichen Deutschen“?
Kolumne: Zwischen den Zeilen. Im Land gefeiert, in Europa und der Welt kritisch beäugt. Deutschlands neue Rolle zeigt sich in der Griechenlandkrise: Die Nationalisierung von Schuld und Schulden
Schuld und Schulden sind verteilt. Der Grieche macht endlich seine „Hausaufgaben“– und der deutsche Michel atmet auf. Das griechische Parlament verabschiedete am Donnerstag ein weiteres Gesetzespaket. Ministerpräsident Tsipras kann und darf sich dabei im Übrigen genau wie Merkel nicht auf die eigene Partei verlassen: 36 Abweichler in der Syriza-Fraktion stehen 60 Abweichlern bei CDU/CSU gegenüber. Eins zu Null für Tsipras – könnte man meinen.
Während Syriza aber vor einer Spaltung steht und Griechenland vor noch unruhigeren Zeiten, steht Merkel eher vor einer erneuten Kandidatur. Bezeichnenderweise hat SPD-Spitzenmann Torsten Albig soeben die kommende Bundestagswahl für verloren erklärt.
Angela Merkel macht also das, was sie immer macht: aus Krisen gestärkt hervorgehen. Wofür sie aber im Land gefeiert wird, steht sie im Ausland in der Kritik.
Schulden nationalisiert
Deutschlands Krisenmanagement in der Griechenlandfrage wurde vielerorts als ein Rückfall zur Macht des Stärkeren in Europa interpretiert, als Zuchtmeisterei. Kein Wunder: Da zwingt die von Deutschland dominierte Eurogruppe Griechenland zu Reformen, die hierzulande Massenpanik auslösen würden: Privatisierung des öffentlichen Vermögens (Ausverkauf der Flughäfen, Häfen, Energieversorger und Bahn), verkaufsoffene Sonntage oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Die Bigotterie ist offensichtlich: Denn dem europäischen Musterland in Sachen Disziplin und Sparmentalität waren in seiner Krisenphase 2008 alle keynesianischen Mittel recht, um den deutschen Motor wieder zum Laufen zu bringen. Merkel und Steinmeier garantierten den Sparern eine staatliche Einlagensicherung, zusätzlich pumpten sie Millionen in die Märkte. Dem Credo folgend: International Austerität predigen und national auf Pump leben.
So läuft das im neuen Europa Merkel‘scher Prägung. Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Strategie zur Schuldenkrise in Europa durchgesetzt. Schuld und Schulden wurden nationalisiert („Der Grieche hat genug genervt“). „Europa hat“, schreibt Christos Katsioulis, „seit 2010 keine Antwort auf die Frage gefunden, wie man mit einem Staat umgeht, der in Not geraten ist. Stattdessen wird gefragt, wer daran die Schuld trägt?“
Das zu einem exorbitanten Schuldner meist auch exorbitant leichtgläubige Gläubiger gehören – vergessen. Vergessen auch strukturelle Ursachen, wie ungleiche Handelsbilanzen und Sozialsysteme innerhalb eines gemeinsamen Währungsverbundes bei fehlender gemeinsamer wirtschafts- und finanzpolitischer Steuerung. Stattdessen wurde die Krisenschuld verstaatlicht und auf die Defizitstaaten übertragen. Die Einordnung der Schuldenkrise in einen europäischen Kontext fehlte. So wurde nur auf Ebene der Finanzminister verhandelt – als handele es sich ausschließlich um ein Bilanzproblem. Über Verhandlungen auf Arbeits- oder Sozialministerebene wurde nicht einmal diskutiert.
National auch die Reaktion
Griechenland reagierte auf die Nationalisierung der Krise ihrerseits dann auch national. Die vaterländische Antwort war das „Oxi“, das Nein. Die Populisten bei Syriza setzten auf linksnationale Rhetorik, appellierten an das Volk, den Stolz der Nation. Übten sich in nationaler Redekunst. Kein Wunder, dass besonders Nationalisten und Rechte in ganz Europa das griechische Plebiszit feierten und von der Rückkehr der Völker träumten.
So wurde die europäische Union in der Krise das, was sie eigentlich nie sein wollte: eine bloße Summe von Nationalstaaten. Ein originär europäisches Verständnis fehlt. Und die neue Führungsmacht Deutschland macht keine Anstalten gegenzusteuern. Stattdessen befeuert man europäische Neiddebatten (zwischen griechischen und deutschen Mittelständlern, lettischen und griechischen Rentnern oder zwischen geifernden Parlamentariern) und erliegt so der Versuchung, Bevölkerungen gegeneinander auszuspielen.
Die Welt schaut in diesen Tagen also nicht nur auf den „Patienten“ Griechenland, sondern auch auf Deutschland – und fragt sich, wie es seine neue Rolle weiter interpretieren wird. Der deutsche Auftritt in der Griechenlandkrise, die fehlende Bereitschaft, eine ähnliche Konsequenz auf europäischer Bühne in der Flüchtlingsfrage an den Tag zu legen und Sigmar Gabriels jüngste Freundschaftsanfrage an das iranische Regime lassen befürchten, dass sich die Regierung in der Rolle des „hässlichen Deutschen“ gar nicht so unwohl fühlt.
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