- Glaubenskämpfe oder wissenschaftsbasierte Innovation?
Der Atomausstieg sorgte in Deutschland auch für einen Rückbau der ergebnisoffenen Forschung über Potenziale und Grenzen der Kernenergie. Heute fehlt solches Wissen, wenn über die Zukunft der Atomenergie im Rahmen klimapolitischer Maßnahmen oder über AKW-Laufzeitverlängerungen diskutiert wird. Ohne freie Wissenschaft gibt es jedoch keine wissenschaftsbasierte Innovation, und Gesellschaft und Politik sind auf Argumente aus der Vergangenheit angewiesen.
Der „wissenschaftliche Elfenbeinturm“, in dem die Forschung am aktuellen politischen Handlungsbedarf vorbeigeht, ist eines der beständigsten Narrative und dennoch falsch: Innovative politische und wirtschaftliche Entscheidungen benötigen immer einen exzellenten wissenschaftlichen Kern. Diesen kann nur Forschung bereitstellen, die strengen wissenschaftlichen Verfahren folgt und nicht von Anfang an politisch gesteuert und auf vermeintlich voraussagbare „Impacts“ ausgerichtet ist. Natürlich gibt es für Forschung auch ethische Grenzen, die einzuhalten sind, aber die Erkenntnisproduktion darf nicht ständig durch laufende Interventionen durch Akteure der Praxis gestört werden, weil dadurch neue Erkenntnisse und kritische Forschungsergebnisse verhindert werden können. Denn nicht jedes wissenschaftliche Thema ist auch politisch erwünscht, wenn Forschungsergebnisse zum Beispiel den Interessen der regierenden Parteien mit ihren Programmen zuwiderlaufen.
So haben Konzepte zur Nutzung der Atomenergie in Reaktoren der dritten und vierten Generation, die auf neuartigen Verfahren beruhen, in Deutschland wenig Umsetzungschancen, weil der beschlossene Atomausstieg einen wichtigen grünen „Markenkern“ betrifft. Selbst die Verlängerung der sich noch am Netz befindlichen drei Reaktoren wird aktuell kontrovers, überwiegend gestützt auf alte Argumente und Bewertungen und nicht nur auf der Basis aktueller Forschung und neuen Einschätzungen hinsichtlich der „Zeitenwende“, diskutiert. Da die Forschung zur aktuell brennenden Frage der Weiternutzung der drei sich noch am Netz befindlichen AKW rar ist, fehlt es an nüchternen, wissenschaftlich basierten Pros und Kontras, die innovative neue Lösungen aufzeigen oder auch Hinweise geben könnten, warum die weitere Nutzung problematisch ist, sei es wegen knapper werdenden Kühlwassers in Zeiten von Trockenheit, der Endlagerproblematik oder der Vulnerabilität der Meiler durch Krisen und Katastrophen.
Illusion kurzfristiger und planbarer Forschungsprogramme
Das Beispiel Atompolitik lehrt, dass eine an aktuellen Themen kurzfristig orientierte und detailliert planende Forschungsförderung nicht die gewünschten praxisnahen Beiträge generiert. Insbesondere in Zeiten von unerwarteten Ereignissen und Krisen wie der aktuellen, wird deutlich, dass die politische Engführung der Forschung allzu oft nur die Ziele von gestern reflektiert und einer Planungsillusion erliegt. Detailliertere Forschungsplanung mit a priori festzulegenden Teilzielen innerhalb konkreter Projekte behindert zusätzlich innovative Erkenntnisse für die unbekannte Zukunft. Die von Forschungsförderern beliebte Vorabdefinition von Meilensteinen zwingt der Wissenschaft einen Managementtakt auf, der keine risikoreiche auf Versuch und Irrtum beruhende freie Forschung mehr zulässt. Einen innovativen Meilenstein zu einem fixen Termin, z.B. in zwölf Monaten, zu planen, ist der beste Weg dazu, den Forschern den Mut zu nehmen, risikoreiche Hypothesen zu testen.
- Gasumlage, Inflation, Atomkraft - Hans-Werner Sinn: „Wir müssen in die Atomkraft gehen“
- Habecks Realitätsverweigerung: Wir haben kein Stromproblem? Noch nicht!
- Energieknappheit: „Die Situation ist wesentlich dramatischer, als sie dargestellt wird“
- Deutschland in der Krise - Sehenden Auges in den Absturz
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte um eine AKW-Laufzeitverlängerung
Wollte man die Forschungsprogramme nun noch enger an die Wünsche der Praxis und Politik anbinden und von vornherein „impact“-bezogen zwischen förderbaren und nicht zu fördernden Projekten unterscheiden, dann verringerte sich der Handlungsraum für wissenschaftliche Erkenntnisse, die Voraussetzung für Innovationen sind. Politik und Praxis steuern stärker, aber der wissenschaftliche Kern, der erst innovative Lösungen ermöglicht, schrumpft und befindet sich immer mehr in einem einengenden Möglichkeitsraum. Am Ende wird die wissenschaftliche Basis so dünn, dass sie keine innovativen Lösungen mehr erzeugen kann. Gut gemeinte Mitwirkung von Entscheidungsträgern, Zivilgesellschaft und Politik schnüren der kritischen Forschung die Luft ab. Denn all diesen Akteuren sind Eigeninteressen gemein, die wissenschaftliche Forschung dann über Gebühr beeinflussen und deren Innovationschancen begrenzen. Das Beispiel Atomenergie zeigt, dass hier Zivilgesellschaft und Umweltverbände wissenschaftliche Forschungsräume stark beeinflussten und die Parteipolitik folgte.
Prinzipien hoher Praxisrelevanz durch wirksame Integration
Die für politische und wirtschaftliche Innovation notwendige Nähe zur Praxis kann nicht im Bereich der Wissenschaft selbst bzw. durch die aktive Forschungsprogrammgestaltung durch Politik oder Verwaltung direkt hergestellt werden, sondern sie bedarf einer zusätzlichen, eigenständigen Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Das von den Autoren entwickelte, seit einem Jahrzehnt empirisch erfolgreich getestete R(esearch)-I(ntegration)-U(tilization) Model zeigt folgende Bausteine für eine Praxisintegration auf:
1. Auswahl der effektivsten Integrationsforen
Die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis ist nicht neu, sondern sie geschieht tagtäglich in tausenden Integrationsforen: Manager prüfen wissenschaftliche Veröffentlichungen, Industriebetriebe finanzieren wichtige Gate-Keeper zur Wissenschaft, und die öffentliche Verwaltung und Politik bedienen sich der Ressortforschung, den Fachbeiräten und Consulting-Agenturen, um über wissenschaftsbasierte Innovationen einen Überblick zu gewinnen.
Zusätzliche Gremien im Rahmen von Praxisforschungsprogrammen wirken dagegen nur hinderlich, weil sie in den vielen Gruppentreffen die wissenschaftliche Arbeitszeit von Forschern und Entscheidungsträgern mit breiten Diskussionen blockieren.
Eine Alternative wäre es, sich einen Überblick über die in einem Innovationsfeld relevanten bereits bestehenden Integrationsforen zu verschaffen und dann die effektivsten auszuwählen. Diese können bestimmte Abteilungen der Produktentwicklung, Stäbe in Fachministerien oder in NGOs der Zivilgesellschaft sein. Gelingt hier eine Auswahl aus den sich bereits bewährten und werden nur diese Integrationsforen mit den Forschern in Kontakt gebracht, dann erhöhen sich die Chancen auf den intensiven bi-direktionalen Austausch, der am Ende Innovation hervorbringen kann.
2. Selektion aus exzellenter Forschung
Die Integrationsforen benötigen den Freiraum, aus allen wissenschaftlichen Optionen rigoros auszuwählen. Nur Erkenntnisse, die mit wirtschaftlich, politisch oder gesellschaftlich handlungsmächtigen Akteuren verbunden werden, bewirken Innovation in der Praxis. Weil kein vermeintlich praxisnahes Forschungsprogramm diese Praxisrelevanz und den späteren „Impact“ garantieren kann, blockiert die direkte Anbindung der Integration an Forschungsprogramme in immer wieder neu eingerichteten Foren die Innovation. Viel vergebliche Mühe wird in die Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen des Programms investiert, für die handlungsmächtige Akteure fehlen. Die Integrationsforen dürfen nicht an bestimmte Forschung, etwa ein einzelnes Forschungsprogramm oder gar ein spezielles Forschungsprojekt, gebunden sein. Erst wenn sie das gesamte Spektrum nationaler und internationaler Wissenschaft sowie bereits erfolgreicher Integrationsforen frei nutzen, können sie eine optimale Selektion vornehmen.
Integrationsforen zur Verstärkung des Realitätssinns der Atomdiskurse
In den richtig ausgewählten Integrationsforen erreicht die Forschung mit ihren wissenschaftlichen Informationen genau jene politischen Akteure, die sowohl Interesse an als auch Ressourcen für eine innovative Lösung haben. Diese Orientierung der Akteure erzeugt nachgerade einen Sog für alle wissenschaftlichen Argumente und die Generierung relevanter neuer Forschungsfragen. Die Praxisakteure sind gerne bereit, ihre Lösungen auf selektierte relevante wissenschaftliche Information aufzubauen.
Natürlich kommen nicht alle wissenschaftlichen Erkenntnisse bei allen Akteuren gleich gut an. Aber im Pluralismus gibt es eine große Anzahl von Akteuren mit prinzipiell offenen Integrationsforen. Konfligierende Interessen der Akteure sind kein Hindernis für die Integration ausgewählter wissenschaftlicher Informationen. Im Gegenteil: Konflikte beflügeln den Bedarf an Wissenschaft. Diese darf aber nicht als Instanz verstanden werden, die solche Konflikte lösen kann.
Eine solche in einem pluralistischen Umfeld aktive Forschung darf nicht den übergreifenden Konsens als Produkt der wissenschaftlichen Erkenntnis erwarten. Eine gültige politische Entscheidung stellt erst die Politik mit Ihren demokratischen Verfahren her. Interessenkonflikte und konkurrierende wissenschaftliche Informationen erschweren die Entscheidung nicht grundsätzlich, sondern sie machen deutlich, warum es neben exzellenter Wissenschaft auch noch verantwortlicher Politik bedarf, um eine innovative politische Lösung zu erreichen. Das gilt im besonderen Maße für den aktuellen Konflikt über eine mögliche Renaissance der Atomenergie, in dem eine professionelle Integration wissenschaftlicher Informationen die Glaubenskämpfe mit mehr Realitätssinn anreichern könnte.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
w e n n denn die Wissenschaft noch frei und ergebnisoffen forschen würde bzw. dürfte!
Dies ist nämlich schon lange nicht mehr der Fall.
Ob bei der Atomenergie o. im Bereich der Pädagogik (zwei völlig unterschiedliche Bereiche, die aber gleichermaßen vom Diktat der Politik beherrscht werden) - hier wie dort gibt es nur noch Forschung in eine ganz bestimmte Richtung. Das heißt konkret:
Die heute vorherrschende Meinung (Sicht) wird kontinuierlich ausgebaut bzw. untermauert. Konträre Denk- bzw. Forschungsrichtungen erhalten keinerlei Unterstüthzung mehr.
Daß dies falsch und ein Skandal ist, dürfte jedem vernünftigen Menschen einleuchten. So aber sieht die Realität in Deutschland aus.
Was die Atomforschung anbelangt, ist inzwischen die Mehrheit der deutschen Forscher ins Ausland, in den Ruhestand oder in andere Bereiche gegangen.
Auf diesem Gebiet hat sich D völlig
zurückgezogen - zum Schaden unseres Landes
als Wissenschafts- u. Wirtschaftsstandort.
Andere Staaten freuen sich drüber.
wenn Deutschland keine Ressourcen mehr für die Weiterentwicklung einer Energieform verschwendet, die keine Zukunft hat.
Frankreich, gerne genanntes Beispiel der "Anti-Grünen" (Kernkraft spielt wahrscheinlich gar nicht DIE Rolle), muss zwei Drittel seiner AKWs abschalten, weil es die Kühlung nicht schafft.
Finnland, fortschrittlicher skandinavischer Staat, der doch tatsächlich ein neues AKW baut, taugt ebenfalls nicht als Vorbild. Die Bauzeit für das neue Ding ist mittlerweile auf 10 Jahre (!) erweitert.
Wenn man natürlich immer nur fürchtet, die eigene Bequemlichkeit zu gefährden, es einen aber nicht im geringsten interessiert, dass die nachfolgenden Generationen von uns tollen Leistungsträgern jede Menge Dreck und ungelöste Probleme erben, scheint Kernkraft die ideale Lösung zu sein.
Gleiches gilt für jene, die auf der rechten Außenbahn kurven und meinen, man könne den überfälligen Energiewandel dazu missbrauchen, Demokraten "zu jagen".
Wozu braucht D. z.B. eigene Ressourcen. Sie und die anderen Warmduscher nehmen sich hoffentlich den Waschlappen-Rat ihrer grünen Heils(Werte)vertreter zu Herzen. Damit wäre zumindest das Gasproblem gelöst. Für die anderen Energieträger werden sich bestimmt von den Wertevertretern weitere praktikable grüne Lösungsmöglichkeiten finden lassen.
Ein Wissenschaftsverständnis, das überall in der industriellen Welt geteilt wird-nur nicht in Deutschland. Und das liegt keineswegs nur an den GRÜNEN. 16 Jahre alternativlose Politik haben in unserem Land überall Spuren hinterlassen. Und die Bereitschaft, die dadurch verursachten Fehlentwicklungen einzugestehen, ist in allen Parteien weiterhin nicht vorhanden. Im Gegenteil: der neue Heilsbringer ist bei der Mehrheit der Bevölkerung ein Dänemark affiner Kinderbuchautor.
Sie haben beide in die Kerbe geschlagen, die ich auch in meinem Kommentar bearbeiten wollte. Und ich frage mich auch hier. Das Ganze ist ja nicht erst seit gestern. Warum wurde seit dem Ausstieg durch Merkel nicht laut geklappert und alles dafür getan, die Kernenergie sauber, neutral und redlich darzustellen, mit allen vor- und Nachteilen, mit all seinen gelösten und noch ungelösten Problemen. Ich fürchte, der Zug ist abgefahren. Es braucht ein generelles Umdenken und nicht nur eine zeitlich befristete Laufzeitverlängerung. Und inzwischen müssen wieder Studiengänge und Personal nachgebildet werden.
Die für einen Streckbetrieb möglichen AKWs können nur noch 2-3 Monate Strom liefern und sind mit neuen Brennstäben nicht mehr genehmigungsfähig, da nicht mehr auf dem Stand der Technik..
Als vor Jahrzehnten, noch unter Trittin, der Atomausstieg beschlossen wurde, sagte mir ein befreundeter hochkarätiger Sachverständiger für Energie, das Schlimmste daran sei, dass dadurch F und E in der Atomforschung aber vor allem studierte Fachleute verschwinden würden, für immer. Studiert eigentlich heute einer in D noch Atomphysik bzw. gibt es einen solchen Lehrstuhl überhaupt noch ? Alle die jetzt für ein Wieder-Hochfahren der Atomenergie sind, verkennen, das wir gar nicht mehr die Leute dazu haben. Noch dazu, wo andere Länder längst umgesteuert haben und die Fachleute übernommen haben. Der Markt ist leergefegt.