Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit geschlossenen Augen im Bundestag
Angela Merkel möchte einen erneuten Flüchtlingszuzug wie 2015 nicht noch einmal erleben

Klausur nach Brexit-Abstimmung - Die Union will den inneren Frieden finden

Leicht gesagt: Der drohende Brexit könnte CDU und CSU wieder zusammenschweißen. Am Freitag treffen sich die zerstrittenen Schwesterparteien zum Wunden Lecken an der Havel. Dort wollen sie auch einen Konsens in der Flüchtlingsdebatte finden

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass die Abstimmung über den Brexit die deutsche Politik bestimmen wird. Am Freitagmorgen, sobald das Ergebnis da ist, wird es sogleich die politische Agenda des Nachmittags beeinflussen. Denn CDU und CSU wollen ab 15 Uhr in Potsdam zum Friedensgipfel tagen.

Sollte die EU einen ihrer wichtigsten Mitgliedsstaaten verlieren, wäre der Streit zwischen den Schwesterparteien marginal. Dann stünde nicht mehr die Zerreißprobe zwischen der Christdemokratischen und der Christsozialen Union ganz oben auf der Tagesordnung – sondern die in der Europäischen Union. Damit Angela Merkel nah am Kanzleramt sein kann an diesem Tag, einigten sich beide Seiten auf Berlins unmittelbare Nachbarschaft als Tagungsort.

Europa-Klausur soll den Unionsstreit kitten

So oder so soll dort „Europa“ der erste Tagungspunkt sein; auch, wenn die Briten gegen den Brexit stimmen sollten. Denn in der Union herrscht Einigkeit, dass die schlichte Angst vor einem Referendum sechs Jahrzehnte nach den Römischen Verträgen ein Alarm dafür ist, dringend die Europapolitik zu ändern. Wie genau, darüber werden CDU und CSU grundsätzlich diskutieren.

Bei den Christsozialen möchte man mehr Subsidiarität als in Merkels Partei gefordert wird. Allerdings sind die gesetzten Wortführer der Debatte, Finanzminister Wolfgang Schäuble für die CDU und EVP-Fraktionschef Manfred Weber für die CSU, hier gar nicht weit auseinander.

Das zeigt gleich zu Beginn, dass diese Klausur ein Konsensversuch sein soll. Keine Versöhnungsparty, aber eben doch der Beginn eines neuen, wieder gemeinsamen Weges Richtung Bundestagswahl. Deshalb auch der neutrale Ort, der beide zur Einkehr zwingen soll: die Halbinsel Hermannswerder umrahmt von der Havel. „Denn niemand könnte bei sich zu Hause im gewohnten Umfeld ernsthaft in Klausur gehen“, sagt einer der Organisatoren des Treffens.

Elitärer Betriebsausflug

25 Teilnehmer werden dort sein. Neben den Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer sind die beiden Generalsekretäre eingeladen sowie alle elf jeweiligen stellvertretenden Parteivorsitzenden, CDU/CSU-Fraktionschef Kauder und die CSU-Landesgruppenchefin Hasselfeldt, die Chefs von Kanzleramt und bayerischer Staatskanzlei und alle Unions-Ministerpräsidenten.

Es ist demnach eine Art elitärer Betriebsausflug, für den möglichst viele durch eine eigene Aufgabe eingebunden werden. Es soll zwar kein offizielles Programm geben, um die geplante „offene Diskussion“ nicht in ein formales Korsett zu pressen. Aber ein Ablauf wurde am Freitag im Kanzleramt gemeinsam mit Seehofer sehr wohl geplant.

Merkel will neue Flüchtlingsbewegung verhindern

Nach dem Europa-Punkt soll das Thema „Migration und Flüchtlingspolitik“ besprochen werden. Hier sieht die CSU Merkel längst auf ihrem Kurs, wo man nicht einmal mehr verlangt, dass die Kanzlerin das offen zugeben solle. Es reicht Führenden in der CSU, dass Merkel bereits in kleinen internen Runden versichert habe, wie zuletzt vor Vertretern des Deutschen Städtetags, dass es nicht nochmals zu einem Flüchtlingszuzug wie 2015 kommen werde. Das unbedingte Festhalten Merkels an dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei gilt als Beweis dafür.

Drittes Thema soll am Freitag die „Innere und Äußere Sicherheit“ sein, was auch die Terrorabwehr einschließt. Für etliche in der Union ist auch das verwoben mit dem Migrationskomplex. Tatsächlich kann auch hier abermals der Streit etwa um strengere Grenzkontrollen, im Zweifel gar um Grenzschließungen wieder aufflammen, der durch das Aussetzen der Dublin-Regeln am 4. September 2015 zwischen Merkel und Seehofer entflammt war.

Doch beide Seiten wollen keinen Showdown und nicht einmal klären, ob sie nun mit einem gemeinsamen oder zwei Wahlprogrammen 2017 in die Schlacht ziehen werden. „Das liegt einzig bei der CSU“, sagt einer von Merkels Männern. „Die hält sich diese Option offen, und wir akzeptieren das.“

Zeichen stehen auf Harmonie

Seehofer hat Merkel mehrfach gesagt, dass die CSU die Bundestagswahl wieder mit ihr an der Spitze gewinnen wolle. Das aber setze voraus, „diese natürliche Gemeinsamkeit wieder herzustellen“, wie Seehofer es in solchen Gesprächen nennt. Er meint damit, dass Wähler in allen Themen nur marginale Unterschiede zwischen CDU und CSU erkennen sollen können.

Dazu scheint auch Klärung jenseits der Flüchtlingsdebatte nötig. Das zeigt die Themenplanung für den Samstag. Über „Wettbewerb und Innovation“ wird gesprochen, der „Gesellschaftliche Zusammenhalt und Sozialpolitik“ ist eine weitere Überschrift sowie das Thema „Umwelt und Ressourcen“.

Alle Zeichen stehen demnach auf Harmonie und Miteinander. Zu viel Euphorie jedoch wirkte unglaubwürdig, das wissen beide Seiten der Union. Sie sind sich aber auch einig: Den alten Streit erbittert fortzusetzen wäre fatal. Und die Sorge um den Brexit hat sie darin bestärkt.

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Barbara Kröger | Mi., 22. Juni 2016 - 11:55

Aber Herr Schmiese, Sie verwirren mich! Warum will denn Frau Merkel auf einmal eine neue Flüchtlingsbewegung nach Deutschland verhindern? Will sie uns etwa die enorme Bereicherung durch hochqualifizierte Menschen vorenthalten? Wo wir doch ohne diese Zuwanderung degenerieren….Ach ja, am Donnerstag dürfen die Briten über ihre EU-Mitgliedschaft abstimmen und im kommenden Jahr steht eine Bundestagswahl an und all die hochqualifizierten Zuwanderer dürfen ja noch nicht wählen. Wirklich Pech für Frau Merkel! Andererseits schwimmt sie ja wie ein Fisch im Wasser, mal hierhin, mal dorthin - wohin sie wohl jetzt wieder schwimmt?

Christa Wallau | Mi., 22. Juni 2016 - 12:26

Verantwortungsvolles, vernünftiges politisches Handeln und Rechenschaft ablegen gegenüber dem Bürger sieht natürlich anders aus.

CDU und CSU bauen jedoch fest darauf, daß sich die verunsicherte Bevölkerung schon dankbar aufatmend zurücklehnt, wenn von ihren großen Vorsitzenden (Merkel und Seehofer) nur das Signal ausgeht: "Wir zanken uns nicht mehr. Letztlich ist doch alles ganz gut ausgegangen, Fehler gestehen wir nicht ein, konkrete Pläne für die Zukunft haben wir auch nicht; Hauptsache ist: 2017 sammeln wir genügend Wählerstimmen ein..."

"...um mit dem Murks fortfahren zu können!"
(Das ist jetzt von mir.)

Stefan Heimler | Mi., 22. Juni 2016 - 12:50

Es gehört einige Realitätsverweigerung zu der Behauptung, ein Abspalten "einer wichtigsten Mitgliedsstaaten der EU" fördere das Miteinander.

Dirk Menzel | Mi., 22. Juni 2016 - 13:04

Bei den Asiaten gibt es eine Tradition, sich beim Verstoß gegen die Pflicht oder bei Verletzung der Ehre seinem Leben mit einem Schwert ein Ende zu setzen.
Daher schlage ich vor, die kommunistischen Hochkomissare von CDU/CSU gehen bei ihrem Treffen asiatisch Essen. Vielleicht bringt sie das auf die ein oder andere gute Idee. (Multikultureller Einfluss soll ja ausschließlich positiv sein).
Seppuku, eine ritualisierte Art des Suizids, ist zwar eigentlich nur eine Tradition für Männer. Aber ich denke beim Merkel können wir ja mal eine - nachvollziehbare - Ausnahme machen. (Außerdem schaffen unsere wissenschaftsfeindlichen Volksverräter sowieso gerade die Geschlechter ab).

Karola Schramm | Mi., 22. Juni 2016 - 13:08

Sorge um den Brexit soll beide Parteien wieder zusammenschweißen ?
Das klingt so wie bei Ehepaaren, die wissen, dass sie sich nicht mehr vertrauen können und hoffen, dass ein Kind sie wieder vereinen könnte. So ein Denken hat selten bis nie funktioniert.

FÜR den Brexit sind all die, die kein Vertrauen in die englische, sehr starke neoliberale, neokonservative und damit auch elitäre Wirtschaftspolitik haben. Die anderen, die sich eher zu den Transatlantikern zählen und Amerika und England mit ihrer aggressiven, neoliberalen Verarmungspolitik zustimmen, hoffen natürlich auf einen Verbleib Englands in der EU, da mit dessen Macht die Chance auf neoliberale Veränderung in Europa steigt.

Für die deutsche Politik würde ein Brexit so gut wie nichts bedeuten, denn die hat sich sowieso schon für die amerikanische, neo-feudal/neolieberale Kriegs- und Wirschaftspolitik entschieden.

Insofern haben beide Parteien einen schönen Betriebsauslflug auf Staatskosten.

Oli Farnbach | Mi., 22. Juni 2016 - 13:41

Erstaunlich solche Worte noch mit ernstem Gesicht von sich geben zu können. Es scheint der Autor hat fast so viel schauspielerisches Talent wie die Bundeskanzlerin. Ironisch wie Intellektuelle, vor einer Zeitenwende, stets die letzten zu sein scheinen, die keine Ahnung vom kommenden Ideologiewechsel haben. Dabei sollten Intellektuelle ja eigentlich der Zeit voraus sein. Ich werde der Deutungshoheit von Herrn Schmiese nicht nachtrauern. Es war keine schöne Zeit mit ihm.

Julian | Mi., 22. Juni 2016 - 18:26

Typisch Merkel: Nichts entscheiden, den schönen Schein wahren und hoffen, dass es irgendwie weitergeht. Die hat aus der DDR wirklich die falschen Lehren gezogen... "Vorwärts immer, rückwärts nimmer!" Lieber Vollgas voraus, statt auf Fehler zurückblicken und, Gott bewahre, aus ihnen lernen.

Merkels Flüchtlingsdeal mit der Türkei, welcher vermutlich platzen wird, wird absolut keine Wirkung zeigen, wenn demnächst die Migrantenlawine aus Afrika auf die EU prallt. Was will sie machen? Mit jedem Staat Nordafrikas einen Deal aushandeln und korrupten Islamistenregierungen Milliarden in den Rachen schieben?

Merkel geht es einzig und allein um ihre eigene Zukunft, was u.a. ihr politisches Erbe mit einschließt. Sie ist versessen darauf, als die Schutzheilige der Asylforderer in die Geschichte einzugehen, auch wenn sie dafür einen Staat in den Abgrund reißen muss. Und die Union weigert macht immer mit. Despoten können eben bis zum Schluss damit rechnen, dass ihnen keiner gefährlich wird.

Jürgen Dannenberg | Do., 23. Juni 2016 - 10:04

Die Union will den inneren Frieden finden? Soll sie gerne - auf dem politischen Friedhof.

Gudrun Philipp | Fr., 24. Juni 2016 - 14:36

Sie haben eine sehr treffende Beschreibung für die deutsche Kanzlerin getroffen, Julian. Sie wäre sicherlich sehr gern in die europäische Geschichte als "Mutter Theresa II" eingegangen. Ja, dumm gelaufen, wenn man alle Türen ohne Überprüfung der Migranten öffnet. Jetzt sind sie da und ihre muslimischen Verbände werden Forderungen stellen, gegen die dann der deutsche Justizminister neue Gesetze erlassen muß, wie z.B. sog. Kinderehen oder Zwangsehen. Das ist nur ein Teilaspekt. Ich bin nicht sicher, ob eine Integration dieser Menschen aus einer so anderen Kultur als der abendländischen gelingen wird, und das ist eine Angst, die viele Europäer umtreibt und nach dem Brexit weitere EU-Referenden auf den Weg bringen wird, siehe Frankreich und die Niederlande.