Israelis gedenken am heutigen Jahrestag unter anderem der Opfer des Massakers auf dem Nova-Musikfestival / dpa

Jahrestag des 7. Oktober - Israels aufgezwungener Sieben-Fronten-Krieg

Seit dem Pogrom vom 7. Oktober 2023 führt Israel einen legitimen Selbstverteidigungskampf. Da in der EU zu viele israelkritische Stimmen zu vernehmen sind, sollte gerade Deutschland seiner Staatsräson gerecht werden und sich gegen jede Kraft stellen, die die Existenz Israels gefährdet.

Autoreninfo

Thomas Volk leitet seit August 2024 die Abteilung Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Der promovierte Nahostwissenschaftler leitete zuletzt das KAS-Büro in Israel und war zuvor für die Stiftung von Tunesien aus für den südlichen Mittelmeerraum zuständig. 
 

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Am 7. Oktober jährt sich erstmalig der „schwarze Samstag“, der düsterste Tag in der jüngeren Geschichte des Staates Israel. Palästinensische Hamas-Terroristen griffen Israel an diesem Tag, einem Schabbat und hohen jüdischen Feiertag, völlig unerwartet und brutal an. Sie töteten feiernde junge Festivalbesucher im Süden Israels, überfielen mehrere Kibbuze an der Grenze zum Gazastreifen, vergewaltigten, folterten und entführten unschuldige Zivilisten. Mehr als 1200 Menschen wurden an diesem Tag brutal ermordet und mehr als 250 Menschen in die Tunnel unter dem Gazastreifen verschleppt. Von einem Moment auf den anderen hat sich das Sicherheitsgefühl in Israel und vermutlich die gesamte Sicherheitsarchitektur der Levante fundamental verändert.

Israel befindet sich seither in einem anhaltenden Trauma. Der 7. Oktober 2023 stellt eine Zäsur dar, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingebrannt hat. Niemals seit der Schoa, den dunkelsten Tagen der Menschheitsgeschichte, wurden so viele Juden ermordet wie an diesem 7. Oktober. All dies geschah zudem innerhalb der Grenzen des Staates Israel, dem Land also, das die Sicherheit für das jüdische Volk als Gründungsversprechen und Wesensmerkmal verkörpert(e).  

Es geht um den Fortbestand des jüdischen und demokratischen Staates Israel

Während die innenpolitische Aufarbeitung des Komplettversagens der israelischen Sicherheitskräfte und der Netanjahu-Regierung an diesem Tag nach Kriegsende gewiss erfolgen wird, müssen die regionalen Entwicklungen und die israelische Kriegsführung in diesem Kontext verstanden werden. Israel geht es nun vor allem um die Wiederherstellung seiner regionalen Abschreckungsmechanismen. Jedem Staat und jedem Akteur, der Israel angreift, müsse nach israelischer Überzeugung klar werden, dass dies verheerende Folgen habe. Das ist eine Lebensversicherung für den von Feinden umgebenen jüdischen Staat im Nahen Osten.  

Schließlich befindet sich Israel seit dem 7. Oktober 2023 in einem aufgezwungenen Krieg und führt seither einen legitimen Selbstverteidigungskampf an mehreren Fronten. Dabei geht es um nichts Geringeres als den Fortbestand des jüdischen und demokratischen Staates Israel, dessen Existenzrecht von nicht-staatlichen Terrororganisation und dem Iran offen in Frage gestellt wird. Die Islamische Republik Iran nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, da das Mullah-Regime seit Jahrzehnten die Auslöschung des Staates Israel fordert und dafür auch ein breites Netz terroristischer Gruppierungen von der Hisbollah im Libanon über die Huthis im Jemen bis zu schiitischen Milizen in Syrien und im Irak finanziert.  

Israels Sieben-Fronten-Krieg und eine feindliche Öffentlichkeit

Doch auch die arabische Welt befindet sich in einem tiefen Trauma und steht vor unausweichlichen Transformationsprozessen. Der durch den Hamas-Angriff ausgelöste Krieg im Gazastreifen führte dort zu mehr als 40.000 Toten, darunter viele Zivilisten, zu Zerstörung, Vertreibung und einer humanitären Katastrophe. Viele Palästinenser fühlen sich verlassen und vergessen, übrigens nicht nur vom Westen, sondern auch vermehrt von der arabischen Welt. Auch im Libanon mehren sich die zivilen Todeszahlen, und die täglich steigenden Zahlen von Binnenflüchtlingen lassen perspektivisch auch für Europa einen erneut zunehmenden Migrationsdruck erwarten. Wie sich die arabische Welt nach Kriegsende verändern wird, ist heute noch nicht abschließend absehbar.  

Während die internationale Öffentlichkeit und zu oft auch die Vereinten Nationen für das Leid im Gazastreifen vor allem Israel verantwortlich machen, ist die Situation deutlich komplexer. Israel sieht sich mit Hamas und Hisbollah mörderischen Terrororganisationen gegenüber, die die Auslöschung Israels anstreben. Es war seit Kriegsbeginn Teil der perfiden Strategie der Hamas, hohe palästinensische Opferzahlen gezielt in Kauf zu nehmen, damit in der internationalen Öffentlichkeit Israel – das angegriffene Land – als Aggressor wahrgenommen wird. Dabei waren es Hamas-Kämpfer, die sich seit Beginn hinter Zivilisten verschanzten und Israel aus zivilen Einrichtungen wie Kindergärten und Krankenhäusern beschossen. Auch die Hisbollah stand im Verdacht, einen Angriff ähnlich dem 7. Oktober auf den Norden Israels vorzubereiten.  

Ein Jahr nach Kriegsbeginn sind noch immer über 100 israelische Geiseln in der Hand der Hamas. Deren Anführer im Gazastreifen, Yahia Sinwar, scheint sich noch in dem Küstenstreifen zu befinden – vermutlich umgeben von den letzten noch lebenden Geiseln. Während die Rückkehr der Geiseln weiterhin oberste Priorität haben muss, scheint die militärische Schwächung der Hamas nach der Operation in der ägyptischen Grenzstadt Rafah und der Kontrolle über den Philadelphi-Korridor weitgehend gelungen zu sein. Zentrale Zukunftsaufgaben bleiben die ideologische Deradikalisierung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, die Etablierung einer realistischen politischen Zukunftsvision für den Gazastreifen und der Wiederaufbau nach Kriegsende. All dies dürfte mindestens ein Jahrzehnt dauern und wird auch die grundsätzliche Frage nach der Realisierbarkeit einer Zweistaatenlösung revitalisieren. Die Fronten sind auf beiden Seiten verhärtet.  

Seit dem 8. Oktober 2023 sieht sich Israel täglichem Raketenbeschuss ausgesetzt

Doch vorerst bleibt Israels Überlebenskampf. Seit dem 8. Oktober 2023 sieht sich Israel täglichem Raketenbeschuss ausgesetzt. Schiitische Milizen aus Syrien und Irak feuern ebenso auf Israel wie die Huthi-Milizen aus dem Jemen, die zuletzt verstärkt Raketen über tausende Kilometer entfernt auch auf die Metropole Tel Aviv abfeuerten. Die größten Gefährder der regionalen Stabilität und der Sicherheit Israels stellen jedoch der Iran und die von ihm ausgestattete und finanzierte Hisbollah im Libanon dar. Hisbollah und syrische Milizen haben im letzten Jahr allein auf den Norden Israels knapp 10.000 Raketen abgefeuert, im Norden Israels sind über 60.000 Menschen evakuiert und leben seit einem Jahr landesweit verteilt in Hotels oder Notunterkünften.  

Während sich die israelische Armee (Israeli Defense Forces, IDF) in den ersten Monaten vor allem auf die Militäroperation gegen die Hamas konzentrierte, scheiterten alle Versuche einer diplomatischen Konfliktvermeidung mit der Hisbollah. Die wesentliche Forderung Israels, der Rückzug der Hisbollah-Kämpfer über den Litani-Fluss 30 Kilometer von der Grenze Israels entfernt, blieb ebenso unerfüllt wie die Einstellung der täglichen Raketenangriffe. Der US-Gesandte Amos Hochstein konnte über ein Dreivierteljahr nicht zu einer Deeskalation beitragen; die Vereinten Nationen bewirkten ebenso nicht die Einhaltung ihrer Resolution 1701. 

Während die Hisbollah um ihren Anführer Hassan Nasrallah ein Ende ihres Beschusses an einen Waffenstillstand in Gaza knüpften, eskalierte die Lage seit Ende Juli weiter, nachdem bei einem Hisbollah-Beschuss im Norden Israels zwölf drusische Kinder getötet wurden. Je mehr sich die militärischen Erfolge gegen die Hamas einstellten, umso mehr widmete sich die IDF fortan der nördlichen Front. Im September wurde die Rückkehr der israelischen Bevölkerung in den Norden als weiteres Kriegsziel durch das israelische Kabinett beschlossen. Seither werden Bataillone in den Norden verlagert, Ende September begann eine israelische Bodenoffensive im Libanon.

Der Iran bleibt Israels zentrale Bedrohung

Israels Strategie der Kriegsführung wurde spätestens seit Mitte des Jahres deutlich: maximale Abschreckung und Schwächung der Gegner durch strategisch gezielte Ausschaltung der terroristischen Führungseliten. Zuerst erfolgte Ende Juli die Eliminierung von Fouad Shukur, einem der zentralen Hisbollah-Militärchefs, in einem Vorort von Beirut. Die spektakuläre Ausschaltung des Hamas-Politbürochefs Ismail Hanija bei der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten in Teheran Anfang August sowie zuletzt die gezielte Tötung des Hisbollah-Anführers Nasrallah mitten in der libanesischen Hauptstadt Beirut zeigen zweierlei: Israel verfügt über exzellente Geheimdienstinformationen, die die legendären Kapazitäten des Auslandsgeheimdienstes Mossad wiederherstellen. 

Außerdem wird die gezielte Botschaft an alle Terrorgruppen der Region und den Iran gerichtet, dass alle Feinde Israels früher oder später gefunden und ausgeschaltet werden können. Dies wurde am wirksamsten Mitte September deutlich, als im Libanon landesweit gleichzeitig tausende Pager und am Folgetag weitere Funkgeräte explodierten und dabei dutzende Hisbollah-Anhänger getötet und Tausende verletzt wurden. Seither herrscht nicht nur Panik und Verunsicherung innerhalb der Hisbollah, sondern auch in Teheran wird das Regime nervöser – dadurch aber auch unkalkulierbarer.

Der Iran bleibt Israels zentrale Bedrohung. Bereits am 14. April wagte der Iran einen historischen Dammbruch, als es erstmals seit der islamischen Revolution 1979 direkt Israel militärisch anzugreifen wagte. Es wurden 65 Tonnen Sprengstoff mit über 300 Geschossen auf Israel gerichtet. Obschon 99 Prozent der Raketen und Drohnen damals abgewehrt werden konnten, vor allem da der Angriff angekündigt war, wusste die iranische Führung seither, wie ein solcher Angriff verlaufen kann. 

Die seit der Tötung Hanijas angekündigte Vergeltung erfolgte schließlich nach der Tötung Nasrallahs durch den zweiten iranischen Angriff am 1. Oktober. Diesmal wurden knapp 200 ballistische Raketen auf Israel gezielt, vor allem auf die Metropole Tel Aviv. Nahezu 10 Millionen Israelis wurden in Schutzräume und Bunker gezwungen, erneut kurz vor einem hohen jüdischen Feiertag. Einziges Opfer dieses Angriffs ist ein Palästinenser aus dem Gazastreifen, der in Jericho im Westjordanland durch ein herunterfallendes Raketenteil getötet wurde.

Die Veränderung des Nahen Ostens  

Ein Jahr nach Kriegsbeginn scheint eine offene militärische Konfrontation zwischen Israel und dem Iran nicht mehr unmöglich. Israel kündigte bereits einen Gegenschlag im Iran an, diskutiert wird ein Angriff auf die kritische Infrastruktur des Iran – womöglich Ölanlagen. Die Schwächung iranischer Angriffskapazitäten liegt im Sicherheitsinteresse Israels und der westlichen Welt, insbesondere da eine atomare Bewaffnung Irans unter allen Umständen verhindert werden sollte. Der Iran zeigte durch die Angriffe im April und Oktober, dass er willens und in der Lage ist, Israel direkt anzugreifen. Nur aufgrund einer breiten Allianz der USA, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und regionaler Verbündeter wie Jordanien und Saudi-Arabien konnten die iranischen Angriffe abgewehrt werden. Die Bildung einer internationalen Anti-Iran-Koalition sollte daher weiter vorangetrieben und noch stärkere Sanktionen gegen den Iran angestrebt werden. Ohne die Unterstützung der USA wird eine weitere militärische Eskalation mit dem Iran jedoch nicht möglich sein.

Die weitere Isolierung und Schwächung des iranischen Regimes ist nicht nur im existentiellen Interesse Israels, sondern auch im Kontext der globalen Systemrivalität ein europäisches und deutsches Interesse. Russland und China blicken als destabilisierende Akteure auch auf die Kriege in Nahost und machen kein Geheimnis aus ihrer proiranische Grundhaltung. Die seit 2020 bestehenden Abraham-Abkommen sind ein wichtiger Eckpfeiler für die möglichen Veränderungen in der Region. Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben ihre Beziehungen zu Israel normalisiert. Saudi-Arabien stand vor dem 7. Oktober 2023 kurz davor. 

Nach den US-Präsidentschaftswahlen im November sollte daher nicht nur eine stärkere Anti-Iran-Achse gebildet, sondern auch die arabischen Normalisierungsbestrebungen mit Israel vorangetrieben werden. Da innerhalb der EU zu viele israelkritische Stimmen zu vernehmen sind, sollte gerade Deutschland seiner Staatsräson gerecht werden und sich diesen Ansätzen anschließen. Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass Deutschland als enger Freund und Verbündeter an der Seite Israels steht und sich entschieden gegen jede Kraft stellt, die die Existenz Israels gefährdet.   

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Henri Lassalle | Mo., 7. Oktober 2024 - 16:47

Weiter kämpfen ! Bis zur totalen Zerschlagung von Hisbollah und Hamas, die Existenz des Staates Israel steht auf Spiel; ich fürchte, das wissen viele Menschen im Westen nicht oder können es nicht ermessen.
Israel hatte immer viele Feinde, auch während des 6-Tage-Krieges 1967. Und es hat gesiegt !

Reinhold Schramm | Mo., 7. Oktober 2024 - 17:36

Die Vertreibung und Umsiedlung von Millionen Deutschen:
Zwölf Millionen Deutsche wurden zum Kriegsende aus Osteuropa und vormals ostdeutschen Gebieten evakuiert, flohen in Trecks, wurden deportiert oder ausgewiesen.
Zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 befand sich fast die Hälfte der über 15 Millionen umfassenden deutschen Bevölkerung der Ostprovinzen sowie der Siedlungsgebiete in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien westlich der Oder und Neiße.
Sie fanden in den Jahren nach Kriegsende ihre Aufnahme in Westdeutschland (der späteren BRD) und Mitteldeutschland (der späteren DDR).

Für das Jahr 2024 wird die Gesamtbevölkerung in Palästina auf rund 5,5 Millionen Einwohner:innen prognostiziert. Im Jahr 2050 wird die Bevölkerung geschätzt rund 8,4 Millionen Einwohner betragen. (Statista.com)

Die unumgängliche Umsiedlung der Palästinenser:
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Nachtrag, Teil II.

Reinhold Schramm | Mo., 7. Oktober 2024 - 17:38

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Im Gegensatz zur Nachkriegsgeschichte der Deutschen würden eine Eigenstaatlichkeit und der Verbleib der Palästinenser zu fortwährenden blutigen Anschlägen und militärischen Auseinandersetzungen mit Israel führen. Von daher ist auch eine gemeinsame Grenze mit Israel dauerhaft ausgeschlossen.

Es gibt allenfalls die Lösung für eine Eigenstaatlichkeit Palästinas auf dem Territorium der Golfmonarchien und deren nachhaltige Finanzierung aus dem parasitären Reichtum der Könige, feudal-religiösen Oligarchen und Prinzen.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Aufnahme und Ansiedlung in Nordamerika. Ebenso in der Aufnahme durch die EU-Staaten Westeuropas und speziell Deutschlands.

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