
- Trump wird „Chimerica“ nicht zerstören können
Mit der Rückabwicklung der amerikanisch-chinesischen Symbiose und dem Versuch einer De-Globalisierung stößt US-Präsident Donald Trump an seine Grenzen. Zu sehr sind beide Länder industriell und finanziell miteinander verflochten.
Im Jahr 2003 riefen die Ökonomen Michael Dooley, David Folkerts-Landau und Peter Garber in einem einflussreichen Artikel ein „Bretton-Woods II“-System der Wechselkurse aus. Wie im ursprünglichen, von 1944 bis 1971 bestehenden Bretton-Woods-Währungssystem würden wichtige Schwellenländer wie China ihre Wechselkurse an den US-Dollar koppeln. Damit wären sie in der Lage, ihre Industrien durch hohe Exportüberschüsse mit den USA zu entwickeln. Im Gegenzug würden sie Kapital in die USA exportieren und den USA hohe außenwirtschaftliche Defizite erlauben. Im Jahr 2006 prägten der Historiker Niall Ferguson und der Ökonom Moritz Schularick dafür den Begriff „Chimerica“. China und die USA wären eine Symbiose. Während China spart und seine überschüssigen Güter in die USA exportiert, würden die USA mehr konsumieren als produzieren und die Lücke mit Güterimporten aus China füllen. Finanziert würde diese Beziehung mit Chinas massivem Kauf von US-Staatsanleihen.
Zu dieser Zeit habe ich die chinesisch-amerikanische Symbiose als Lösung des von Karl Marx identifizierten Problems der Überproduktion im Zuge der Industrialisierung im kapitalistischen England interpretiert. Bei Marx wandern die durch die Mechanisierung überflüssig gewordenen Landarbeiter in die Städte, wo sie in der Industrie beschäftigt werden. Die Produktivität steigt sowohl in der Landwirtschaft als auch im verarbeitenden Gewerbe. Aber da die Löhne gedrückt bleiben, solange die Abwanderung vom Land anhält, kommt es zu Überproduktion und Unterkonsum. Ruinöse Konkurrenz unter den Unternehmen verringert die Löhne weiter, die Arbeiter verelenden, und es kommt schließlich zur Revolution des Proletariats.
Von der Symbiose profitierten beide Seiten
Marx Prognose erwies sich schon im Falle Englands als falsch. Auswanderung in die Kolonien verringerte den Druck auf den Arbeitsmarkt, und die Entstehung von Gewerkschaften wirkte dem Verfall der Löhne entgegen. Im Falle Chinas war „Chimerica“ das Sicherheitsventil, welches das kommunistische Regime – in einer Ironie der Geschichte – vor der marxistischen Revolution bewahrte.
Von der Symbiose profitierten beide Seiten. Im Zuge der Industrialisierung wuchs China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt, während die USA einfachere Güter im Tausch gegen Staatsanleihen importieren konnten. Das half den amerikanischen Konsumenten und erlaubte den Unternehmen, ihre Ressourcen auf die Entwicklung von Spitzentechnologie zu konzentrieren. Doch es gab auch Verlierer aus dieser Symbiose. Jobs in den älteren Industriezweigen wanderten aus den USA ab. Und nur wenige dadurch freigesetzte Industriearbeiter schafften den Aufstieg in die Wissensökonomie. Viele mussten sich mit schlecht bezahlten Ersatzjobs in einfachen Dienstleistungsgeschäften begnügen oder wurden langfristig arbeitslos. Familien wurden zerrüttet und der Drogenkonsum stieg.
In seiner zu einem Weltbestseller gewordenen Autobiografie „Hillbilly Elegy“ schildert US-Vizepräsident J.D. Vance die Lebensumstände dieser Verlierer der Globalisierung. Obwohl Donald Trump aus einer reichen New Yorker Familie stammt und anders als sein Vizepräsident mit den Globalisierungsverlierern nichts gemein hat, hat er diese von anderen Politikern lange vernachlässigte (und von Hillary Clinton „erbärmlich“ genannte) Gruppe als Wählerpotenzial entdeckt und für sich erschlossen. Sein Ziel ist es, mit einer aggressiven Zollpolitik die verlorenen Jobs in der Industrie zurückzuholen. Im Fokus stehen dabei folgerichtig China und die Zerstörung von „Chimerica“. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich China vom Partner in der Symbiose zum Wettbewerber der USA um die Weltmacht entwickelt hat.
Finanzmärkte und Unternehmer setzen Trump Grenzen
Mit der Rückabwicklung von „Chimerica“ und dem Versuch einer „De-Globalisierung“ stößt Trump jedoch an seine Grenzen. Die Finanzialisierung der US-Wirtschaft ist zu weit entwickelt, und die USA sind als Spinne im Netz des globalen Finanzsystems zu tief verankert, als dass Trumps Programm der Reindustrialisierung ohne große Verwerfungen verwirklicht werden könnte. Angesichts der industriellen Verflechtung und der Gläubiger-Schuldner-Beziehung zwischen China und den USA ist auch eine abrupte Beendigung der chinesisch-amerikanischen Symbiose kaum möglich.
Wäre Donald Trump ein Politiker vom Schlage Josef Stalins oder Mao Tse-Tungs, würde er sein Vorhaben ohne Rücksicht auf Verluste durchpeitschen, auch wenn es die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft in den Ruin stoßen würde. Doch davor schreckt er zum Glück zurück. Als der für das globale Finanzsystem lebenswichtige Markt für US-Staatsanleihen ins Wanken geriet, setzte er die von ihm verkündeten „reziproken“ Zölle für 90 Tage aus. Und als die volle Tragweite seiner Strafzölle auf Importe aus China sichtbar wurde, nahm er Smartphones, Computer und einige andere elektronische Produkte von diesen Zöllen aus.
Allerdings wäre es verfrüht, zu erwarten, dass Trump sein Projekt der Zerstörung „Chimericas“ und der De-Globalisierung nun schnell aufgeben würde. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er seine Grenzen weiter austesten. Diese werden ihm nicht nur von seiner Beliebtheit bei den Wählern, sondern auch von den Finanzmärkten und den Unternehmern gesetzt, die seine politische Karriere finanziell unterstützt haben und weiter unterstützen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Gruppe, die man mit den „Robber Barons“, den Industriemagnaten Ende des 19. Jahrhunderts, vergleichen könnte, tatenlos zusehen wird, wie die erratische Politik Trumps ihre Geschäfte ruiniert. Schlussendlich dürften daher die Finanzmärkte und die neuen „Robber Barons“ Donald Trump einhegen. Bis dies so weit ist, bleibt jedoch die Unsicherheit groß und die Volatilität der Finanzmärkte hoch.
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Danke für diese Analyse, die sich von der allgemeinen Hysterie-Berichterstattung abhebt. Die gegenseitige Abhängigkeit erlaubte den USA eine Staatsverschuldung von aktuell rund 120% des BIP. Das Engagement Japans in US-Anleihen liegt noch höher. Wie lange dieses Land "stillhält" ? China testet schon jetzt seine starke Stellung aus.
Ich verstehe die Argumente und dass man nichts von heute auf morgen ändern kann. Aber heißt das, dass man gar nichts ändern soll oder kann?
Mir leuchtet es ein, dass die deutschen Exportüberschüsse nicht ewig bestehen bleiben können. Was ist hier der Plan?
Mir leuchtet es auch ein, dass die USA bei wachsender asiatischer und anderer Wirtschaft irgendwann zu klein werden, um die Spinne im Netz zu spielen. Sollte man es bis zu diesem Punkt einfach laufen lassen?
Mir leuchtet es auch ein, dass politische Unabhängigkeitsziele der USA, auch anderer westlicher Staaten, aber insbesondere asiatischer Staaten die Verflechtung nicht unbegrenzt tief haben wollen. Sollte man nicht versuchen diesen wahrscheinlich ohnehin auch laufenden Prozess selber mit zu steuern?
Welche Politik sollten denn die USA nun machen?
Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob Trump extra übers Ziel hinausschießt, um möglichst viel Druck aufzubauen, um am Ende weniger, aber eben das eigene Ziel erreichen zu können oder ob es einfach nur größenwahnsinnig ist? Ich denke es ist in der Handelswelt doch durchaus üblich, mit Handelsdruck seine Ziele zu verfolgen und auch übersteigerte Forderungen zu stellen, um ein Mindestziel zu erreichen. In jedem Fall ist es wohltuend, mal unaufgeregte Analysen zu lesen, egal, ob alles am Ende zu 100% zutrifft oder nicht. Sachliche Argumente, Ideen, Einschätzungen helfen auch dem eher unbedarften Leser, vieles Mal aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Deshalb Danke Herr Mayer für Ihre immer wieder interessanten Artikel, ob man nun alles genau so sieht, wie sie ist für mich egal.
Immerhin, Produkte mit geringer Wertschöpfung müssen wieder in den USA hergestellt werden, oder in Vietnam, Indien wer weiß. China hatte für amerikanische Investoren den Charme, dass es keine freien Gewerkschaften gibt. Dafür sorgt die KP. Erstaunlich, wie gut sich Erzkapitalisten und Kommunisten verstehen. Was für ein Pech, dass die amerikanische Oligarchie die Stimmen des unteren Drittels der Gesellschaft braucht und die Chips für die Militärtechnik nicht in China bestellen möchte. Sonst hätte Marx ja recht behalten, der Kapitalismus verkauft den Strick an dem man ihn aufhängt. Ich schätze Xi Jinping hat
sich schon die Hände gerieben.
Erst neulich habe ich ein Interview mit Apple Chef Tim Cock gesehen in dem er von den Fähigkeiten und der puren Anzahl der chinesischen, top ausgebildeten Ingenieure schwärmte. Es ging um sogenannte Tool Maker, wobei damit nicht einfache, sondern hochspezialisierte Werkzeuge gemeint sind. Diese Fähigkeiten auch im Ausbildungssystem müssen die USA erst einmal wieder erlangen um mehr strategische Autonomie in besagtem Bereich zu bekommen. Es fällt mir schwer zu glauben das die US Amerikaner kein Interesse an einer guten Ausbildung in diesem Bereich haben, diese jedoch wieder aufzubauen wird dauern. Ebenso kann ein über Jahrzehnte gewachsenes System natürlich nur nach und nach wieder abgebaut werden ohne die angesprochenen negativen Auswirkungen. Die Zollpolitik von Trump könnte den nötigen Anlass geben und die ebenfalls stattfindende Einmischung an den linken Universitäten wieder weniger Geistes- und mehr Ingenieurs- und Naturwissenschaftler hervorbringen. Ein guter Nachfolger is nötig.
natürlich Tim Cook! Und es war eher eine Talkrunde, aber seis drum. Wenn man sich überlegt was für ein Wunderwerk der Technik ein modernes Smartphone ist. Allein die CPU, falls diese denn bei Handys ebenso heißt (GPU ist wohl integriert, mittlerweile ARM Technik, je nach Prozessor und Model) von, zum Beispiel TSMC, benötigt 1000 (!) verschiedene Arbeitsschritte, vieles (alles?) vollautomatisiert. Kein Wunder das Chipfabriken kleine Städte für zig Milliarden von Euro/Doller oder was auch immer sind. Und das ist nur eine Komponente neben den Kameras, heutzutage meist 4 davon, Gyroskopen, Speicher so mächtig wie vor 40 Jahren von Großrechnern, einem hochauflösenden genauen Touchdisplay usw. usf. Bei ST The Next Generation, was in Hunderten von Jahren spielen sollte, gab es so ein mächtiges Allroundgerät nicht.