Commerzbank-Türme in Frankfurt
Die Commerzbank bietet Webinare und sammelt die Daten seiner Nutzer / picture alliance

Pseudojournalismus - Die Werbung stirbt, jetzt kommt das Content Marketing

Content Marketing – diesen Begriff sollten Sie sich einprägen. So heißen Nachrichteninhalte, die von Unternehmen redaktionell erstellt wurden. Das Publikum soll das aber nicht erkennen. Eine Studie zeigt jetzt: Alle DAX-Firmen betreiben diese Form der Werbung im Mäntelchen des Journalismus

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Eine dramatische Liebesgeschichte in einem Kurzvideo, das 17,5 Millionen Mal angeklickt wird. Ein Technikportal zu mobiler Kommunikation, das scheinbar seriöse Produkttests anbietet. Eine Ratgeberseite für Gesundheit: Der Schwarzkopf-Clip, das Magazin eines Telefonanbieters Curved.de sowie das Webangebot gesundheit.de des Pharmahändlers Alliance Healthcare sind Beispiele für professionelles Content Marketing, das aussehen will wie Journalismus. Der Verbraucher soll aber nicht gleich merken, dass dahinter Unternehmen und nicht etwa unabhängige Medienhäuser stehen. Bei Curved.de muss man sich schon bis zum Impressum durchklicken, um den Anbieter zu finden: E-Plus – und die Agentur SinnerSchrader.

Banner und Popups waren gestern: Die neue Werbung will nicht mehr aufdringlich ein Produkt anpreisen, sondern ein Lebensgefühl vermitteln, Tipps geben, Nutzwert liefern – und so möglichst neue Kundengruppen erschließen. Content Marketing geht weiter als reine Unternehmenskommunikation: Statt mit dem Lufthansa Magazin nur die Fluggäste zu erreichen, sollen auch potenzielle Kunden, die noch kein Ticket gelöst haben, über Blogs, soziale Medien und eigene Webangebote erreicht werden.

Journalismus? – „Ich glaube, ja.“
 

Es ist Zeit, dass sich die Internetnutzer kritisch mit Content Marketing befassen. Einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) zufolge nutzen bereits alle 30 Dax-Unternehmen Instrumente dieser PR-Form. Während sich mit Ausnahme von Siemens die Unternehmen aus dem Investitionsgüterbereich (Infineon, Heidelberg Cement) noch zurückhielten, führen einige Konsumgüterhersteller „regelrechte Content-Marketing-Offensiven“, schreiben die Verfasser der Studie, Lutz Frühbrodt von der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, und die PR-Beraterin Annette Floren. Sie haben viele Beispiele gefunden: BMW setzt etwa auf eine Parkassistent-App. Die Commerzbank bietet kostenfreie Webinare und sammelt so fleißig die Daten seiner Nutzer. DHL vermittelt im Zukunftsblog delivering-tomorrow.com eigene Visionen. Red Bull vertreibt seine News über eigene Sportevents gleich direkt bei der Nachrichtenagentur Reuters.

Das Problem: Content Marketing versteht sich nicht mehr als Werbung. Sondern als Journalismus, genauer: „Unternehmensjournalismus“, wie es Branchenverbandschef Andreas Siefke gegenüber den Studienautoren nennt. So sehen es auch die Marketingleute selbst. Agenturinhaber Matthias Schrader antwortete einmal bei einem Podium auf die Frage, ob er mit der E-Plus-Seite Curved.de Journalismus mache, mit: „Ich glaube, ja.“

Hochprofessionelle Journalisten machen jetzt PR


Nur: Journalistische Prinzipien wie Unabhängigkeit und Quellentransparenz gelten bei Curved.de nicht. Die OBS-Studie fand heraus: Fünf der 2015 als „beste“ angebotenen Smartphones konnten direkt bei der E-Plus-Marke Base oder bei O2 bestellt werden, die beide zum Konzern Telefónica Deutschland GmbH gehören.

Aber nehmen die Leser so etwas überhaupt als versteckte Werbung wahr? Schrader zufolge scrollen nur 35 Prozent der Curved.de-Leser bis zum Ende der Seite, wo sie „Eine Initiative der E-Plus-Gruppe“ in kleiner Schrift lesen können.

Schrader sieht mit Content Marketing sogar neue Jobchancen für Journalisten: Denn diese Form der Publizität könne Marktanteile von Google und Facebook zurückerobern. Tatsächlich saugt das „CM“ den Markt für arbeitslose, hoch professionelle Journalisten leer. Im Newsroom des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft etwa sitzen laut OBS-Studie zehn frühere Journalisten. An den Schaltstellen sind frühere Redakteure der 2012 eingestellten Financial Times Deutschland tätig.

Einige Firmenmagazine betreiben auch politische „Berichterstattung“, wie das Unternehmen Nestlé, oder Branchen wie Energie, Banken und Versicherungen. Laut Studie sind es aber vor allem Interessensverbände, die Content Marketing nutzen, um ihre Lobbyinteressen zu verbreiten. Darunter zählen die von den Metallarbeitgebern finanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der mit dem Blog „Industrie pro TTIP“ für das transatlantische Freihandelsabkommen wirbt, oder der Bundesverband Windenergie: Das gibt sich mit dem „Magazin für erneuerbare Energien“ als „eine Art Ökologie-pur-taz“, so die Autoren. Jedoch: Es geht fast immer um Windkraft. Von Solar- oder Bioenergie liest man wenig.

Keine kritischen Fragen


Zunehmend bedienen sich auch Prominente der Unternehmensmagazine. Daniel Brühl sprach im Dezember 2015 auch mit dem Media-Markt-Magazin mediamag.net, um seinen Film „Im Rausch der Sinne“ anzupreisen. Damit verlieh er dem PR-Blättchen den journalistischen „Ritterschlag“, findet Studienautor Frühbrodt. Und Microsoft-Chef Satya Nadella gab im Februar 2014 sein erstes großes Interview als Vorstandsvorsitzender keiner seriösen Tageszeitung, sondern einem Videoblogger aus dem eigenen Unternehmen. Der Vorteil für Nadella: Er musste sich keinen kritischen Fragen stellen.

Was die Studie nicht berücksichtigt hat, ist eine Form von PR, die Prominente sogar noch direkter einspannt: das „Influencer Marketing“. Dabei werden Stars und einflussreiche Social-Media-Akteure dafür bezahlt, ein Produkt bei Facebook oder Twitter anzupreisen. Allerdings erfolgt auch das so, dass die Fans nichts mitbekommen – anders als bei klassischen Werbespots. In Deutschland will das kleine Hamburger Startup Nqyer jetzt das Influencer Marketing groß machen.

Ein Teufelskreis


Frühbrodt und Floren prophezeien, dass die Unternehmen zunehmend ihre Werbebudgets zum Content Marketing umschichten werden. Einbußen bei den Anzeigen wiederum zwingen die Verlage, die Vertriebserlöse zu erhöhen oder Bezahlschranken im Internet einzuführen – was die Leser noch mehr zu kostenfreiem Content Marketing treibt. Ein Teufelskreis.

In ihrer schieren Not nutzen Verlage zunehmend selbst zweifelhafte Werbeformen. Abteilungen für Content Marketing gibt es bereits bei Axel Springer, Gruner und Jahr, Holtzbrinck und Burda. Mitunter weichen die Grenzen zwischen Redaktion und Werbung auf: Spiegel Online veröffentlichte im August 2015 ein „Migräne-Spezial“, das von Thomapyrin gesponsert wurde.

Selbst beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es neuerdings seltsame Verquickungen. Der Hessische Rundfunk suchte im April einen „Redakteur/in Teamleitung hr3 Pop Unit Strategie und Promotions“. Nach Angaben des Senders geht es in den Marketing-Kampagnen darum, während des Zeitraums der Media-Analyse „Aufmerksamkeit für die Marke zu schaffen“ und „Imagewerte zu transportieren. Geeignetes Mittel dafür ist der Einsatz von Großflächenplakaten etc.“ Man könnte auch sagen: Hier ging es um Content Marketing für das eigene Medium. Die Abteilung suchte gezielt nach einer Person mit „journalistischer Erfahrung, da bei der Konzeption, Ausarbeitung und Begleitung aller Programmaktionen journalistische Kriterien beachtet werden müssen“.

Die OBS-Autoren erwarten für die traditionellen Medien nichts Gutes. Ihr Fazit: „Die pseudo-journalistischen Unternehmensmedien zersetzen weiter den unabhängigen Journalismus, ob dies gewollt ist oder nicht.“

Dagegen kennen sie nur ein Mittel: Bildung, Bildung, Bildung. Für eine funktionierende Demokratie braucht es eben nicht nur kritischem Recherchejournalismus, sondern auch Bürger, die sich nicht ganz so leicht manipulieren lassen.

Lutz Frühbrodt und Annette Floren (Co-Autorin): Content Marketing - Wie „Unternehmensjournalisten“ die öffentliche Meinung beeinflussen. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt am Main 2016, online verfügbar.

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Ulrich Tröger | Di., 14. Juni 2016 - 16:23

Als Verkaufs- und Marketingleiter in einem Grosshandelsunternehmen durfte ich mich auch mit dem Aufbau von Ecommerce, B2B bzw. B2C-Beziehungen befassen. Der Begriff "Content-Marketing" war uns auch schon bekannt, also haben wir ein paar A4-Seiten mit (hauptsächlich Produktneuheiten, Entwicklungen...) News beschrieben -fertig. Alles ohne Hochglanz und nicht gebunden. Heute undenkbar, aber es "kam gut an". Der Unterschied zu heute? Unsere Beschreibungen waren ehrlich und nachvollziehbar. Auswirkungen auf die "Marge"??? Wir haben daran geglaubt...Heute: Die mediale Wucht und deren Dauer, die schriftstellerische Begabung und die Präsenz, immer und überall, bis der Konsument sich ergibt. Und hier, liebe Frau Sorge, bin ich zu 100% bei Ihnen: Bildung, Bildung, Bildung und für eine funktionierende Demokratie unabhängige, umfassend gebildete m/w Recherchejournalisten mit einem Hintern in der Hose, was bestimmt nicht einfach ist. Nun brauchen wir nur noch den von Ihnen beschriebenen Bürger.

Thomas Nuszkowski | Sa., 18. Juni 2016 - 16:12

ZITAT: "Der Hessische Rundfunk suchte im April einen „Redakteur/in Teamleitung hr3 Pop Unit Strategie und Promotions“. Nach Angaben des Senders geht es in den Marketing-Kampagnen darum, während des Zeitraums der Media-Analyse „Aufmerksamkeit für die Marke zu schaffen“ und „Imagewerte zu transportieren. Geeignetes Mittel dafür ist der Einsatz von Großflächenplakaten etc.“ Man könnte auch sagen: Hier ging es um Content Marketing für das eigene Medium." Die Begriffe hinterhältig und verschlagen fallen mir da ein. Und ja, der seriöse Journalismus wird zersetzt. Der Frust der Leser wird dereinst an Ihre Adresse gerichtet. Kaum einer wird den Konzernen Vorwürfe machen. Dadurch wird das Vertrauen in den seriösen Jounalismus noch weiter unterminiert. Deswegen sollten sich nicht nur die Leser mit Content Marketing auseinandersetzen sondern vor allem der Journalismus selbst. Und die diesbezügliche Bildung könnte auch von Ihnen kommen (wie in diesem Artikel). Es wäre in ihrem eigenen Interesse.

Laura Bender | Di., 12. Juli 2016 - 12:20

Ich habe gerade mein Essay zum Thema Content Marketing für die Uni vor einer Woche abgeschickt und freue mich, dass ich nicht die einzige bin, die scheinbar skeptisch dem CM gegenübersteht, zumindest konnte ich sehr sehr viele Parallelen in unseren Texte wiederfinden. In dem Bereich muss noch mehr aufgeklärt werden. Packen wir es an!