Rauchschwaden über Bachmut
Nach Angriffen steigen am 27. Dezember über den Außenbezirken der ostukrainischen Stadt Bachmut Rauchschwaden in die Luft / dpa

Ukrainekrieg - Die Größe des Übels und die Höhe des Risikos

Der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel sieht eine Pflicht der Ukraine, sich auf Verhandlungen mit Russland einzulassen. Doch sein Argument scheitert. Vielmehr gilt: Nicht zu verhandeln ist keine Verantwortungslosigkeit. Eine Erwiderung auf Merkels Kommentar von Uwe Steinhoff.

Autoreninfo

Uwe Steinhoff ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Freedom, Culture, and the Right to Exclude – On the Permissibility and Necessity of Immigration Restrictions“.

So erreichen Sie Uwe Steinhoff:

Gleich zu Beginn der russischen Invasion der Ukraine wurde dieses Land in einem auch von dem Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel unterzeichneten offenen Brief an den Bundeskanzler faktisch zur Kapitulation aufgerufen. Verteidiger des Aufrufes protestierten angesichts scharfer Kritik, dies sei eine Fehlinterpretation gewesen. Tatsächlich war diese Interpretation logisch und semantisch zwingend.

Es sei dahingestellt, ob Merkel in einem soeben in der FAZ erschienenem weiteren Beitrag nicht abermals die Pflicht der Ukraine zur Kapitulation impliziert. Explizit jedenfalls argumentiert er sich – auf die Theorie des gerechten Krieges stützend – lediglich für eine Pflicht der Ukraine, sich auf Verhandlungen mit Russland einzulassen. Auch dieses Argument scheitert jedoch, denn Merkel missversteht die Theorie des gerechten Krieges ebenso sehr wie die sich aus der politischen Ethik ergebenden Pflichten der ukrainischen Regierung gegenüber ihrem Volk.

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Klaus Funke | Mi., 4. Januar 2023 - 11:44

Im alten Griechenland gab es die Philosophengruppe der Sophisten. Diese rechtfertigten ja nach Bedarf und Bezahlung jedes Szenario mit markigen, philosophischen Begriffen und Worten. Herr Prof. Steinhoff scheint mir dieser Gruppe anzugehören. Und zwar derjenigen, die den eingeschlagenen westlichen Weg um jeden Pfeis zu rechtfertigen versuchen. Die ukrainische Bevölkerung nehme um den Preis ihrer Freiheit gegen Russland jede Mühe und auch den Tod auf sich. Woher stammt dieser Unsinn? Er ist mediengemacht. Ich habe Bekannte und Verwandte in Russland und in der Ukraine. Ja, es stimmt das ukrainische Volk ist wie das russische von großer Leidensfähigkeit. In der Ukraine herrscht das Kriegsrecht. Von der Staatsdoktrin abweichende Meinungen können mit dem Tod bestraft werden. Die Leute haben einfach Angst, das Maul aufzumachen... und so kommt immer der gleiche westliche Salm heraus. Wer daran glaubt, betrügt sich am Ende selbst. Wenn die Leiden zu groß werden, entlädt sich der Volkszorn. Qe

Tomas Poth | Mi., 4. Januar 2023 - 12:01

Die besteht zu mindestens darin das Töten und Zerstören zu beenden.
Das menschliche wird dem Kriegswillen auf beiden Seiten geopfert.
Die in Aussicht gestellte, sogenannte brutale Unterdrückung, die auch hier als Argument benutzt wird, ist nur ein Scheinargument der Bellizisten zur Rechtfertigung ihres Handelns. Man schaue nur auf die Ergebnisse der völkerrechtswidrigen Eingriffe des Westens, zuletzt in Libyen, Irak, Afghanistan und Syrien und deren Ergebnisse!

Ronald Lehmann | Mi., 4. Januar 2023 - 12:22

"DIPLOMATIE IST EIN SCHACHSPIEL, BEI DEM VÖLKER MATT GESETZT WERDEN"
Karl Kraus, at Schriftsteller 1874-1936

Nicht ein einziges Mal wurde von den westlichen Medien in diesen gesamten Zeitraum die Frage an Putin gestellt, wo seine Grenze/r.Linie ist, um wenigstens den pestial, militärischen Krieg zu beenden.

Mein persönlicher Vorschlag wäre:
1. Insel Krim gehört offiziell zu Russland
2. Ein westlicher Streifen der UA wird entmilitarisiert & bekommt einen Sonderstatus wie ähnlich wie bei Zypern.
Es gehört weder zu RUSS, noch zur UA.
3. Zuzüge von neuen Menschen, die nie in diesen Gebiet gelebt haben, werden verboten

Mp. Meinung an die Foristen hier:
Ach wenn die UA+USA nicht ... gerade besonnen/diplomatisch den Weg zu RUSS beschreiten, aber eins sollte man auch nicht verkennen. RUSS ist eine getarnte kommunistische Diktatur, wo die allermeisten Menschen aus den angrenzenden westlichen Gebieten/Grenzen mehr als Angst vor RUSS haben. Diese Erfahrung kann die wahre DDR-Opposition teilen.

Alice Friedrich | Mi., 4. Januar 2023 - 12:26

Woher will man wissen, ob eine große Mehrheit der Bevölkerung zur Verteidigung ihrer Freiheit Elend und das Risiko des Todes auf sich zu nehmen bereit ist?
Zensur und Propaganda in Kriegszeiten vergessen?
Schon „Verteidigung der Freiheit“ ist eine dehnbare Interpretation, moral-ethisch aufgeladen.
Wenn also demnächst eine Umfrage auftaucht, nach der die überwiegende Mehrheit der Ukrainer diesen Sieg, sprich die Freiheit, will und dafür zu allen Opfern bereit ist:
Überhören Sie nicht die Stimme der Vernunft, die da sagt:
Die wahrhaft Betroffenen möchten, dass dieser Krieg sofort aufhört, dass all die tagtäglichen Leiden und Gefahren, die er ihnen aufbürdet, zu Ende sind. Denn sie sitzen weder champagnerschlürfend im Kreml, noch wohlbehalten warm und geschützt in einem Luxusbunker. Ihr Wohlstand zerrinnt. Sie wissen auch , dass nur ihre Söhne, nicht aber die der "Eliten" Kanonenfutter werden.
Und deshalb möchten sie nur eines: ihre Männer und Söhne wieder wohlbehalten zurück.

Krieg per Volksabstimmung hat es vielleicht schon mal in der Eidgenossenschaft gegeben, aber sonst sind mir wenige Fälle bekannt, obwohl die jeweiligen Führer immer behauptet haben, dass sie den Willen des Volkes vollziehen. Das gehört zur Kriegspoesie.

ist eine dehnbare Interpretation, moral-ethisch aufgeladen.

Ganz richtig Frau Friedrich, was wissen wir über den Willen des ukrainischen Volkes.
Nicht viel.
Außer den Ansichten der Regierungselite, denn
eine unabhängige Berichterstattung dürfte es dort nach der Verstaatlichung auch nicht mehr geben.

Zudem ist ja bekannt, dass Selenskyj anordnete, dass alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht mehr ausreisen durften. Sie mußten bleiben, um für ihr Land zu kämpfen.

Urban Will | Mi., 4. Januar 2023 - 12:27

Ukraine gibt, in Verhandlungen einzutreten.
Gleichwohl schließt dies nicht aus, dass die ukrainische Regierung die „Pflicht“ hat, abzuwägen. So wie jede Regierung eines jeden Landes, völlig egal, ob demokratisch oder nicht.
Die beiden letzten Sätze dieses Beitrages sind Kindergarten. Wäre es so, dann hätten Staaten diese Karte im Laufe der letzten Jahrzehnte schon öfters ausgespielt.
Atomwaffen sind und bleiben Defensivwaffen, wer damit (bzw. mit der Drohung, sie einzusetzen) angreift, vernichtet sich letztendlich selbst. Nicht mal Nordkorea würde das machen.

Die ukr. Führung hat keinerlei Pflichten, sich zu ergeben, aber sie hat die Pflicht zur Entscheidungsfindung und sie hat dadurch auch die Pflicht, die Folgen dieser Entscheidungen zu tragen.
Da kann sie sich nicht aus der Verantwortung ziehen.
Wenn sie entscheidet (ich denke, auf Geheiß d USA), bis zur Entscheidung zu kämpfen, ist sie auch dafür verantwortlich, was am Ende vom Land noch übrig bleibt.

und das Leben ihrer Bürger gegangen wäre, hätte sie v o r dem Kriegsausbruch anders agiert. Es gab bis 2020 die Möglichkeit, alle Ukrainer über verschied. Möglichkeiten der Lösung des Konfliktes mit Rußland abstimmen zu lassen. Ich bin überzeugt davon, daß die Inkaufnahme eines Krieges nicht von einer Mehrheit dort bejaht worden wäre. Aber damals hatten ja die USA brereits ihre Finger mit im Spiel...
Es läßt sich leicht behaupten, daß die Regierung den "Volkswillen" ausführe, und man findet immer Leute für interviews, die sich in diesem Sinne äußern. Die Wahrheit ist es deshalb noch lange nicht.
Richtig, lieber Herr Will: Die ukrainische Regierung hat nicht die Pflicht zu kapitulieren, aber sie hat die Pflicht, die Folgen gründlich zu bedenken, die sich aus ihren Entscheidungen ergeben u. die Verantwortung dafür zu tragen,
daß Millionen Ukrainer sterben, fliehen, hungern, frieren... Wie lange noch u. wofür? Eine klare Antwort auf diese Frage ist Selenskij bisher schuldig geblieben.

Walter Bühler | Mi., 4. Januar 2023 - 12:44

Der Artikel weckt Erinnerungen an die Schulzeit, zumal der stellv. Schulleiter von uns Schülern damals liebevoll "Bello" genannt wurde.

Im Ernst: Als Nicht-Jurist kann ich die Argumentation von Herrn Steinhoff nur an der historischen Erfahrung prüfen. Dazu ersetze ich "nuklearer Krieg" durch "totaler Krieg" und "Nuklearwaffen" durch "Vernichtungswaffen":

"Wie wichtig ihnen ihre Freiheit ist, dürfen die Deutschen also schon selbst entscheiden, ....

Es ist nicht notwendig irrational oder unmoralisch, das Risiko eines totalen Krieges in Kauf zu nehmen, um ein ganzes Volk vor ... Unterdrückung zu bewahren.

Zudem besteht ein zusätzlicher und erheblicher Bonus darin, dass mit dieser Bereitschaft [zum totalen Krieg] auch andere potenzielle Aggressoren davon abgeschreckt werden, die Drohung mit Vernichtungswaffen als Hebel zur tyrannischen Durchsetzung ihrer Machtinteressen zu nutzen. Somit tut das "Deutsche Reich" dem Rest der Welt eher einen Gefallen."
...
Recht seltsame Logik?!

Wolfgang Böhm | Mi., 4. Januar 2023 - 13:16

"... wie sinnvoll Verhandlungen mit einem Regime sind, das keine Bereitschaft hat erkennen lassen, sich an gegebene Versprechungen zu halten."

Bzieht er sich auf das "Regime" das mehrfach konsequent das Versprchen der Nato:osterweiterung gebrochen hat und laut aktueller Aussage "nie vor hatte MINSK 2 umzusetzen sondern nur Zeit schinden wollte für die Aufrüstung ? Und das obwohl das letztere "Regime" als eine von zwei Schutzmächten des MINSK 2 Abkommens sogar für dessen Umsetzen verantwortlich gewesen wäre ?

Leider bleibt der Autor da ein bischen "vage" ;))

Hans Süßenguth-Großmann | Mi., 4. Januar 2023 - 18:30

kann keiner mehr unterdrückt werden.
Mir fehlt für die vorgetragene Argumentation von Herrn Prof. Steinhoff, jegliches Verständnis. Übrigens, so schlimm kann die kommunistische Diktatur in Hongkong nicht sein, wenn diese prowestliche Meinung gelehrt wird.

Lisa Werle | Mi., 4. Januar 2023 - 18:53

Doch, Herr Steinhoff, es ist eine Pflicht der Ukraine, sich auf Verhandlungen mit Russland einzulassen und damit zumindest einen Schritt zu gehen zur Beendigung des Tötens und Mordens auf beiden Seiten. Das "auf einen Sieg setzen" ist ein Desaster für die Ukraine und für Europa. Wer soll eine völlig zerstörte Ukraine wieder aufbauen - die Amerikaner, Europa, vorrangig die Deutschen? Nein, es reicht.
Und davon auszugehen, dass alle Ukrainer es angemessen und heldenhaft finden, ihr Leben zu lassen - wofür eigentlich genau? - und/oder Vater, Partner und Bruder zu verlieren, ist völlig absurd. Kürzlich wurden in der Ukraine 10.000 Ukrainer "gestellt", die sich entschieden hatten, sich nicht töten zu lassen für's 'Vaterland'. So sieht inzwischen die - gut zu verstehende - Kriegsmüdigkeit in der Ukraine aus.

Albert Schultheis | Mi., 4. Januar 2023 - 20:51

Man lässt die slawischen Brüder sich gegenseitig abschlachten und in Washington lehnt man sich genüsslich zurück und bedient wieder einmal mehr das verottete Ziel der Verteidigung von "Demokratie und Freiheit". Haben die uns nicht viel zu oft damit getäuscht? Und diejenigen, die die verfaulten Versatzstücke immer wiederhervorkramen, sind sie es nicht, die es längst aufgegeben haben, auch nur noch einen Finger krumm zu machen für eine wahre Demokratie? Sind sie es nicht, die die Freiheit der Bürger so sehr fürchten wie der Teufel das Weihwasser? Und dazwischen unsere deutsche Außen:Minister:In, die uns in ihrem infantilen Cretinismus so vorkommt, als käme sie von einem anderen Stern. "Nicht zu verhandeln ist keine Verantwortungslosigkeit." Da irrt der Autor aber gehörig. - Wer das Leiden und Sterben der Bevölkerung mit ansieht, dem bleibt nur, "Halt!" zu gebieten. Aber offenbar ist es genau das, was ein Selenskyj nicht sieht bzw sich zumutet. Da ist er auch eben doch nur ein Nazi!

Jens Böhme | Mi., 4. Januar 2023 - 22:24

Wie sich Polen im September 1939 gefühlt hat, als Großbritannien und Frankreich den bedingungslosen, militärischen Beistand bei Überfall auf Polen in die Tonne kloppte (bekannt als Sitzkrieg), "um die polnische Bevölkerung zu retten und ihr Leid und Tod zu ersparen" (modernes Appeasement) , ist hoffentlich heutigen Historikern beim Philosophieren über Aggressionskriege bekannt.

Inana | Do., 5. Januar 2023 - 00:44

Der Text sagt eigentlich weniger über die Ukraine, als über die merkwürdige Veränderung aus, die die deutschen Eliten durchgemacht haben: Früher Kriegs-skeptisch, hat man jetzt gedanklich die Rolle der Weltpolizei übernommen, will Gerechtigkeit durchsetzen - und postuliert ein Recht der Ukraine, die Welt in einen Atomkrieg zu stürzen, um den Donbass zurückerobern. Denn das wäre der "gerechte Krieg". Und jetzt soll nicht weiter rumgenervt und die Bürger sollen alles mittragen - aber ja keine Mitsprache verlangen, denn es entscheidet nur die Ukraine.
Ich finde das zunehmend seltsam.