- Cicero Podcast Literaturen: „Die Selbstzensur hat längst angefangen“
Matthias Politycki ist Dichter, Essayist und Autor zahlreicher Romane, Sachbücher und Reisereportagen. Mit ihm spricht Ulrike Moser über sein neues Buch, seine Arbeiten als Schriftsteller sowie seine Meinung zum Gendern und zur Cancel-Kultur und fragt: Was hat letztlich den Ausschlag für ihn gegeben, Deutschland den Rücken zu kehren? Wie färbt seine Entscheidung sein Verhältnis zu Deutschland?
Er ist Dichter, auf kreative Weise verbandelt mit der Neuen Frankfurter Schule, Essayist und Autor zahlreicher Romane, Sachbücher und Reisereportagen. Ein streitbarer Linker. Er hat lange in München und Hamburg gelebt. Wenn er nicht gerade monatelang die Welt bereist hat. Im Frühjahr 2021 hat er Deutschland den Rücken gekehrt und ist nach Wien gezogen.
Es war ein Umzug aus Protest, aus Enttäuschung, vielleicht aus dem Gefühl der Heimatlosigkeit. Auf jeden Fall aus Überdruss an Debattensumpf, wie er schreibt, an Cancel-Kultur und Wokeness, an Intoleranz unter dem Deckmantel der Toleranz, an Ausgrenzung bei gleichzeitigem Bekenntnis zur offenen Gesellschaft. Und weil er in Deutschland die Freude am öffentlichen Gespräch und schließlich am Schreiben verloren hat. Über diese Entscheidung, über seine Beweggründe hat er – der der Erregungskultur eigentlich entfliehen wollte – zuerst einen Essay in der FAZ und dann ein Buch geschrieben, das Anfang März erschienen wird. Es heißt „Mein Abschied von Deutschland, wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede“. Eine Abrechnung mit einer sich immer weiter verengenden und dabei immer lauter werdenden Debattenkultur; aber auch die verzweifelte Liebeserklärung eines Romantikers an die deutsche Sprache, ihre gewachsene Schönheit, ihre Emotionalität, ihren Wildwuchs, ihre Untiefen ganz ohne Triggerwarnung.
Über dieses Buch und weitere Themen hat Ulrike Moser mit Matthias Politycki gesprochen. Sie können das Interview direkt hier hören, oder auch auf den bekannten Podcast-Plattformen. Bei der Direktwiedergabe werden Sie eventuell gebeten, vorab „Inhalte aktivieren“ anzuklicken:
Sie haben Interesse an spannenden Buchkritiken? Hier finden Sie einige:
- Yanis Varoufakis: Ein anderes Jetzt. Nachrichten aus einer alternativen Gegenwart
- Michael Bröning: Vom Ende der Freiheit. Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird
- Niki Segnit: Der Geschmacksthesaurus
- Martin Suter: Einer von euch
Sie sind interessiert an weiteren Themen und noch kein Abonnent von Cicero Plus? Testen Sie uns, gratis für 30 Tage.
Mehr Podcast-Episoden:
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
Ein sehr einfühlsames und offenes Interview. Da flüchtet jemand vor den Sprachdiktatoren und übt selbst als links-grüner Denker Kritik an der Sache.
Mir ist es egal, wo der Mann sich sonst politisch einordnet. Mir hat sein vehementes Eintreten für die offene respektvolle Diskussion imponiert. Eigentlich ein Umstand, den man früher hätte nicht extra betonen müssen. Heute dagegen bedarf es heftiger Anstrengungen diesem Cancel Cultur zu entfliehen. Was solche Idiotien anrichten, sagt er selbst. Er erkennt bereits an sich selber, einen gewissen Drang zur Selbstzensur und das ist für mich das schlimmste an dem ganzen Genderwahn. Ob man will oder nicht, fängt man an, bei sich selbst zu suchen und zu analysieren, welches Wort noch gesagt und geschrieben werden kann und welches nicht. Und er ist nicht der Einzige. Flucht hilft da wenig, er hätte lieber mal hier in D auf den Tisch geschlagen, da wäre er nicht allein gewesen. CC wird von einer Minderheit unterbelichteter links-grüner betrieben.
Das Schlimmste ist die S e l b s t z e n s u r, die bei jedem Menschen inzwischen eingesetzt hat, der in Deutschland lebt.
Wirklich "frei von der Leber weg" redet kaum noch jemand - mich eingeschlossen. Die Schere im Kopf ist da!
Wenn ich z. B. in einer größeren Runde von Menschen jemand nicht gut kenne,
nehme ich mich bei Gesprächen erst mal zurück, um auszuloten, wes Geistes Kind mein Gesprächspartner ist, um nicht evtl. sofort in ein Fettnäpfchen zu treten, weil es sich bei ihm etwa um einen Gender-Freund oder Vertreter von
"Pro Asyl" handelt. Ich möchte die Stimmung ja nicht verderben.
Ist das nicht ein Skandal?
So sieht es in unserem, ach so freien Land, aus!
Ich kann gut nachvollziehen, daß Herr Politycki die Flucht ergriffen hat.
Wir, die wir hier bleiben (müssen), können nur eines tun:
Bei allen Menschen in unserem Umfeld, die ihren gesunden Menschenverstand noch nicht g a n z verloren haben, unsere Meinung vertreten und sie bitten, mit uns gegen den Wahn aufzusgtehen.
Matthias Politycki spricht so viel von Heimat und Beheimatung und der Verschiedenheit der Kulturen und dergleichen, dass er schon lange kein Linker mehr ist. Er muss es nur noch begreifen. Liberalkonservativer Humanist würde es eher treffen.
Es sei denn, er macht es wie Kretschmann: Zuerst Heimat und Dialekt loben, und dann fordern, dass wir eine Gemeinschaft von radikal Verschiedenen sein sollen. Und dann wieder von Heimat und Geborgenheit reden, und dann wieder davon, dass wir von Nation und deutscher Leitkultur wegkommen müssen.
Man kann Matthias Politycki nur wünschen, dass er diese Dinge besser sortiert bekommt als Kretschmann.
Und vielleicht wird er irgendwann merken, dass die Österreicher zwar charmant, aber doch irgendwie anders sind. So wie die Engländer. Dann sollte er nach Deutschland zurückkommen. Und das beste aus der deutschen Kultur herausholen. Denn alles, was er selbst ist und will, steckt da schon drin. Auch Deutschland muss neu entdeckt werden.
Es klingt für mich nicht ganz so dramatisch, wie es sich für Herrn Politycki evtl. anfühlt.
Er liebt das Gespräch allüberall und da wird es ihm in Wien bestimmt gut gefallen, sag ich mal aus der Ferne.
Mich interessiert sein Ansatz in Bezug auf diese Krise der Linken.
Ich zähle jetzt mal nicht die Krisen anderer Kreise auf.
Politycki will die linke Hand zu den Linken strecken.
Das klingt vielversprechend, ist m.E. bitter nötig, hoffentlich von Erfolg gekrönt und sicher von allüberall, überallhin zu bewerkstelligen.
Good Luck
der Nietzsche die Schönheit der Deutschen Sprache zeigte:
Wo wird einst des Wandermüden
letzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden?
Unter Linden an dem Rhein?
Werd´ ich wo in einer Wüste
eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh´ ich an der Küste
eines Meeres in dem Sand?
Immerhin mich wird umgeben
Gottes Himmel dort wie hier,
und als Totenlampen schweben
nachts die Sterne über mir.
Heinrich Heine
Ich wünsche Herrn Politycki ein langes, waches und ausgeruhtes Leben.
Möge er ankommen und unterwegs ihm die Sonne scheinen und die Sterne leuchten.
In diesen Tagen dürfte doch wohl klar geworden sein: Nicht Gendersternchen oder die angebliche grassierende Political Correctness gefährden die Freiheit des Wortes.
Es sind Führer wie ein Herr Putin, der Oppositionelle einsperren und ermorden lässt - also Menschen mit anderer Meinung; der die Presse drangsaliert, kritische Journalisten verfolgt.
Der die LGBT-Gemeinschaft für Freiwild erklärt hat.
Aber das wird von jenen, die hier so gerne über den Verlust persönlicher Freiheit lamentieren, natürlich gerne verschwiegen. Dafür stehen sie stramm hinter Putins oppressiver Unterdrückung
jener Realität, die nicht in Putins völkisch-tradionellem, rückwärtsgewandtem Nationalismus Anerkennung findet.