- Was Moskau wirklich will
Russland beteuert, kein Interesse an einem Einmarsch in die Ukraine zu haben. Das dürfte zumindest vorerst auch stimmen. Was will Moskau mit seinen Manövern also erreichen? Es spricht viel dafür, dass es den Russen in erster Linie darum ging, die Nato zu spalten. Das Kalkül ist bisher aber nicht aufgegangen.
Betrachtet man das gesamte Verhalten Russlands im Zusammenhang mit der Ukraine, wird seine Strategie klar – oder zumindest so klar, wie es in der Geopolitik eben sein kann. Der Truppenaufmarsch begann vor Monaten. Mit der Zeit dämmerte es den USA und ihren Nato-Verbündeten, dass etwas passieren könnte. Vor einigen Wochen stellten die Russen dann ihre Forderungen vor und verlangten, dass die Nato der Ukraine die Mitgliedschaft im Bündnis verweigert und die Waffen aus Osteuropa abzieht. Anders ausgedrückt: Moskau wollte zu einem Status quo zurückkehren, den es vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion innehatte.
So ergab sich eine Erklärung für das russische Verhalten. Die Forderungen Moskaus erweckten den Anschein, als ob die Ukraine und Osteuropa eine einzigartige Bedrohung für Russland darstellen, die nachlassen würde, wenn die Nato den Schauplatz verlässt. Doch das stimmt einfach nicht, denn Raketen müssen nicht mehr in der Nähe eines Ziels stationiert sein, um eine Bedrohung darzustellen. Diese Forderung ist daher wenig sinnvoll, außer in dem von mir angeführten Fall: Russland braucht strategische Tiefe gegen einen Bodenangriff.
So unwahrscheinlich diese Bedrohung auch sein mag, sie ist urgewaltig und intuitiv. Diese Bedrohung würde etwas abnehmen, wenn sich die Nato nach Westen zurückzöge, aber sie wäre so gut wie beseitigt, wenn die russischen Truppen schließlich nach Westen verlegt würden.
Das Problem bei dieser Denkweise ist, dass Russland sehr wohl wusste, dass die USA und ihre Verbündeten seine Forderungen zurückweisen würden.
Eine andere Theorie besagt, dass Russland schon immer die Absicht hatte, in die Ukraine einzumarschieren. Moskau hätte demzufolge gewollt, dass die Vereinigten Staaten sein Angebot ablehnen, um einen Krieg zu rechtfertigen.
Das Problem mit Deutschland
Die Europäer wollen im Allgemeinen keinen Krieg, ebenso wenig wie viele in den Vereinigten Staaten. Die Russen mögen geglaubt haben, dass die Ablehnung ihrer Forderungen in Europa ernsthafte Besorgnis auslösen würde, aber nicht mehr als eine interessierte Zurkenntnisnahme in den Vereinigten Staaten. Wenn wir also den Schwerpunkt von der Ukraine weg verlagern, könnte es die Absicht Russlands gewesen sein, die Nato einfach so tief zu spalten, dass sie nie wieder repariert werden kann. Wenn man bedenkt, dass die Europäer nicht bereit sind, das Bündnis finanziell ausreichend zu stützen, dass die USA ihren Mitgliedern nicht zutrauen, alle Risiken zu teilen, und dass die allgemeinen wirtschaftlichen Kräfte Europa auseinander treiben, muss sich Russland nicht sonderlich anstrengen, um das Bündnis zu spalten.
In diesem Punkt ist Deutschland, das de facto die Führung in Europa innehat, von entscheidender Bedeutung. Seine Wirtschaft ist derzeit durch die Beschränkungen seines Exportmarktes und die internen Ungleichgewichte infolge der Corona-Pandemie geschwächt. Einer der stabilisierenden Faktoren für die deutsche Wirtschaft war die Zuverlässigkeit der russischen Erdgasexporte, die durch die Nord Stream 2-Pipeline noch erhöht werden sollte. Russland braucht die Einnahmen aus dem Verkauf an Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen.
Russlands Vorgehen in der Nähe der Ukraine hat daher zu einem Dilemma geführt. Deutschland – und eigentlich alle Nato-Mitglieder – brauchen Russlands Energie, trauen Russland aber nicht. Ein Krieg könnte Russland dazu zwingen, die Exporte nach Europa einzustellen, was Deutschland und andere vor die Wahl stellen würde, sich zwischen innerem Chaos und langfristiger Sicherheit vor Russland zu entscheiden. Russland hat keine offensichtlichen Schritte unternommen, weil die Vorstellung eines Angriffs stärker ist als ein tatsächlicher Angriff.
Kalkül bisher nicht aufgegangen
Dies würde erklären, warum die russischen Forderungen abgelehnt werden sollten, um eine Invasion hinauszuzögern, während die Angst vor einem Krieg wächst. Es würde deutsche Solidaritätsbekundungen mit der Nato auslösen, während gleichzeitig dringend nach einer Lösung gesucht wird, die Russland zum Aufgeben zwingt. Es würde die außerordentliche Geduld Moskaus mit der Reaktion der USA erklären, und es würde das Versprechen erklären, dass es trotz der geballten Kräfte keinen Krieg geben wird. Wenn die Nato im Wesentlichen zerbricht, wird Russland in der Lage sein, eine neutrale Militärzone und eine Wirtschaftszone zu schaffen, in der es integraler Bestandteil und Hauptenergielieferant ist.
Das einzige Gegenargument ist etwas, das wir in der Geopolitik normalerweise nicht beachten: die öffentliche Meinung. Die völlige Ablehnung des russischen Angebots hätte die USA spalten und eine allgemeine antiamerikanische Stimmung in Europa hervorrufen müssen. Bisher ist dies nicht geschehen, obwohl Russland im Allgemeinen recht gut darin ist, soziale und politische Spaltungen zu nutzen, um das Verhalten von Ländern zu seinem Vorteil zu beeinflussen.
Moskaus Aktionen und Angebote sollten die USA als unvernünftig darstellen. Dennoch ist in Europa noch keine starke Antikriegsbewegung entstanden, und die Spaltung in Washington bleibt bestehen. Um Europa in die von den Russen gewünschte Richtung zu lenken, bedarf es offenbar der Unterstützung der Öffentlichkeit. Das würde den Regierungen den Handlungsspielraum nehmen – und genau das ist es, was Russland braucht.
Dies ist eine komplexe Erklärung für eine sehr komplexe Reihe von Manövern. Wenn die Nato zerbricht, glauben die Russen, dass sie ohne Risiko die Kontrolle über die Ukraine übernehmen können. Zumindest aus deutscher Sicht sind die Vorteile der Nato nicht mit den Vorteilen des Zugangs zu Erdgas zu vergleichen. Deutschland kann die Nato nicht über das Gas stellen. Russland hat eine Strategie des indirekten Angriffs gewählt, indem es zunächst die Nato schwächt, vielleicht sogar tödlich, und dann erwartet, dass die Ukraine ihm in den Schoß fällt.
Das ist seine Erwartung, aber Russland hat sich, wie andere Nationen auch, häufig geirrt. Die Russen waren vollkommen ehrlich, als sie sagten, sie hätten nicht die Absicht, die Ukraine anzugreifen. Zuvor haben sie Wichtigeres zu tun.
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Der Autor fasst sehr prägnant die amerikanische Sicht zusammen. Die französische und die deutsche Sicht wird aber weiterhin ignoriert: keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Der Regierung in Kiew mag das nicht gefallen, aber Finnland und Österreich haben mit diesem Status keine Probleme, ebenso wie früher Jugoslawien unter Tito. JB handelt offenbar in der Tradition früherer US-Präsidenten, die gegenüber Russland Fehleinschätzungen unterlagen.
Wer die Sicht der Amerikaner nicht teilt, spielt den Russen in die Hände - das ist die Logik des Freund-Feind-Denkens von Carl Schmitt. Wer die Sichtweise des Gegenübers nicht einmal wahrnehmen will, hat kein Interesse an der Lösung des Konflikts.
Danke für Ihren Kommentar. Besser kann man die Sichtweise des Herrn Friedman nicht outen.
"Wer unsere Propaganda (Berichterstattung) in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter".
Auf alle Fälle einer, der es wieder mal genau weiß. Kaffeesatzleserei. Ich sage jetzt meine Version: Die Ukraine wird nach Olympia in enger Abstimmung mit der NATO und den USA ihre abtrünnigen Gebiete und die Krim mit Gewalt zurückerobern wollen. Dass das schief geht, ist klar. Deshalb die Truppenmassierung an Russlands Grenze. Der russische Geheimdienst weiß Bescheid. die Amis auch. Wer hören wollte, konnte hören, was Putin dazu sagte. So wird es kommen. Ja, es gibt Krieg. Doch nicht die Russen wollen ihn, sie werden hineingezogen. Die derzeitige westliche Propaganda ist in hohem Maße pervers und verlogen. Doch, was der überhebliche Westen nicht bedacht hat, ist, China wird diesmal nicht neutral bleiben. Auch das war schon von chinesischer Seite offiziell zu hören. Es ist für den Westen die letzte Chance, das Rad zurückzudrehen und an Russlands Rohstoffe zu kommen. Man muss kein Prophet sein, zu sagen, wie das ausgeht. Der Westen und die USA werden eine Riesenschlappe hinnehmen müssen
Wir können in Europa in diesem Spiel nur verlieren, wenn wir nicht anfangen unsere europäischen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Hierbei ist Berlin und Paris besonders gefordert.
Erinnern wir uns daran, dass es in Europa mal eine Zeit lang gut gelaufen ist, als man Russland als Teil des europäischen Hauses angesehen hat. Wer hat ein Interesse daran, die Russen da raus zu drängen?
Könnte es sein, dass die Nato -sprich: Amerika - die geforderten Sicherheitsgarantien erst dann ganz großzügig gewähren wird, wenn endlich das lästige Thema „Nord Stream 2“ vom Tisch ist? Es geht immerhin um handfeste wirtschaftliche Interessen.
Danach weiter wie immer. Der President JB bekommt den Friedensnobelpreis und Deutschland kauft Fracking-Gas aus USA.
nach Aufmerksamkeit, Die der Medien hat Putin nun. Aber die USA verlegen ganze 2000 Soldaten nach Europa. Deutschland schickt 5000 Helme und ein Lazarett in die Ukraine und England schickt Panzerabwehrraketen. Nicht viel, verglichen mit dem Wirbel in den Medien. Vielleicht haben die Politiker recht?
Die Russen wollen keinen Krieg. Sie wollen den Feind nicht in ihrem Vorgarten. Die deutsche Wiedervereinigung und die Demokratisierung des Ostblocks eröffnete den USA und der NATO die Möglichkeit, die Russen militärisch „einzukesseln“. Jetzt - nach vielen Jahren der Duldung - sieht Russland die Chance, durch Drohgebärden die EU zu spalten und die NATO dadurch zu schwächen. Die Russen wollen keinen Krieg, sie wollen kein feindliches Militär vor der Haustüre. Deutschland ist mal wieder durch die katastrophale Energiewende gezwungen, eine andere Haltung gegenüber Russland einzunehmen, als von den USA gefordert. Sonderwege sind eben Holzwege, wir lernen es einfach nicht. Die USA wollen eine Konfrontation aus geopolitischen Gründen, bei der die EU der größte Verlierer wäre. Aber die USA dürfen nicht die neue Bedeutung von China in diesem Konflikt unterschätzen. Es kündigen sich neue Mehrheitsverhältnisse in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht an, die die USA vergeblich verhindern will
Sind die Drohungen, die Moskau gegen den Westen ausspricht, die Vorstufe zu einem Krieg? Gibt es den Westen noch? Auch wenn sich die USA engagiert, ist ihr die Konkurrenz mit China weit wichtiger als Europa und Rußland, Moskau be-
trachtet mit Behagen die Unfähigkeit der EU, zu einer gemeinsamen Politik gegen Rußland zu kommen. Doch was will Putin wirklich? Kann er sich selbst einschätzen. Er ist für mich ein Mann mit Komplexen und Geltungswahn, bedingt durch seiner Herkunft., Er ist unberechenbar. In seinen Reden stellt er ziemlich
klar, wie er die Welt sieht, was ihm an der Internationalen und besonders an der Politik der USA mißfällt. Wir können nur wissen was Moskau will, wenn wir auch wissen, was die USA will.
Aus dem Kalten Krieg verblieb sie die einzige Supermacht. Auf dem Beharren der USA auf ihre globale Vorherrschaft, ergibt sich die Überlegung, daß Putins Absichten nur eine Reaktion auf die Absichten der USA ist.
In Deutschland sind z.Zt 34.500 US-
Soldaten stationiert. Hier ist das Drehkreuz der USA/NATO-Einsätze
incl. Drohnen-Morde weltweit.
Jetzt werden 2.000 US-Soldaten Richtung Polen und Deutschland geschickt. 1.000 der Bisherigen von hier
Richtung Rumänien. Die aus Afghanistan gedemütigt in Schmach und Schande unkoordiniert abgezogen US/Soldaten müssen ja irgendwie weiter "beschäftigt werden...
Wann steht die Friedensbewegung
auf und lässt nicht mehr zu, dass der
militärisch-industrielle-Komplex USA entscheidet, welches Land
gerade in Unruhen zu stürzen ist
und dann bei "RegimeChange"
"hilfsbereit" mit der Gewalt der
Kriegswaffen-Industrie das Land
zerstört?
Ein Staat, in dem lt. Schätzung der Zensusbehörde über 20 Millionen Menschen in "trailer parks" leben müssen.
Wie nach dem Ende des 1. WK galt nach dem Kalten Krieg: the winner takes it all. Und man kann auch die Prophezeiung von Ferdinand Foch anlässlich des Friedensvertrags von Versailles auch auf den Kalten Krieg anwenden: knapp 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges war 2008 mit dem Augustkrieg in Georgien die Partnerschaft zwischen Russland und dem Westen endgültig vorbei. Der Krieg zwischen Russland und dem NATO-Aspiranten und Irakkriegsteilnehmer Georgien war praktisch der Ausgangspunkt für die russische Militärreform, die in Syrien und auf der Krim ihre Erfolge zeigte.
Nun führt die kurzsichtige und einseitige Politik des Westens, Russland aus Europa heraus zu drängen, wieder dazu, dass eine gedemütigte europäische Landmacht sich mit einer aufstrebenden asiatischen Seemacht verbündet. Diesmal dürften die Herausforderer der etablierten Weltordnung besserer Karten haben als Deutschland und Japan einst.