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Wählen und wählen lassen - Die Kolumne zur Bundestagswahl - Niemand wählt für sich allein

Da es bei der Bundestagswahl 2021 so viele Briefwähler wie nie zuvor geben wird, wollte das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Briefwahlergebnisse in die Sonntagsfrage mit einfließen lassen. Doch Bundeswahlleiter Georg Thiel hat dem vorerst einen Riegel vorgeschoben und somit die geheime Wahl vor dem Zugriff unserer beschleunigten Gegenwart gerettet.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Bekanntlich kann der frömmste Konservative nicht in Frieden leben, wenn die schöne Nachbarin die Sozis wählt. Experimente von Sozialpsychologen haben nämlich längst gezeigt, dass niemand für sich alleine wählt. Alles, was ich über das Wahlverhalten meiner Nachbarn oder irgendeiner anderen Gruppe in Erfahrung bringe kann, hat Einfluss auf mein ganz persönliches Abstimmungsverhalten. Als irgendwie soziales Wesen tendiert man nämlich auch in der alle vier Jahre wiederkehrenden Rolle des Souveräns dazu, sich in einem größeren Ganzen bewegen zu wollen – und sei es nur das größere Ganze der politischen Mitte. Lieber also mal beim Wahlzettel des Nachbarn abgucken, als am Ende als Einziger die Europäische Partei LIEBE oder die HipHop-Partei Die Urbanen gewählt zu haben.

Diese Anpassungsvorgänge von Individuen in Gruppen, wie sie etwa 1951 in dem berühmten Konformitätsexperiment von Solomon Asch nachgewiesen wurden, sind unter anderem mit ein Grund dafür, dass es im Bundeswahlgesetz den § 32 Absatz 2 gibt: „Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.“ Bei Zuwiderhandlung drohte bis dato ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro.

Peinliche Zwischenfälle

Das strenge Verbot hat sich bewährt. Schluss ist in Deutschland erst, wenn Schluss ist. Bis dato war das am Wahlsonntag um 18 Uhr; mit einigen peinlichen Ausnahmen: So sickerten 2009 bei den Landtagswahlen in Saarland, Sachsen und Thüringen die Ergebnisse bereits 90 Minuten vor Schließung der Wahllokale durch. Der Grund: Zwei Twitter-Nutzer hatten die ausschließlich für Politiker und Journalisten gedachten Exit-Polls, also Befragungen von Wählern nach Verlassen des Wahllokals, über ihre jeweiligen Accounts in die Welt hinausgeblasen. Ein Phänomen, das seither immer wieder Probleme bereitet

Bei der Europawahl 2019 wiederum kam es zu Vorveröffentlichungen ganz anderer Art: Damals hatte die Stadt Bochum die vermeintlichen Wahlergebnisse bereits am Samstag vor dem eigentlichen Wahltag auf ihrer offiziellen Internetseite verkündigt. Ergebnisse, denen zufolge 50 Prozent der Bochumer und Bochumerinnen die AfD gewählt hatten. Eine peinliche Panne, wie später ein Sprecher der Stadt zugeben musste: Mitarbeiter hätten zu Testzwecken schlicht fiktive Daten ins Netz gestellt und die Seite später aus Versehen veröffentlicht: „Es handelt sich um menschliches Versagen. Wir können uns für diesen Fehler nur entschuldigen.“

Die Zeit überholt sich selbst

Dieses Mal aber könnte es Kalkül werden: Da es bei der Bundestagswahl 2021 nämlich so viele Briefwähler wie nie zuvor geben wird – Mitte des Monats hatten in München bereits 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Briefwahlunterlagen angefordert, in Köln waren es immerhin 40 Prozent – wollte das Meinungsforschungsinstitut Forsa auch jene Stimmen vorsichtshalber schon einmal auswerten und veröffentlichen, die von den Briefwählern bereits offiziell vergeben wurden. Es wäre ein Dammbruch in Sachen Demoskopie: Aus Prognose wäre so Prophetie geworden und aus Vorhersage Verheißung. In der digitalen Echtzeitdemokratie wäre das das letzte Quäntchen Beschleunigung, und unsere immer schneller werdende Gegenwart hätte sich endlich selbst überholt.

Doch aus dem alten Demoskopentraum wird wohl nichts werden. Bundeswahlleiter Georg Thiel nämlich hat den Forsa-Auguren in ihrem Streben nach absoluter Meinungsmache vorerst einen Riegel vorgeschoben. Die haben daraufhin zwar eine einstweilige Feststellung bei einem Wiesbadener Verwaltungsgericht erzwungen, doch der hessische Verwaltungsgerichtshof hat die Wiesbadener Entscheidung nun vorerst ausgesetzt. 

Kommt sie also doch nicht – die Wahl vor der Wahl? Im Interesse der in Artikel 38 Grundgesetz zugesicherten allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl wäre das zu wünschen. Andernfalls drohte aus der unabhängigen Stimme wohl endgültig eine abhängige Gestimmtheit, ja eine regelrechte Stimmungsdemokratie zu werden. Dabei sollte man doch wenigstens in der Wahlkabine mal eine Minute Ruhe haben.
 

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Ingofrank | Di., 21. September 2021 - 16:45

erfahren wer wieviel % erreicht hat.
Das wird keinesfalls bedeuten, wer Kanzler wird in welcher Koalition.
Die über uns allen schwebende, wird auch 2021 die Weihnachtsansprache halten.
Die Koalitionsverhandlungen zwischen Rot, Grün u. Dunkelrot werden sich bis ins neue Jahr ziehen um dann festzustellen, dass eben zwischen den genannten 3 Parteien die größten „Schnittmengen“ vorhanden sind und Ende Januar steigt weißer Rauch aus dem Willi Brandt Haus aus, und die Linkskoalition steht.
Prima, warum sollte der Westen nicht auch die Segnungen des „demokratischen Sozialismus“ mit Mietendeckel, Mangelwirtschaft, weicher Währung, Tauschen statt Kaufen &&&& am eigenen Leib erfahren.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Ernst-Günther Konrad | Di., 21. September 2021 - 17:23

Nach meiner Meinung sollten überhaupt mit Beginn des Wahlkampfes die gesamten Umfragen und Prognosen und wie auch immer es sonst noch etiketiert wird verboten sein. Entweder hat eine Partei es geschafft, bis zur Schweigezeit vor der Wahl ihre Wähler für sich zu mobilisieren oder nicht. Ich halte diese ganzen Umfrageergebnisse ohnehin für gesteuerte Wahlempfehlungen und Manipulationen. Ja, ich bin überzeugt davon, dass unpolitische Menschen sich neben dem Auftreten/Aussehen und werben der Kandidaten, auch sehr stark von eben solchen gerade im ÖRR veröffentlichen Umfragen beeinflussen lassen.
Übrigens. Ich stelle gerade fest, dass hier im Cicero ja gerade ein Feuerwerk der Wahlartikel abgebrannt wird. Mir nur recht, wenn ihr mich dafür von den Corona Alibi Artikeln mal verschont.
Inzwischen soll Laschet wieder aufgeholt haben. Ich nehme mal an, bis Sonntag sind beide auf gleicher Höhe. Im Fußball hieße das Abseits und Abpfiff. Mal sehen, ob der Wähler denen am Sonntag was pfeift.

Tomas Poth | Di., 21. September 2021 - 17:28

Jetzt bin ich etwas überrascht. Sind die Briefwahlergebnisse denn schon bekannt, bzw. alle Briefwahlstimmen schon ausgezählt?
Wenn ja, dann müssen diese vor Schließung der Wahllokale für alle und jeden unter Verschluss bleiben. Ansonsten würde man der Wahlmanipulation/Wahlbeeinflussung Tür und Tor öffnen.
Das sicherste wäre es diese Stimmen erst nach Wahlschluß auszuzählen! Der Briefwahlurne wird dann zu den anderen Behältern aus den Wahllokalen gestellt.

Sabine Lehmann | Mi., 22. September 2021 - 21:14

Antwort auf von Tomas Poth

So wie ich es verstanden habe, geht es nicht um eine Vorauszählung und Veröffentlichung der Briefwahlergebnisse, sondern um eine Umfrage bei Briefwählern, die bereits gewählt haben.
Bislang wurden potentielle Wähler ja nur nach ihrer Wahlabsicht gefragt. Jetzt werden Sie hingegen nach Ihrer Wahlentscheidung gefragt. Das sei nach Auffassung des Bundeswahlleiters etwas völlig anderes und widerspräche einer Grundsatzregel des Wahlrechts. Womit er meiner Meinung nach auch Recht hat. Denn die Beeinflussung dieser Daten auf die Wahlentscheidung derer, die das noch vor sich haben, könnte immens sein.
Leider hat sich Forsa jetzt in letzter Instanz durchgesetzt, und es wird genau so kommen. In meinen Augen ein juristischer und politischer Skandal und ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Eigentlich wäre das ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.

Rob Schuberth | Di., 21. September 2021 - 17:43

...und das ist auch richtig so.

Dem Wahlleiter der sich gegen die Einbeziehung (was ja einer Vorab-Veröffentlichung gleichgekommen wäre) der Briefwahlergebnisse ausgesprochen u. durchgesetzt hat, kann ich nur voll zustimmen.

Mit der Headline "Niemand wählt für sich allein" kann ich allerdings nichts anfangen.

Was ist damit gemeint?
Vllt. dass ich als Vater auch an das zukünftige Wohlergehen m. Kinder u. Enkelkinder denke?
Nun, das ist doch eine Binse u. doch keinen Artikel wert.

Wenn Sie schon bei Ihren hilflosen Vesuchen, die AfD reinzuwaschen, auf Inhalte der BpB zurückgreifen, dürfen Sie sich ruhig der aktuellen bedienen:

"Vielmehr führten das weitere Erstarken der rechtsextremen Kräfte um Höcke und den brandenburgischen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz und die vom Verfassungsschutz im März 2020 veröffentlichte Einstufung von Teilen der Partei als "gesichert rechtsextremistisch" ....usw.

https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/afd/2111…

Und wenn Sie nicht die letzten Jahre in einer Höhle gelebt haben, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass die AfD als Gesamtpartei höchst wahrscheinlich demnächst unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz stehen dürfte.

Die Tatsache, dass die AfD viele Freunde und einige besonders hartnäckige Fürsprecher in diesem Forum hat, die verharmlosend gerne von "Konservativen" oder "Blauen" reden, bedeutet übrigens keine Entlastung für die Partei.

...anderer Stelle reagiert habe.
Hier ein Z Ihrer Quelle:
" ...führten das weitere Erstarken der rechtsextremen Kräfte um Höcke und den brandenburgischen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz und die vom Verfassungsschutz im März 2020 veröffentlichte Einstufung von Teilen der Partei als "gesichert rechtsextremistisch" zu einer offenen Machtprobe mit Meuthen, die dieser zunächst für sich entscheiden konnte."

Wie schon an anderer Stelle vorgeschlagen bitte ich Sie darum fair zu sein und nicht mehr von "der" AfD oder "die" AfD zu schreiben, wenn Sie das im Kontext einer rechtsextremistischen Zuordnung machen, sondern von "in Teilen rechts....) zu schreiben.

Denn so wie Sie es schreiben, sind Sie immer zu allen anderen Teilen der AfD unfair und scheren alles u. jeden über einen Kamm.

Können wir uns also bitte auf die konkretere Form u. weg v. d. Pauschalierung einigen?
Ich streite mich mit Ihnen nur weil mir Gerechtigkeit am Herzen liegt. Die AfD ist mir an sich egal.
.

Sabine Lehmann | Mi., 22. September 2021 - 01:40

Zum Beispiel den unermüdlichen Zeitgenossen der Öffentlich-Rechtlichen verbieten, ihren Zuschauern zu suggerieren, wen sie mit „gutem“ Gewissen wählen dürfen und wen nicht.
Wer das Fernsehprogramm von ARD und ZDF die letzten Wochen studiert hat, dem wurde schwindelig angesichts der zahlreichen Sendeformate zu den Wahlen. Wäre es dabei um neutrale politische Aufklärung gegangen, hätte man es begrüßen dürfen, aber so?
Da wurde den drei Lieblingsprotagonisten eine mediale Bühne zur Verfügung gestellt, dass SPD, CDU und Grüne sich eigentlich den kompletten Wahlkampf hätten schenken können. Dass es da auch noch ein paar andere Parteien gibt, kommt in der Erlebniswelt des ÖR jedoch nicht vor. Wie so vieles Andere eben auch nicht. Die wichtigsten Themen wurden weiterhin totgeschwiegen, anwesende Hauptdarsteller eingeschlossen. So kam man nicht auf‘s Ungewohnte in der Republik der Denk- und Sprachverbote seit Jahren. Und das deprimierendste ist:
Das bleibt,egal wen Ihr wählt. Versprochen.